Tz. 8

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 234 Abs. 2 AO kann auf die Zinsen ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Der Verzicht ist Erlass, weil die Zinsen kraft Gesetzes entstehen. § 234 Abs. 2 AO ist damit eine spezielle gesetzliche Regelung zu §§ 163, 227 AO, wobei sich die Voraussetzungen für den Erlass decken (vgl. BFH v. 31.01.2010, II R 2/09, BFH/NV 2010, 1602). Es müssen also persönliche oder sachliche Billigkeitsgründe vorliegen, die eine Erhebung der Zinsen als unbillig erscheinen lassen. Dies kann bei einer Zahlung der gestundeten Beträge vor Ablauf der Stundungsfrist der Fall sein; dabei muss die Tilgung mehr als einen Monat vor Ablauf der Stundungsfrist erfolgen (AEAO zu § 234 AO, Nr. 1; FG SchlH v. 18.02.2015, 4 K 49/14, EFG 2015, 962). Im Rahmen der Billigkeitsprüfung kann auch zu berücksichtigen sein, ob der den Zinslauf auslösende Verwaltungsakt, z. B. eine ohne Antrag des Stpfl. ausgesprochene Aussetzung der Vollziehung, rechtmäßig war (BFH v. 09.05.2012, I R 91/10, BFH/NV 2012, 2004). Zum Grundsatz der Billigkeit s. § 5 AO Rz. 11. Die Unbilligkeit der Zinserhebung muss nach Lage des Einzelfalles gegeben sein, z. B. wenn durch die Erhebung der Stundungszinsen die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Stpfl. vernichtet oder ernstlich gefährdet wäre (BFH v. 30.03.2006, V R 2/04, BStBl II 2006, 612). Es ist also eine fallbezogene Betrachtung erforderlich, die in der Ermessensentscheidung des FA zu Ausdruck kommen muss. Nach dem Gesetzeswortlaut ist ein Antrag nicht erforderlich, sodass das FA auch von Amts wegen einen Verzicht aussprechen kann. In der Regel wird das FA jedoch ohne Antrag nicht tätig werden. Die Entscheidung über einen Antrag ist Verwaltungsakt. Die Ablehnung eines Antrags kann mit dem Einspruch und anschließender Verpflichtungsklage angefochten werden.

 

Tz. 9

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Obwohl sich dies dem Gesetzeswortlaut nicht eindeutig entnehmen lässt, kann die Billigkeitsmaßnahme nach § 234 Abs. 2 AO zulässigerweise schon bei der Gewährung der Stundung ausgesprochen werden, sodass sie sich in der Unterlassung der Festsetzung der Zinsen (§ 239 AO) auswirkt (s. BFH v. 20.11.1987, VI R 140/84, BStBl II 1988, 402). Sind Zinsen bereits festgesetzt, besteht im Ergebnis eine mit § 227 AO vergleichbare Rechtlage. Auch bei bereits bestandskräftiger Zinsfestsetzung ist ein Verzicht nach § 234 Abs. 2 AO möglich, da die Vorschrift auch insoweit lex specialis zu den allgemeinen Billigkeitsvorschriften ist (gl. A. Loose in Tipke/Kruse, § 234 AO Rz. 12).

 

Tz. 10

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Da sich die Unbilligkeit sowohl aus sachlichen wie auch aus persönlichen Gründen ergeben kann-, ist der Grund für die Gewährung der Stundung bei der Entscheidung mit zu berücksichtigen. Wird die Stundung im Hinblick auf unabwendbare Ereignisse (z. B. Naturkatastrophen) oder auf Illiquidität infolge längerer Krankheit oder ähnliche Umstände gewährt, so kann die Erhebung von Stundungszinsen unbillig sein. Desgleichen ist Zinsverzicht geboten, wenn vor Ende des Zinslaufs eine Aufrechnungslage eintritt (BFH v. 09.05.2007, XI R 2/06, BFH/NV 2007, 1622) oder die Stundung ohnehin als sog. Verrechnungsstundung gewährt wird. Erfüllt der Stpfl. den gestundeten Anspruch vor Fälligkeit, bleibt die Zinsfestsetzung grundsätzlich bestehen (s. Rz. 4), allerdings ist zur Vermeidung einer übermäßigen Zinsbelastung bei Erfüllung vor Fälligkeit Zinsverzicht jedenfalls dann geboten, wenn der verbleibende Zinslauf einen Monat überschreitet.

 

Tz. 11

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Befugnis zum Zinsverzicht liegt bei den Finanzbehörden, die die Zinsfestsetzung vornehmen. Im Einzelnen richtet sich die Befugnis nach der Betragshöhe: Die Finanzämter entscheiden in eigener Zuständigkeit bei Beträgen bis 20 000 EUR einschließlich, bei Beträgen bis 100 000 EUR mit Zustimmung der OFD und im Übrigen mit Zustimmung der obersten Landesfinanzbehörde, wobei der Betrag, auf den nach § 234 Abs. 2 AO verzichtet werden soll, geschätzt werden kann (s. gleichlautende Ländererlasse v. 24.03.2017, BStBl I 2017, 419). Soweit eine Zustimmung erforderlich ist, ist diese vor der Stundung einzuholen. Wegen der Höhe und Berechnung der Zinsen s. § 238 AO. Zur Festsetzungsfrist s. § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO.

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