Kürzung um die zumutbare Eigenbelastung verfassungsgemäß?

Bereits im Jahr 2011 wurde in der "DStR" mit guter Begründung die Auffassung vertreten, dass der Ansatz einer zumutbaren Eigenbelastung bei Krankheitskosten verfassungswidrig ist (12/2011, Seite 552 ff.). Nun hat der BFH zwar entschieden, aber der Streit ist noch nicht beendet.

Mit Urteilen vom 2.9.2015 (VI R 32/13 und VI R 33/13) hat der BFH entschieden, dass § 33 Abs. 1 EStG verfassungsgemäß ist, da es verfassungsrechtlich nicht geboten sei, bei der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung  von Krankheitskosten auf den Ansatz der zumutbaren Belastung zu verzichten. In dem Verfahren 2 BvR 180/16 muss das BVerfG nun klären, ob die Auffassung des BFH zutreffend ist.

Hintergrund

Im Streitfall VI R 32/13 machten die Kläger Krankheitskosten von insgesamt 1.250 EUR mit ihrer ESt-Erklärung für 2008 geltend, da diese Aufwendungen zwangsläufig entstanden, und ohne Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung abzuziehen seien. Das BVerfG (Beschluss vom 13.2.2008, 2 BvL 1/06, BFH/NV Beilage 2008, 228, Haufe Index 1975492) habe nämlich entschieden, dass von Verfassung wegen der Sonderausgabenabzug derKrankversicherungsbeiträge zwingend erforderlich sei. Das müsse auch für die Krankheitskosten gelten. 

Entscheidung

Der BFH vertritt die Auffassung, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten sei, bei Krankheitskosten – dazu gehören auch unvermeidbare Zuzahlungen (Rezeptgebühren und früher die Praxisgebühren) – auf den Ansatz der zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG) zu verzichten. Denn das Existenzminimum sei nur im Umfang des im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveaus verfassungsrechtlich geschützt. Da aber auch Sozialhilfeempfänger Zuzahlungen leisten müssen, würden dafür verfassungsrechtlich keine Besonderheiten gelten.

Verfassungsbeschwerde

Nach Ansicht der Kläger überzeugt das Urteil des BFH vom 2.9.2015 (a.a.O.) nicht. Der BFH habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass ein Sozialhilfeempfänger über seinen Anteil an den Zuzahlungen hinaus auch Bedarf auf weitere Unterstützung bei den gesetzlichen Zuzahlungen haben könne, damit sein Existenzminimum gesichert bleibe. Da für die Bemessung des existenznotwendigen Aufwands auf das sozialhilferechtliche gewährleistete Leistungsniveau abzustellen sei (BVerfG vom 13.2.2008 (a.a.O.), müsse die Grundentscheidung des Gesetzgebers im SGB auch im Steuerrecht umgesetzt werden. Das bedeutet nach Auffassung der Kläger, dass Beträge, die den Eigenanteil der Sozialhilfeempfänger zu den Zuzahlungen übersteigen, ohne Berücksichtigung einer zumutbaren Eigenbelastung voll abzugsfähig sein müssten.

Praxis-Tipp

Da seit September 2013 alle Steuerbescheide hinsichtlich des Abzugs einer zumutbaren Eigenbelastung bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit und Pflege als außergewöhnliche Belastung gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig ergangen sind, waren Einsprüche gegen entsprechende Steuerbescheide nicht erforderlich. Wegen der nunmehr anhängigen Verfassungsbeschwerde ist davon auszugehen, dass bis zum Abschluss des Verfahrens beim BVerfG die Steuerbescheide weiter entsprechende Vorläufigkeitsvermerke enthalten, und ein Einspruch auch weiterhin nicht erforderlich ist. Sollten in Einzelfällen die FÄ bei bisher ruhenden Einspruchsverfahren  aufgrund des BFH Urteils vom 2.9.2015 (a.a.O.) die Rücknahme der Einsprüche anregen, ist dem nicht zu folgen, sondern auf das Verfahren 2 BvR 180/16 beim BVerfG zu verweisen.

Obwohl die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde schwer einzuschätzen sind, und außerdem nicht sicher ist, ob im Falle einer für die Steuerzahler positiven Entscheidung durch das BVerfG diese auch rückwirkend für alle offenen Fälle gilt, sollten Betroffene die Belege über Krankheitskosten weiter aufbewahren bis das Verfahren abgeschlossen ist.

StB Georg Schmitt Dipl.-Finanzwirt (FH)