Leistungsbeschreibung bei Waren im Niedrigpreissegment
Hintergrund: Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach nationalem UStG und unionsrechtlicher MwStSystRL
Nach nationalem Recht setzt die Ausübung des Vorsteuerabzugs voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG), in der u.a. die "Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände" enthalten sein muss (§ 14 Abs. 4 Nr. 5 UStG). Unionsrechtliche Grundlage dieses Rechnungserfordernisses ist Art. 226 Nr. 6 der Richtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL), wonach Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke die "Art der gelieferten Gegenstände" enthalten müssen.
Großhandel mit Textilien und Modeaccessoires im Niedrigpreissegment
Die Antragstellerin (A), die im Großhandel mit Textilien und Modeaccessoires tätig war, kaufte ihre Waren stets in großen Mengen und überwiegend zu Preisen im unteren und mittleren einstelligen Eurobereich ein. In ihren Umsatzsteuererklärungen machte A Vorsteuerabzugsbeträge aus Rechnungen geltend, in denen die Artikel lediglich mit Angaben wie "Tunika, Hosen, Blusen, Top, Kleider T-Shirt, Pulli" bezeichnet waren.
FG lehnt Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Umsatzsteuerbescheide ab
Nachdem das FA den Vorsteuerabzug aus den Warenrechnungen nicht anerkannt und den Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 zurückgewiesen hatte, erhob A Klage vor dem FG und beantragte dort die AdV der Umsatzsteuerbescheide. Das FG hatte keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide und lehnte den Aussetzungsantrag ab. Die bloße Angabe einer Gattung in den Rechnungen (T-Shirt, Kleider, Pulli etc.) stelle keine "handelsübliche Bezeichnung" dar und genüge daher nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung.
Entscheidung des BFH: Antrag auf AdV ist zu gewähren
Der BFH hob auf die Beschwerde der A den Beschluss des FG auf und entschied, dass die beantragte AdV der Umsatzsteuerbescheide zu gewähren sei. Die Rechtmäßigkeit der Versagung des Vorsteuerabzugs und damit die Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerbescheide sei ernstlich zweifelhaft.
Drei Gründe für ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung des Vorsteuerabzugs
Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH Beschluss vom 08.04.2009 - I B 223/08, BFH/NV 2009 S. 1437). Gemessen an diesen Vorgaben hatte der BFH im Streitfall gleich aus drei Gründen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung des Vorsteuerabzugs in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden.
1. Unterschiedliche Rechtsprechung der FG und noch kein Urteil des BFH zum vorliegenden Problem
Ernstliche Zweifel ergeben sich bereits daraus, dass es zu den Anforderungen an die Leistungsbeschreibung im Niedrigpreissegment noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt und dass diese Frage von den FG unterschiedlich beantwortet wird. So vertritt das FG Düsseldorf in einem nichtveröffentlichten Urteil die Auffassung, dass bei Großeinkäufen von Billigartikeln die Angabe der Gattung mit Stückzahl ausreiche (vgl. Urteil vom 03.07.2017 - 5 K 1992/14 U; zit. nach Haberland, Umsatzsteuer-Rundschau 2018 S. 342), während andere FG meinen, dass auch im Niedrigpreissegment die bloße Angabe einer Gattung für eine ausreichende Leistungsbeschreibung nicht genüge (z.B. Hessisches FG Urteil vom 12.10.2017 - 1 K 2402/14, EFG 2018 S. 335).
2. Folgerungen aus dem BFH-Beschluss v. 29.11.2002, V B 119/02
Im einem Beschluss vom 29.11.2002 - V B 119/02 (BFH/NV 2003 S. 518) hat der BFH ausgeführt, dass bei "hochpreisigen" Uhren und Armbändern die bloße Gattungsangabe "diverse Armbanduhren" oder "diverse Armbänder" als Leistungsbeschreibung nicht ausreichend sei. Ob daraus geschlossen werden kann, dass im Niedrigpreissegment geringere Anforderungen an die Leistungsbeschreibung zu stellen sind, ist klärungsbedürftig und damit ernstlich zweifelhaft i.S. von § 69 FGO. Der Aufwand für die Konkretisierung des Leistungsgegenstands in Rechnungen könnte - so der BFH - bei Großeinkäufen verschiedener Waren zu geringen Stückpreisen als unverhältnismäßig erscheinen.
3. Möglicher Verstoß gegen Unionsrecht
Schließlich ergeben sich im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerbescheide auch daraus, dass die hier einschlägige nationale Rechtsvorschrift möglicherweise gegen Unionsrecht verstößt. Denn während das Unionsrecht in Art. 226 MwStSystRL lediglich vorschreibt, dass die "Art der gelieferten Gegenstände" aus der Rechnung hervorgehen muss, verlangt § 14 Abs. 4 Nr. 5 UStG darüber hinaus die "handelsübliche Bezeichnung" des gelieferten Gegenstandes.
Hinweis: Keine endgültige Klärung der Rechtsfrage im vorliegenden AdV-Verfahren
Da im AdV-Verfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters nur eine summarische Prüfung des angefochtenen Bescheids zu erfolgen hat, konnte der BFH die aufgeworfene Rechtsfrage, ob bei Rechnungen im Niedrigpreissegment die Angabe der Warengattung ausreichend ist, im vorliegenden Beschwerdeverfahren wegen AdV der Umsatzsteuerbescheide nicht endgültig klären. Diese Entscheidung muss vielmehr im Hauptsacheverfahren getroffen werden, das bislang noch beim FG anhängig ist.
Gleichgelagertes Hauptsacheverfahren bereits beim BFH anhängig
Zu der gleichen Problematik ist aber bereits ein Hauptsacheverfahren unter dem Az. XI R 2/18 beim BFH anhängig. Auch in diesem Verfahren geht es um die Frage, welche Anforderungen an eine Leistungsbeschreibung in den Fällen der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs aus Rechnungen über die Lieferung von Waren im Niedrigpreissegment zu stellen sind.
BFH Beschluss vom 14.03.2019 - V B 3/19 (veröffentlicht am 24.04.2019)
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