A. Allgemeines

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Pflicht zur Mitwirkung bei der Sachaufklärung ist das Korrelat zur Ermittlungspflicht der Finanzbehörde. Da sich die steuerlich relevanten Sachverhalte primär in der Sphäre des Beteiligten gestalten, ist dieser vor allem tatsächlich in der Lage, die Behörde bei den notwendigen Ermittlungen zu unterstützen. Er darf sich nicht unter Berufung auf den Untersuchungsgrundsatz (§ 88 AO) passiv verhalten, sondern muss insbes. die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen. Diese Verpflichtung ist rechtsstaatlich unbedenklich. Die Darlegungspflicht kommt insbes. bei Verhältnissen zum Tragen, die der Finanzbehörde weniger zugänglich sind als dem Stpfl. Grenze der Verpflichtung ist die Zumutbarkeit. Die Grenzen des Zumutbaren können wie bei der amtlichen Ermittlungspflicht nicht eindeutig festgelegt werden. Es ist unter Beachtung aller Umstände des einzelnen Falles nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu entscheiden, wo diese Grenzen im Einzelfall liegen. In diesem Sinne besteht eine Wechselbeziehung zwischen dem notwendigen Umfang der amtlichen Ermittlungen und der gehörigen Erfüllung der Mitwirkungspflichten der Beteiligten.

B. Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die primäre Bedeutung von § 90 AO liegt in der Begründung einer allgemeinen Mitwirkungspflicht der Beteiligten. Dabei stellt § 90 Abs. 1 AO den Grundsatz auf, dass die für die Besteuerung maßgebenden Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen sind. Allerdings enthält die Vorschrift keine Ermächtigungsgrundlage, mit der die Mitwirkungspflichten erzwungen werden könnten. Sie stellt vielmehr die allgemeine Grundlage für die in den folgenden Vorschriften konkretisierten Mitwirkungshandlungen dar. § 90 Abs. 2 AO normiert eine erhöhte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten, insbes. im Hinblick auf eine Beweismittelvorsorge; ferner enthält die Vorschrift eine Sonderregelung für die Verifizierung von Angaben des Stpfl. bei sog. nicht kooperierenden Staaten (s. Rz. 5a). § 90 Abs. 3 AO sieht besondere Aufzeichnungspflichten für Geschäftsbeziehungen i. S. von § 1 Abs. 4 AStG vor. Die Norm betrifft Vorgänge mit Auslandsbezug, sofern es sich um Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen oder um Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Stpfl. zu seiner in einem anderen Staat belegenen Betriebsstätte handelt. § 90 Abs. 3 AO bildet damit die Grundnorm für die Erstellung von Verrechnungspreisdokumentationen.

Die Verletzung von Mitwirkungspflichten führt nicht dazu, dass sich das Beweismaß für die Feststellung einer Steuerhinterziehung reduziert. Insbesondere bleibt es bei der objektiven Feststellungslast für die Finanzbehörde, ob die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung erfüllt sind (vgl. BFH v. 07.11.2006, VIII R 81/04, BStBl II 2007, 364; BFH v. 19.10.2011, X R 65/09, BStBl II 2012, 345).

C. Tatbestandliche Voraussetzungen

I. Allgemeine Mitwirkungspflicht, § 90 Abs. 1 AO

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 90 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts. Beteiligte sind in aller Regel die Stpfl., die einen Besteuerungstatbestand verwirklicht haben. Die Mitwirkungspflicht beschränkt sich auf den Sachverhalt, die Stpfl. sind demnach nicht verpflichtet, ihren Sachvortrag um Rechtsausführungen zu ergänzen, auch wenn dies im Einzelfall zweifelsohne sinnvoll sein kann. Vollständig und wahrheitsgemäß müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen dargelegt werden. Insoweit trifft den zur Mitwirkung verpflichteten Beteiligten eine Wahrheitspflicht. Allerdings muss er sich keiner Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit bezichtigen. Zur Mitwirkungspflicht gehört nach § 90 Abs. 1 Satz 2 AO auch die Verpflichtung zur Angabe der den Beteiligten bekannten Beweismittel (vgl. BFH v. 18.08.2010, X B 178/09, BFH/NV 2010, 2010). Ohne die Verpflichtung zur Angabe der dem Beteiligten und häufig allein nur ihm bekannten Beweismittel würde die Finanzbehörde nicht selten in Beweisnot geraten. Dem trägt Abs. 1 Satz 3 Rechnung. Deshalb kann auch in Bezug auf Tatsachen, bezüglich derer die Feststellungslast grds. beim FA liegt (i. d. R. steuererhöhende Tatsachen), eine erhöhte Mitwirkungspflicht für diejenigen Tatsachen bestehen, die in der Sphäre des Stpfl. liegen. Die erhöhte Mitwirkungspflicht entbindet das FA jedoch nicht davon, eigene Aufklärungsversuche zu unternehmen (BFH v. 28.10.2009, I R 28/08, BFH/NV 2010, 432). Die Erfüllung dieser Pflicht ist mit der Stellung eines Beweisantrags nicht identisch; sie begründet weder eine subjektive noch eine objektive Beweislast. Welche konkreten Handlungen die Mitwirkungspflicht im Einzelfall gebietet, ist den jeweiligen Umständen zu entnehmen. Dabei dürfen die Anforderungen an die Mitwirkung des Stpfl. nicht überspannt werden. Erfordert werden können nur Mitwirkungshandlungen, die zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich sind und vom Stpfl. auch in zumutbarer Weise erfüllt werden können. Eine andere Frage ist, wie sich aus der Sicht der FinVerw ve...

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