Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Bei der Rüge mangelnder Sachaufklärung wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 76 FGO muß dargelegt werden,
a. welche Tatfrage aufklärungsbedürftig war,
b. welche Beweismittel das FG zu welchem Beweisthema nicht erhoben hat und
c. warum die Beweiserhebung sich dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung im übrigen als erforderlich hätte aufdrängen müssen.
2. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 AO sind nur dann erfüllt, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen ist, daß das FA bei Kenntnis der neuen Tatsache die Erstbescheide mit einem anderen Inhalt erlassen hätte. Hierin liegt eine Beweislastverteilung zu Ungunsten der Steuerpflichtigen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3 S. 3, § 76; AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; DBA ITA Art.7 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger hatten in den Streitjahren 1985 bis 1988 ihren Wohnsitz im Inland. Der Kläger war hier für eine italienische Bank tätig. Das FA hatte die Einkünfte des Klägers in den bestandskräftigen ESt-Bescheiden 1985 bis 1988 als steuerpflichtig behandelt. Die Kläger begehrten, die bestandskräftigen ESt-Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 AO zu ändern, weil sie nachträglich erfahren hatten, daß die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit gemäß Art.7 Abs. 2 DBA-Italien im Inland steuerfrei seien.
Das FA lehnte die Änderung ab. Die Klage der Kläger blieb ohne Erfolg. Der BFH wies die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist insgesamt unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 115 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
I. Verfahrensfehler
Die Beschwerde ist insoweit unzulässig.
Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen bei der Rüge eines Verfahrensfehlers in der Beschwerdeschrift die Tatsachen dargelegt werden, aus denen sich der Verfahrensfehler ergibt. Bei der Rüge mangelnder Sachaufklärung wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 76 FGO) muß deshalb dargelegt werden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Mai 1977 IV R 45/76, BFHE 122, 396, BStBl II 1977, 694),
a) welche Tatfrage aufklärungsbedürftig ist,
b) welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das Finanzgericht (FG) nicht erhoben hat und
c) warum die Beweiserhebung sich dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung im übrigen als erforderlich hätte aufdrängen müssen.
Die Beschwerdeschrift der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) enthält jedoch keine Darlegungen zu b) und c).
Die Kläger haben in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, daß der Kläger zu den Personen gehörte, die eine Tätigkeit im öffentlich-rechtlichen Bereich ihres Arbeitgebers ausübten und denen deshalb die Steuerbefreiung nach Art.7 Abs. 2 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und Italien zur Vermeidung von Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 31. Oktober 1925 - DBA-Italien - (RGBl II 1925, 1145) auch auf der Grundlage des Erlasses des Hessischen Finanzministers vom 15. Juli 1985 - S 1301 A - 53 - II A 13 zustand.
Die Kläger haben ebensowenig in der Beschwerdebegründung dargelegt, welche Beweise das FG hätte erheben sollen und welche Beweiserhebung sich ihm auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung im übrigen hätte aufdrängen müssen. Das FG ist in der Vorentscheidung davon ausgegangen, daß es für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache darauf ankomme, ob das Finanzamt (FA) bei rechtzeitiger Kenntnis des wahren Sachverhaltes in der ursprünglichen Veranlagung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Diese Voraussetzung hat das FG in tatsächlicher Hinsicht verneint, weil der Kläger keine hoheitliche Tätigkeit ausgeübt habe. Dies hatte der Kläger nicht bestritten. Im übrigen war er auch nicht gehindert, das evtl. Gegenteilige in der mündlichen Verhandlung vor dem FG geltend zu machen.
II. Divergenz
Die Beschwerde ist insoweit unbegründet. Das FG ist nicht von dem BFH-Urteil vom 11. Mai 1988 I R 216/85 (BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715) abgewichen.
1. In BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715 ist der vom Großen Senat des BFH (Beschluß vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) aufgestellte Grundsatz wiederholt, daß ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen dann nicht aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuerfestsetzung gekommen wäre. Das FG ist in der Vorentscheidung in Übereinstimmung mit diesem Grundsatz zu der Überzeugung gekommen, daß das FA auch bei Kenntnis des Anstellungsvertrages des Klägers in allen Einzelheiten keine anderen Erstbescheide erlassen hätte. Insoweit besteht für eine Divergenz keine Grundlage.
2. Zwar hat das FG in der Vorentscheidung den Erlaß des Hessischen Finanzministers vom 15. Juli 1985 S 1301 A - 53 - II A 13 nicht erwähnt. Auch hat es keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob der Erlaß für das FA verbindlich war. Daraus ergibt sich jedoch noch keine Divergenz zu BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715. Sollte der Erlaß verbindlich gewesen sein, so würde die Vorentscheidung dem Urteil in BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715 im Ergebnis entsprechen. Sollte er dagegen unverbindlich gewesen sein, so wäre dennoch keine andere als die Vorentscheidung möglich gewesen. Das FG hätte dann nämlich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen können, daß das FA die Erstbescheide bei Kenntnis der neuen Tatsache mit einem anderen Inhalt erlassen hätte. Der Erlaß des Hessischen Finanzministers steht einer solchen Feststellung entgegen. Die Kläger übersehen, daß der vom Großen Senat in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180 aufgestellte Grundsatz eine Beweislastverteilung zu ihren Ungunsten enthält. Bleiben Zweifel übrig, wie das FA damals mutmaßlich entschieden hätte, dann liegen die Änderungsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 der Abgabenordnung nicht vor. Dies hat der erkennende Senat bereits in seinem Beschluß vom 5. Februar 1992 I B 97/91, BFH/NV 1992, 645 ausgeführt.
III. Grundsätzliche Bedeutung
Gegen die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde bestehen in diesem Punkt erhebliche Zweifel, weil die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung die Rechtsfrage, deren grundsätzliche Bedeutung sie geltend machen, nicht ausreichend klar formuliert haben.
Die Beschwerde ist in diesem Punkte jedoch zumindest unbegründet, weil die Rechtslage durch den Beschluß des Großen Senats in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180 das Urteil in BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715 und den Beschluß I B 97/81 hinreichend geklärt ist. Ein Interesse der Allgemeinheit an einer weitergehenden Klärung ist weder dargelegt noch erkennbar.
Fundstellen
Haufe-Index 418641 |
BFH/NV 1993, 83 |