Entscheidungsstichwort (Thema)

Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nach Rechtshängigkeit einer Klage gegen einen Duldungsbescheid. Gläubigerbenachteiligung. Anfechtung einer unentgeltlichen Leistung. treuwidriges Verhalten des Anfechtungsgläubigers. Herausgabeanspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Zuständigkeit des Finanzgerichts für die Entscheidung über eine Klage des Anfechtungsgegners gegen einen Duldungsbescheid bleibt durch die nach Rechtshängigkeit eingetretene Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners unberührt.

2. § 4 Abs. 1 AnfG setzt – abweichend vom Begriff der Schenkung i. S. d. § 516 BGB – keine vertragliche Einigung über die Unentgeltlichkeit voraus. Insofern sind die subjektiven Vorstellungen und Absichten der Beteiligten (des Schuldners einerseits und des Leistungsempfängers andererseits) nicht entscheidend. Vielmehr kommt es auf die objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers an.

3. Ein Vorsatz des Schuldners bezüglich der Gläubigerbenachteiligung ist im Falle der Anfechtung einer unentgeltlichen Zuwendung i. S. d. § 4 AnfG nicht erforderlich.

4. Treuwidrig kann das Verhalten des Anfechtungsgläubigers nur sein, wenn es gegen einen Vertrauenstatbestand verstößt, der gerade für den Anfechtungsgegner geschaffen worden ist, oder wenn andere besondere Umstände vorliegen, z. B. wenn der Schuldner und der Anfechtungsgläubiger kollusiv zusammenwirken, um dem Anfechtungsgegner den erworbenen Gegenstand wieder abzunehmen, oder wenn der Anfechtungsgläubiger wegen seiner Forderungen zweifelsfrei voll gesichert ist oder aus sonstigen Gründen unschwer volle Befriedigung erlangen könnte.

5. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG muss dasjenige, das durch die anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert worden ist, dem Gläubiger zur Verfügung gestellt werden, soweit es zu dessen Befriedigung erforderlich ist, wobei sich die Haftung nach §§ 818 Abs. 4, 819 BGB (Rechtsfolgenverweisung) richtet.

 

Normenkette

AO § 191 Abs. 1 S. 2; AnfG § 4 Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 16 Abs. 1 S. 1; FGO § 33; GVG § 17 Abs. 1-2; BGB § 818 Abs. 3-4, § 819

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 10.11.2020; Aktenzeichen VII R 8/19)

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin folgende EUR-Beträge zu zahlen

  1. 224 412,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5. v. H. über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von 76 412,19 EUR seit dem 2. Dezember 2009 und auf einen Betrag in Höhe von 148 000,00 EUR seit dem 9. Dezember 2013
  2. 13 500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 v. H. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2015
  3. 19 700,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 v. H. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2015

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Fragen, ob die Klägerin als Insolvenzverwalterin über das Vermögen des Herrn B. aufgrund einer Anfechtungserklärung seitens des Finanzamtes (FA) D. gegenüber dem Beklagten nach den Vorschriften des Anfechtungsgesetzes (AnfG) vom Beklagten Zahlung von insgesamt 257 612,19 EUR zuzüglich Zinsen an die Insolvenzmasse beanspruchen kann und ob das Finanzgericht für die Entscheidung über diesen Rechtsstreit zuständig ist.

Der 1959 geborene, verheiratete Beklagte, von Beruf selbständiger Versicherungskaufmann, ist Sohn des 1936 geborenen Kfz-Meisters B., E.-Str., D.. Letzterer war seit mindestens 1973 Inhaber eines Einzelunternehmens „Kfz-Werkstatt, Verkauf von Kfz und Verpachtung von Räumlichkeiten” (vgl. Jahresabschluss zum 31. Dezember 2000) mit Sitz in D., F.-Str. und wurde vom FA D. zusammen mit seiner ebenfalls 1936 geborenen Ehefrau G. zur Einkommensteuer veranlagt. G. verstarb am 19. Juli 2010.

B. hatte mindestens seit dem Jahr 2001 erhebliche Steuerschulden beim FA D. (im Jahr 2003 in sechsstelliger EUR-Höhe), weshalb das FA die Zwangsvollstreckung gegen ihn betrieb.

Mit notariell beurkundetem „Grundstücks-Schenkungsvertrag” vom 10. Dezember 2002 (UR-Nr. … des Notars H. aus D., Bl. 671 ff. d. A,) übertrugen B. sowie seine Ehefrau das jeweils hälftige Eigentum an dem bebauten Grundstück E.-Str., D. auf den Beklagten. Gleichzeitig erhielten die Eltern des Beklagten ein lebenslanges, grundbuchrechtlich abgesichertes, uneingeschränktes Nießbrauchsrecht an dem Grundstück. Das Grundstück war zu diesem Zeitpunkt mit einem Hypothekenkredit in Höhe von über 140 000,00 EUR belastet, der vom Beklagten schuldrechtlich nicht übernommen wurde.

Im Jahr 2003 gab B. sein Einzelunternehmen auf. Neben dem Einzelunternehmen existierte die I. GmbH (künftig: GmbH; Alleingesellschafter: B.), bezüglich derer zum 1. April 2003 die Aufgabe de...

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