3.1 Allgemeines

 

Rz. 12

Die persönlichen Freibeträge in den Steuerklassen I, II und III sollen kleinere Vermögenserwerbe völlig von der Steuer freistellen und somit auch für die Steuerverwaltung gleichzeitig eine Vereinfachung bewirken.

 

Rz. 13

Die Freibetragsregelung soll insbesondere eine angemessene Schonung der kleinen und mittleren Erwerbe gewährleisten. Da die Steuersätze in den Anfangsstufen niedriger sind, wird über die degressive Wirkung, die die persönlichen Freibeträge auf den Tarif haben, die Steuerbelastung des tatsächlichen Erwerbs erheblich herabgedrückt.

 
Praxis-Beispiel

Vater V schenkt seinem Kind 500.000 EUR.

Lösung:

Der tatsächliche Erwerb des Kindes beträgt 500.000 EUR, davon sind 100.000 EUR steuerpflichtig (500.000 EUR abzüglich Freibetrag von 400.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Die Steuer für diesen Erwerb in der Steuerklasse I (Steuersatz nach § 19 Abs. 1 ErbStG = 11 %) beträgt 11.000 EUR. Das bedeutet eine steuerliche Belastung des tatsächlichen Erwerbs (500.000 EUR) von nur 2,2 %.

3.2 Freibeträge bei unbeschränkter Steuerpflicht (§ 16 Abs. 1 ErbStG)

3.2.1 Überblick

 

Rz. 14

3.2.2 Freibeträge für Kinder, Enkel und Urenkel

 

Rz. 15

Nach § 16 Abs. 1 ErbStG bleibt steuerfrei in den Fällen der unbeschränkten Steuerpflicht der Erwerb der Kinder i. S. d. Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder i. S. d. Steuerklasse I Nr. 2 i. H. v. 400.000 EUR (Nr. 2), der Erwerb der Kinder der Kinder i. S. d. Steuerklasse I Nr. 2 i. H. v. 200.000 EUR (Nr. 3) sowie der übrigen Personen der Steuerklasse I i. H. v. 100.000 EUR (Nr. 4). Nach § 15 Abs. 1 ErbStG gilt die Steuerklasse I u. a. für "die Kinder und Stiefkinder" (Nr. 2) sowie für "die Abkömmlinge der in Nr. 2 genannten Kinder und Stiefkinder" (Nr. 3).

Nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes meint der Begriff "Kinder" in § 16 Abs. 1 ErbStG eindeutig nicht Kindeskinder oder weitere Abkömmlinge, sondern Kinder. Das gilt im Falle des § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auch für die doppelte Verwendung des Wortes "Kinder", so dass "Kinder der Kinder" ausschließlich die Enkel, nicht die Urenkel sind. Soweit § 16 Abs. 1 ErbStG drei Mal (zwei Mal in Nr. 2, einmal in Nr. 3) die Wendung "Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2" verwendet, ist dies nicht anders denkbar. Kinder in diesem Sinne sind die Kinder und Stiefkinder. Letztere sind der tragende Grund dafür, im Rahmen von § 16 Abs. 1 ErbStG nicht allein von Kindern, sondern von Kindern i. S. d. Steuerklasse I Nr. 2 zu sprechen. Kindeskinder oder weitere Abkömmlinge können in dieser Wendung mit dem Begriff "Kinder" nicht gemeint sein, da diese die Steuerklasse I nicht auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG, sondern auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 3 ErbStG erhalten. Andernfalls liefe die zuletzt genannte Vorschrift leer.

Aus ähnlichen Gründen ist es aber auch ausgeschlossen, den in der Wendung "Kinder der Kinder" in § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG an erster Stelle benutzten Begriff "Kinder" nicht im ursprünglichen Sinne des Wortes, sondern als "Kindeskinder" oder "Abkömmlinge" o. Ä. zu verstehen. Abgesehen von der Frage, ob das unterschiedliche Verständnis desselben, kurz nacheinander zwei Mal benutzten Begriffes noch vertretbar sein kann, zeigt die Differenzierung in § 15 Abs. 1 Steuerklasse I ErbStG zwischen Nr. 2 (Kinder) und Nr. 3 (Abkömmlinge der in Nr. 2 genannten Kinder), dass der Gesetzgeber den Begriff "Kinder" zielgenau eingesetzt hat. Meinte er sämtliche nachfolgenden Generationen in direkter Linie, hat er den Begriff der Abkömmlinge genutzt; meinte er lediglich die Kinder der Kinder, hat er dies so formuliert. Es ist kein gesetzestechnischer Anknüpfungspunkt dafür ersichtlich, dem Begriff "Kinder" punktuell ein anderes Verständnis beizulegen.

§ 16 Abs. 1 ErbStG differenziert zwischen verschiedenen Erwerbergruppen trotz gleicher Steuerklasse ausdrücklich, und zwar insb. auch zwischen verschiedenen Gruppen von Abkömmlingen. Das wird bereits an der Unterscheidung zwischen § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG und § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG augenfällig. Dies zeigt, dass nichts Grundsätzliches dagegen spricht, eine weitere Differenzierung vorzunehmen, also bestimmten Abkömmlingen auch nicht den Freibetrag des § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG, sondern nur des § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG zuzubilligen.

Die Freibeträge nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 ErbStG beruhen auf dem typisierten Grundmodell, dass jede Generation jeweils zwei Kinder hat, was die Verdoppelung der Anzahl der Abkömmlinge in jeweils einer Generation zur Folge hat. Dies erklärt die Halbierung des Freibetrags von § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (für die Kinder) zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG (wenigstens für die Enkelkinder), denn bei zwei Kindern sind nach diesem Modell typischerweise vier Enkelkinder vorhanden. Auf diesem Modell beruht etwa auch die Berechnung des Freibetrags in den Fällen des § 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig und systemgerecht, wenn sich die weitere Halbierung des Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG in § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG mit einem weiteren Schritt in der Generationenfolge deckt. Mit dem Übergang von der Generation der Enkel ...

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