1. Gesonderte Feststellung (§ 179 Abs. 1 AO)

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die gesonderte Feststellung erfolgt durch Feststellungsbescheid. Gegenstand des Feststellungsbescheids sind die i. d. R. mehreren Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen (s. Rz. 2), die jede für sich einen selbstständigen Ausspruch ("Tenor") bilden. Die einzelne Feststellung ist jedoch kein gesonderter Verwaltungsakt, Verwaltungsakt ist der Feststellungsbescheid als Zusammenfassung einzelner Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen (BFH v. 27.04.1993, VIII R 27/92, BStBl II 1994, 3 m. w. N.; BFH v. 10.10.2012, VIII R 56/10, BStBl II 2013, 107; Kunz in Gosch, § 180 AO Rz. 11 und 61; von Wedelstädt, DB 1997, 696 m. w. N.; zum EW-Bescheid s. § 180 AO Rz. 4). Die einzelne Feststellung enthält aber eine rechtlich selbstständige Würdigung, ist eines rechtlich selbstständigen Schicksals fähig und kann selbstständig angefochten werden (h. M., u. a. BFH v.09.02.2011, IV R 15/08, BStBl II 2011, 764 m. w. N.; Kunz in Gosch, § 180 AO Rz. 61 m. w. N.). Dazu gehören z. B. die Qualifikation der Einkünfte, die Existenz einer Mitunternehmerschaft, die Höhe des Gesamtgewinns, des laufenden Gewinns, eines Veräußerungsgewinns oder eines Sondergewinns (im Einzelnen s. § 180 AO Rz. 13 ff.). Wird eine Feststellung angefochten, wird der Feststellungsbescheid insoweit nicht bestandskräftig. Hat aber die begehrte Änderung einer gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlage zwangsläufig Auswirkungen auf andere gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlagen, erstreckt sich die Anfechtung des Feststellungsbescheids auch auf diese Besteuerungsgrundlagen, wird der Feststellungsbescheid also auch insoweit nicht bestandskräftig (BFH v. BFH v. 28.06.2006, XI R 31/05, BStBl II 2007, 378 m. w. N.; von Wedelstädt, AO-StB 2004, 211 m. w. N. und Beispielen). Das ist z. B. der Fall, wenn die beantragte Herabsetzung eines Veräußerungsgewinns zur Erhöhung des laufenden Gewinns führt (s. BFH v. 08.06.2000, IV R 65/99, BStBl II 2001, 89). Hinsichtlich der nicht angefochtenen Feststellungen erwächst der Feststellungsbescheid in Teilbestandskraft mit der Folge, dass nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist der Einspruchsführer seinen Einspruch nicht auf andere Feststellungen erweitern kann (u. a. BFH v. 26.02.2002, IX R 20/98, BStBl II 2002, 796 m. w. N.; Kunz in Gosch, § 180 AO Rz. 61 m. w. N.). Gleichwohl hat das FA den Feststellungsbescheid ohne Bindung an die Anträge in voller Höhe zu überprüfen und ggf. auch hinsichtlich nicht angefochtener Feststellungen zu verbösern (h. M., u. a. BFH v. 04.11.2003, VIII R 38/01, BFH/NV 2004, 1372 m. w. N.; Seer in Tipke/Kruse, § 367 AO Rz. 10 m. w. N.; von Wedelstädt, AO-StB 2004, 211 m. w. N.). Entfaltet eine einzelne Regelung im Feststellungsbescheid Bindungswirkung für andere Regelungen dieses Bescheids, indem die Aussagen in einem rechtlichen Stufenverhältnis zueinander stehen, kann die nachrangige Feststellung nicht mehr mit einer Begründung angefochten werden, die als Vorfrage bestandskräftig festgestellt worden ist (BFH v. 12.10.2005, VIII R 66/03, BStBl II 2006, 307 m. w. N.). So kann ein Veräußerungsgewinn (Folgefrage) nicht mit der Begründung angefochten werden, es liege keine Mitunternehmerschaft (Vorfrage) vor, wenn die Feststellung der Mitunternehmerschaft bestandskräftig ist. Gleiches gilt auch für das Verhältnis von Betriebsaufgabetatbestand (Vorfrage) zur Höhe des Betriebsaufgabegewinns (Folgefrage). Im Klageverfahren werden Feststellungen, die vom Kläger nicht angefochten werden, ebenfalls teilbestandskräftig (BFH v. 09.02.2011, IV R 15/08, BStBl II 2011, 764; BFH v. 16.07.2015, IV B 72/14, BFH/NV 2015, 1351; Brandis in Tipke/Kruse, § 180 AO Rz. 11 m. w. N.). Das Verböserungsverbot verbietet aber anders als im Einspruchsverfahren eine Gesamtaufrollung, nicht angefochtene Feststellungen können also gerichtlich nicht geprüft werden.

 

Tz. 7a

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Es ist zulässig, dass mehrere aus verschiedenen Gründen vorzunehmende gesonderte Feststellungen in einem Feststellungsbescheid zusammengefasst werden, wie z. B. die Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO mit der Feststellung nach § 15a Abs. 4 EStG (§ 15a Abs. 4 Satz 5 EStG, BFH v. 20.11.2014, IV R 47/11, BStBl II 2015, 532 m. w. N.) oder die Zusammenfassung von zwei Feststellungsbescheiden für Rumpfwirtschaftsjahre in einem Bescheid (s. BFH v. 23.09.1999, IV R 59/98, BStBl II 2000, 170). In diesen Fällen handelt es sich um zwei Feststellungsbescheide und daher um rechtlich getrennte Verwaltungsakte (von Wedelstädt, DB 1997, 696, 698). Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte nach §§ 179 Abs. 1 und 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist Grundlagenbescheid i. S. der §§ 171 Abs. 10 Satz 1, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO für die Feststellung des Gewinns bzw. des ausgleichs- und abzugsfähigen Verlusts eines Kommanditisten i. S. des § 15a Abs. 4 Satz 1 EStG und umgekehrt (BFH v. 20.11.2014, IV R 47/11, BStBl II 2015, 532). Zur Bindungswirkung der gesonderten...

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