Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Wegen der Geschäftsverteilung und des Sitzungsplanes der Senate siehe die §§ 4 und 27 FGO; im Hintergrund steht der Grundsatz vom gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das Prinzip der Einheit der mündlichen Verhandlung (s. § 92 FGO Rz. 1) bedeutet grundsätzlich, dass das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden kann, die der Verhandlung von Anfang bis Ende beigewohnt haben. Die Vorschrift steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verfahrensgrundsätzen der Mündlichkeit (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO) und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO) und mit § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO. Dies ist in der Regel unproblematisch, da finanzgerichtliche Verfahren in aller Regel am gleichen Tage verhandelt und entschieden werden. Erstreckt sich eine Verhandlung ausnahmsweise über mehrere Tage ist zu unterscheiden. Wird die mündliche Verhandlung unterbrochen und an einem anderen Tag fortgesetzt, handelt es sich prozessual um eine mündliche Verhandlung, sodass die Identität der Richterbank (auch der ehrenamtlichen Richter) gewährleistet sein muss. Wird hingegen eine Sache nach einer mündlichen Verhandlung vertagt und ein neuer Termin anberaumt, handelt es sich bei dem neuen Termin um eine "neue" mündliche Verhandlung, die auch in neuer Besetzung durchzuführen ist, die sich aus dem für den neuen Termin geltenden Geschäftsverteilungsplan ergibt. Das Urteil beruht dann auf dieser "neuen" letzten Verhandlung; ein Verstoß gegen § 103 FGO liegt nicht vor (BFH v. 18.05.2017, III R 20/14, BFH/NV 2017, 1675). Dies gilt auch, wenn in einem früheren Termin eine Beweisaufnahme durchgeführt worden ist. Das Ergebnis der Beweisaufnahme kann durch Verlesung des Protokolls in die "neue" Verhandlung eingeführt werden (BFH v. 18.04.2017, III B 76/16, BFH/NV 2017, 1050). Dies gilt auch bei einem Wechsel des Einzelrichters (BFH v. 28.08.2012, VII B 181/11, BFH/NV 2013, 210). Soweit von einer Verhandlung auszugehen ist, bildet sie eine Einheit, da das Urteil erst mit Abschluss der mündlichen Verhandlung nach Beratung und Abstimmung beschlossen (= gefällt) wird. Ein Richterwechsel in der Verhandlung vor der Beratung und Abstimmung über das Urteil wird also stets die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung erforderlich machen. Der Beschluss über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht anfechtbare prozessleitende Verfügung (BFH v. 24.11.2005, II B 48/05, BFH/NV 2006, 589). Allerdings können die Beteiligten auf erneute mündliche Verhandlung verzichten. Es handelt sich dann aber nicht um eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung (BFH v. 20.06.1967, II 73/63, BStBl III 1967, 794). Denn findet mündliche Verhandlung nicht statt (§ 90 Abs. 2, § 90a FGO), wird also im schriftlichen Verfahren entschieden, folgt aus dem Grundsatz des § 103 FGO, dass das Urteil dann von den Richtern gefällt wird, die an der (nicht öffentlichen) Beratung teilgenommen haben (BFH v. 22.11.2006, VI B 22/06, BFH/NV 2007, 478). Diese Vorgehensweise dürfte jedoch in Fällen einer Beweisaufnahme untunlich sein, da das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht verwertet werden kann und – sofern die Beweisaufnahme tatsächlich notwendig ist – das Urteil dann auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage basiert. Wie eine Vertagung sind die Fälle zu behandeln, in denen ein Verfahren nach erfolgreicher Anhörungsrüge (§ 133a FGO) fortgeführt wird. Auch dann findet also eine "neue" mündliche Verhandlung statt.

 

Tz. 3

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§ 103 FGO gilt entsprechend, wenn in Beschlusssachen (§ 113 FGO) fakultativ aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden wird.

 

Tz. 4

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Ist das Urteil gefällt und der Urteilstenor (nur von den Berufsrichtern) unterzeichnet, kann es bis zu seiner Verkündung oder Zustellung geändert werden. Dies kann dadurch geschehen, dass die mündliche Verhandlung wieder eröffnet wird und – in neuer Besetzung – erneut verhandelt, beraten und abgestimmt wird. Alternativ kann auch eine erneute Beratung und Beschlussfassung erfolgen; dies kann jedoch nur durch die Richter erfolgen, die an der vorherigen Entscheidungsfindung teilgenommen haben und zwar u. E. einschließlich der ehrenamtlichen Richter (auch s. § 104 FGO Rz. 4; s. auch Brandis in Tipke/Kruse, § 103 FGO Rz. 7).

 

Tz. 5

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Die Verletzung der Vorschrift ist absoluter Revisionsgrund (§ 119 Nr. 1 FGO) und rechtfertigt im Zweifel auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 134 FGO). Für die Revisionsbegründung ist § 120 Abs. 3 Nr. 2a FGO zu beachten.

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