Ausbildungskosten sind als Werbungskosten abziehbar

Der BFH beurteilt die Kosten der Erstausbildung und des Erststudiums als Werbungskosten und legt dem BVerfG die Frage vor, ob der im EStG geregelte Ausschluss des Werbungskostenabzugs verfassungsgemäß ist.

Hintergrund

Im Streitfall geht es um die Ausbildung zum Berufspiloten. Die Problematik betrifft weit darüber hinaus allgemein die Frage, ob die Kosten einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums

  • lediglich, wie gesetzlich vorgesehen, beschränkt im Ausgabejahr als Sonderausgaben abziehbar sind oder
  • ob es sich um unbeschränkt abziehbare Werbungskosten handelt, sodass entsprechende Verluste in die Folgejahre vorgetragen werden können. 

X absolvierte von 2005 bis 2007 die Ausbildung zum Flugzeugführer und hat seit Oktober 2007 eine entsprechende Anstellung. Für die Streitjahre (2005 - 2007) beantragte er die Feststellung verbleibender Verlustvorträge. In 2005/2006 erzielte er keine Einnahmen. Für diese Jahre machte er Ausbildungskosten von (rund) 2.000 EUR/28.000 EUR geltend. Für 2007 erklärte er Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit von 4.000 EUR und Werbungskosten in Form von Ausbildungskosten von 44.000 EUR sowie weitere Werbungskosten von 4.000 EUR. 

Das FA lehnte die Verlustfeststellung ab und setzte die ESt jeweils auf 0 EUR fest. Es handele sich um eine erstmalige Berufsausbildung, für die die Aufwendungen lediglich als Sonderausgaben mit dem Höchstbetrag von 4.000 EUR berücksichtigt werden könnten. Auch das FG verneinte die Einordnung als Werbungskosten und wies die Klage ab. 

Entscheidung

Der BFH ist der Auffassung, dass der Ausschluss des Werbungskostenabzugs für die Kosten der Erstausbildung verfassungswidrig ist. Er hält § 9 Abs. 6 EStG für nicht mit dem GG vereinbar. Nach dieser Bestimmung sind Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten, wenn diese Ausbildung nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Darin sieht der BFH einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz in der Ausprägung des Prinzips der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit

Die Argumentation des BFH geht dahin, dass die Aufwendungen für die Ausbildung zu einem Beruf als notwendige Voraussetzung für die nachfolgende Berufstätigkeit beruflich veranlasst sind und folglich als Werbungskosten berücksichtigt werden müssen. Das Abzugsverbot widerspricht damit dem Veranlassungsprinzip. Es handelt sich nicht um eine aus Gründen der Typisierung und Vereinfachung hinzunehmende Pauschalregelung. Denn typischerweise wird eine Ausbildung nicht aus privaten Motiven, sondern zwecks Einkünfteerzielung aus späterer Berufstätigkeit begonnen und durchgeführt. Außerdem handelt es sich bei den Kosten der Erstausbildung nicht um eine beliebige Einkommensverwendung. Vielmehr gehören diese Aufwendungen zum zwangsläufigen und pflichtbestimmten Aufwand, der nicht zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers steht. Sie müssen deshalb auch unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung einkommensteuerlich berücksichtigt werden. 

Diesen Anforderungen genügt der Sonderausgabenabzug von 4.000 EUR (bis 2011) bzw. 6.000 EUR (ab 2012) nicht. Denn er wirkt sich in dem Jahr, in dem die Ausbildungskosten entstehen, regelmäßig nicht aus, da während der Ausbildung typischerweise noch keine eigenen Einkünfte erzielt werden. Auch darüber hinaus geht der Sonderausgabenabzug völlig ins Leere, da er - anders als der Werbungskostenabzug - nicht zur Feststellung eines Verlusts, der mit späteren Einkünften verrechnet werden könnte, berechtigt. Nach dem vom BFH vertretenen Werbungskostenabzug wären die Ausbildungskosten im Wege der Verlustberücksichtigung in den nachfolgenden Jahren des Berufseinstiegs mit den dann erzielten Einkünften verrechenbar. 

Der BFH hat daher das vom FA eingeleitete Revisionsverfahren ausgesetzt und die Verfassungsfrage dem BVerfG vorgelegt. 

Hinweis

Der BFH hatte in 2002 seine Rechtsprechung dahin gehändert, dass Ausbildungskosten nicht mehr als steuerlich unbeachtliche Kosten der Lebensführung, sondern unter bestimmten Voraussetzungen als Betriebsausgaben/Werbungskosten anzusehen sind. Darauf hat der Gesetzgeber mit dem Abzugsverbot bei den Werbungskosten (§ 9 Abs. 6 EStG) und der Erhöhung des Sonderausgabenabzugs für Ausbildungskosten (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG) reagiert. Die rückwirkende Anwendung des Abzugsverbots ab 2004 als solche wird vom BFH nicht beanstandet. Der BFH begründet allerdings sehr überzeugend einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip. 

Mit Beschlüssen gleichen Datums hat der BFH weitere 5 Parallelfälle dem BVerfG vorgelegt. In dem zur Veröffentlichung freigegebenen Beschluss VI R 8/12 geht es um die Kosten eines Universitätsstudiums mit Auslandssemester, die vom FA und vom FG ebenfalls nur als Sonderausgaben anerkannt wurden.

Es dürfte einige Zeit dauern, bis eine Entscheidung des BVerfG vorliegt. Bis dahin heißt es für alle, die sich in einer Ausbildung befinden: Belege sammeln, und zwar über alle für die Erstausbildung bzw. das Erststudium anfallenden Kosten - vom Radiergummi bis zum Auslandspraktikum. Die Verlustfeststellung wäre dann noch möglich, solange für die Einkommensteuerfestsetzung keine Verjährung eingetreten ist (§ 10d Abs. 4 Satz 6 EStG). 

Aufgrund der BFH-Vorlage an das BVerfG und der berechtigten Aussicht auf eine Rechtsänderung werden sich bei den Finanzämtern die Anträge häufen. Es dürfte in Kürze mit einer Verwaltungsanweisung zu rechnen sein, wie die Finanzämter mit der Antragsflut zu verfahren haben.

Beschluss v. 17.7.2014, VI R 2/12, veröffentlicht am 5.11. 2014