A. Allgemeines

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vorschrift befasst sich mit der Zulässigkeit des Eindringens in das private abgegrenzte Besitztum im Zuge einer Augenscheinseinnahme. Sie ist damit eine Ergänzung zu § 92 Nr. 4 AO und § 99 AO, gibt aber keine Grundlage für eine Durchsuchung der Räumlichkeiten.

B. Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Bedeutung der Vorschrift ist vergleichsweise gering, da die Finanzbehörden selten von ihr Gebrauch machen. Wegen der vorherigen Unterrichtung der Beteiligten birgt sie zudem das Risiko, dass sich der Steuerpflichtige auf den Besuch einstellt und damit der Wert der Beweiserhebung gemindert ist.

C. Tatbestandliche Voraussetzungen

I. Betretungsrecht

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das Betretungsrecht steht den Amtsträgern (§ 7 AO), die mit der Einnahme eines Augenscheins betraut sind, den zu einem Augenschein zugezogenen Sachverständigen (§ 98 Abs. 2 AO) und allgemein dem mit der Erstattung eines Gutachtens gem. § 96 AO beauftragten Sachverständigen zu.

Nur die genannten Personen sind nach § 99 Abs. 1 Satz 1 AO berechtigt, Grundstücke, Räume, Schiffe, umschlossene Betriebsvorrichtungen und ähnliche Einrichtungen zu betreten, soweit dies erforderlich ist, um im Besteuerungsinteresse Feststellungen zu treffen. Damit betrifft das Betretungsrecht auch solche Vorrichtungen, die rein technische Aufgaben zu erfüllen haben und zum Betreten durch Menschen grundsätzlich nicht geeignet sind (z. B. Maschineneinfriedungen). Das Betretungsrecht ist jedoch auf die übliche Geschäfts- und Arbeitszeit beschränkt. Weicht die Geschäfts- oder Arbeitszeit im konkreten Fall von den allgemein üblichen Zeiten ab, wird die Finanzbehörde tunlichst sich auf die speziellen Gepflogenheiten einstellen, ohne hierzu verpflichtet zu sein. Art. 13 GG steht dem hier geregelten Recht zum Betreten von Geschäftsräumen nicht entgegen. Das BVerfG (vom 13.10.1971, 1 BvR 280/66, BVerfGE 32, 54) subsumiert unter den Begriff der Wohnung i. S. des Art. 13 GG zwar auch Geschäftsräume, mindert das Schutzbedürfnis des Inhabers von Geschäftsräumen jedoch im Verhältnis zu den Wohnräumen, indem es die üblichen Betretungs- und Besichtigungsrechte der Behörden nicht als Eingriffe und Beschränkungen i. S. des Art. 13 Abs. 3 GG qualifiziert (so auch BFH v. 22.12.2006, VII B 121/06, BFH/NV 2007, 802).

Die Einzelsteuergesetze können besondere Befugnisse zum Betreten enthalten. Von Bedeutung sind z. B. die USt-Nachschau (§ 27b UStG) und die LSt-Nachschau (§ 42g EStG). In der AO finden sich besondere Befugnisse in § 200 Abs. 3 Satz 2 AO bei der Außenprüfung, § 210 AO bei der Steueraufsicht und § 287 AO bei der Vollstreckung, Letztere auch bezüglich einer Durchsuchung.

II. Benachrichtigungspflicht

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 99 Abs. 1 Satz 2 AO sollen die betroffenen Personen angemessene Zeit vorher benachrichtigt werden. Damit wird sichergestellt, dass die betroffenen Personen anwesend sein können, wenn sie es wünschen. Die Zulässigkeit des Betretens ist jedoch nicht von der Anwesenheit der betroffenen Personen abhängig, auch wenn in der Praxis jedenfalls bei verschlossenen Räumen die Zugangsmöglichkeit wohl vor allem durch die betroffenen Personen ermöglicht wird. Angemessen ist ein Zeitraum, der es den Betroffenen normalerweise erlaubt, die notwendigen Dispositionen zu treffen bzw. bei nicht behebbaren Hindernissen unter Angabe der Gründe die Bestimmung eines anderen Termins anzuregen. Die vorherige Benachrichtigung kann entsprechend § 197 Abs. 1 Satz 1 AO unterbleiben, wenn der Zweck der Augenscheinseinnahme dadurch gefährdet wird. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn hinsichtlich des "häuslichen Arbeitszimmers" Feststellungen getroffen werden sollen und die Gefahr besteht, dass der Stpfl. den Ankündigungszeitraum nutzt, um das Zimmer entsprechend den Anforderungen der FinVerw. und der Rspr. anzupassen. Dementsprechend ziehen die Finanzbehörden in der Regel negative Schlussfolgerungen, wenn ein Stpfl. eine Augenscheineinnahme des Arbeitszimmers verweigert. Dies ist zulässig, da den Stpfl. die Feststellungslast dafür trifft, dass die Abzugsvoraussetzungen erfüllt sind. Allerdings darf der Stpfl. das Betreten verweigern, wenn es zur "Unzeit" erfolgt. Dies ist nicht schon deshalb der Fall, wenn der Besuch in den frühen Abendstunden und damit zu einer Zeit erfolgt, zu der das Arbeitszimmer typischerweise genutzt wird.

III. Besonderer Schutz der Wohnung

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die durch Art. 13 GG geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung wird in § 99 Abs. 1 Satz 3 AO besonders berücksichtigt. Auch im Besteuerungsverfahren dürfen Wohnräume grundsätzlich nur betreten werden, wenn der Inhaber damit einverstanden ist (Sonderregelung in § 29 Abs. 2 BewG für die Einheitsbewertung des Grundbesitzes, "örtliche Erhebungen"). Andernfalls wird die Finanzbehörde auf andere Beweismittel, z. B. Auskünfte, Urkunden, zurückgreifen müssen. Oft wird die Zulassung des Betretens der Wohnräume aber im Interesse des Inhabers stehen, insbes. wenn steuermindernde Tatsachen unter Beweis gestellt werden sollen. Aus einer Weigerung des Betroffene...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge