Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingeschränkte Revisionszulassung
Leitsatz (amtlich)
Die Revisionszulassung muß seit der zum 1. Mai 2000 in Kraft getretenen Änderung des § 72 Abs. 1 ArbGG im Urteilstenor erfolgen. Eine im Tenor unbeschränkt ausgesprochene Zulassung der Revision kann in den Entscheidungsgründen nicht mehr wirksam eingeschränkt werden.
Orientierungssatz
Beabsichtigt das Landesarbeitsgericht die Revision nur eingeschränkt zuzulassen, hat es dies seit der zum 1. Mai 2000 in Kraft getretenen Änderung des § 72 Abs. 1 ArbGG in der verkündeten Urteilsformel auszusprechen. Mit dieser Gesetzesänderung ist die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulassung und Einschränkung der Revision in den nicht verkündeten Entscheidungsgründen überholt (vgl. BAG 28. Mai 1998 – 2 AZR 480/97 – BAGE 89, 43 = AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 36 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 22; 11. Dezember 1998 – 6 AZB 48/97 – BAGE 90, 273 = AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 30 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 24).
Normenkette
ArbGG § 72
Verfahrensgang
Tenor
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – vom 20. Juni 2002 – 22 Sa 7/02 – wird als unzulässig verworfen.
- Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
- Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.148,18 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über Annahmeverzugslohn, vermögenswirksame Leistungen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger das verlangte Weihnachtsgeld zugesprochen und im übrigen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Ziff. 4 des Urteilstenors lautet: “Die Revision wird zugelassen.”
Am Ende der Entscheidungsgründe ist zur Begründung der Revisionszulassung ausgeführt: “Die Kammer hat insoweit, da möglicherweise von der Rechtsprechung des 10. Senates abweichend, (vgl. etwa BAG…) die Revision zugelassen, soweit die Klage auch mit dem Streitgegenstand der geltend gemachten Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2000 unter Abänderung des Urteils 1. Instanz abgewiesen wurde.” In der Rechtsmittelbelehrung heißt es: “Gegen dieses Urteil findet die Revision für d. Kl.… an das Bundesarbeitsgericht statt. …” Mit seiner auf Divergenz gestützten Beschwerde will der Kläger die Zulassung der Revision in vollem Umfange erreichen.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Gegen das in der Beschwerde bezeichnete Urteil des Landesarbeitsgerichts ist die Revision uneingeschränkt zulässig.
1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts konnte das Landesarbeitsgericht bei einer unbeschränkten Zulassung der Revision im verkündeten Urteilstenor die Revisionszulassung in den Entscheidungsgründen auf einen abtrennbaren Streitgegenstand beschränken (vgl. BAG 28. Mai 1998 – 2 AZR 480/97 – BAGE 89, 43 = AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 36 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 22). Diese Möglichkeit der nachträglichen Beschränkung der Revisionszulassung in den Entscheidungsgründen stand im Einklang mit der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Zulassung der Revision selbst erst in den Entscheidungsgründen verlautbart werden konnte (vgl. zuletzt BAG 11. Dezember 1998 – 6 AZB 48/97 – BAGE 90, 273 = AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 30 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 24).
2. Seit der zum 1. Mai 2000 in Kraft getretenen Änderung des § 72 Abs. 1 ArbGG und dem dort in Satz 2 aufgenommenen Verweis auf § 64 Abs. 3a ArbGG ist die Entscheidung, ob die Revision zugelassen oder nicht zugelassen wird, in den Urteilstenor aufzunehmen. Mit dieser Gesetzesänderung ist die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulassung der Revision in den nicht verkündeten Entscheidungsgründen überholt (Ascheid GK-ArbGG Stand Dezember 2002 § 72 Rn. 36; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 72 Rn. 26; ArbGV-Bepler § 72 Rn. 37; Ostrowicz/Künzl/Schäfer Der Arbeitsgerichtsprozess 2. Aufl. Rn. 227). Die Neuregelung ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erfolgt (BT-Drucks. 14/626 S 10). Diese Gesetzeszwecke gebieten, im Falle einer eingeschränkten Revisionszulassung in die zu verkündende Urteilsformel auch den Umfang der Revisionszulassung aufzunehmen. Nur dadurch steht im Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung fest, inwieweit die unterlegene Partei das Urteil mit der Revision angreifen kann und die obsiegende Partei noch mit der Durchführung eines Revisionsverfahrens rechnen muß. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß das Landesarbeitsgericht den Umfang der Revisionszulassung bereits zum Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung verbindlich bestimmt. Will das Landesarbeitsgericht die Revision nur auf einen von mehreren Streitgegenständen beschränken, hat es dies im Tenor auszusprechen. Eine nachträgliche Beschränkung der mit dem Tenor verkündeten unbeschränkten Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen ist seit dem 1. Mai 2000 nicht mehr wirksam möglich (ebenso Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge aaO § 72 Rn. 26; Ostrowicz/Künzl/Schäfer aaO Rn. 227; ArbGV-Bepler § 72 Rn. 37; zweifelnd ErfK-Koch 3. Aufl. ArbGG § 72 Rn. 23).
3. Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht die Revision im Tenor uneingeschränkt zugelassen. Die Beschränkung der Revisionszulassung in den Entscheidungsgründen war unwirksam. Damit ist für den Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts insgesamt das Rechtsmittel der Revision eröffnet. Ob dieses Rechtsmittel bereits in vollem Umfange eingelegt und begründet ist oder der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen muß, besitzt für das Beschwerdeverfahren keine Bedeutung. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.
III. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck
Fundstellen
BAGE 2004, 308 |
BB 2003, 1183 |
DB 2003, 1528 |
NJW 2003, 1547 |
FA 2003, 175 |
NZA 2003, 575 |
SAE 2004, 40 |
EzA-SD 2003, 16 |
MDR 2003, 828 |
AA 2003, 61 |
KammerForum 2003, 268 |