Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Aus Vertrauensschutzgründen ist der Widerruf rechtmäßig begünstigender Verwaltungsakte nur zulässig, wenn einer der abschließend in § 131 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AO aufgezählten Widerrufsgründe erfüllt ist.

I. Zulassung des Widerrufs durch Rechtsvorschrift oder Vorbehalt (§ 131 Abs. 2 Nr. 1 AO)

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Widerruf ist zulässig, wenn er durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten worden ist.

 

Tz. 8

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Durch Rechtsvorschrift zugelassen ist der Widerruf z. B. in § 148 Satz 3 AO für den Fall der Buchführungserleichterung, in § 46 Satz 2 UStDV für die Dauerfristverlängerung, in § 44a Abs. 2 Satz 2 EStG hinsichtlich der Abstandnahme vom Steuerabzug.

 

Tz. 9

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Der behördliche Widerrufsvorbehalt ist eine Nebenbestimmung zum Verwaltungsakt und steht nach § 120 Abs. 2 Nr. 3 AO im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (s. § 120 AO Rz. 6). Ist der Widerrufsvorbehalt bestandskräftig, ist ein Widerruf grundsätzlich auch dann möglich, wenn der Widerrufsvorbehalt rechtswidrig ist, es sei denn dies ist offensichtlich (BFH v. 21.05.1997, I R 38/96, BFH/NV 1997, 904; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 344; von Wedelstädt in Gosch, § 131 AO Rz. 10; a. A. Loose in Tipke/Kruse, § 131 AO Rz. 15).

 

Tz. 10

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Der Widerruf nach § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO steht selbst im Ermessen der Behörde. Er setzt einen sachlichen Grund voraus, der regelmäßig vorliegt, wenn die Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsakts weggefallen sind oder sich die Rechts- oder Sachlage nach Erlass des Verwaltungsakts geändert hat. Bei unveränderter Rechts- oder Sachlage ist der Widerruf ermessensfehlerhaft (von Wedelstädt in Gosch, § 131 AO Rz. 10.1).

II. Nichterfüllen einer Auflage (§ 131 Abs. 2 Nr. 2 AO)

 

Tz. 11

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War der rechtmäßige Verwaltungsakt gem. § 120 Abs. 2 Nr. 5 AO mit einer Auflage (s. § 120 AO Rz. 7) verbunden, die vom Betroffenen nicht oder nicht fristgemäß erfüllt wird, kann der Verwaltungsakt nach § 131 Abs. 2 Nr. 2 AO widerrufen werden.

 

Tz. 12

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Der Widerruf setzt grundsätzlich voraus, dass die Auflage rechtmäßig ist (s. § 120 AO Rz. 7). Er ist jedoch auch dann möglich, wenn die Verfügung der Auflage rechtswidrig aber bestandskräftig ist, es sei denn, die Rechtswidrigkeit ist offensichtlich (von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 347; von Wedelstädt in Gosch, § 131 AO Rz. 11; a. A. Loose in Tipke/Kruse, § 131 AO Rz. 18, der in jedem Fall einen Ermessensfehler bejaht).

 

Tz. 13

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Unerheblich ist, aus welchen Gründen die Auflage nicht oder nicht fristgemäß erfüllt wird. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Fehlendes Verschulden kann jedoch bei der Ausübung des Widerrufsermessens zu beachten sein. Der Widerruf setzt nicht voraus, dass die Finanzbehörde die Erfüllung der Auflage zunächst durch den Einsatz von Zwangsmitteln durchzusetzen versucht (von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 349; von Wedelstädt in Gosch, § 131 AO Rz. 12 f.; a. A. Loose in Tipke/Kruse, § 131 AO Rz. 19, nach dem die Behörde im Rahmen ihrer Ermessenserwägung zu prüfen hat, ob die Auflage mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann).

 

Tz. 14

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Für andere Nebenbestimmungen i. S. des § 120 AO ist § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht anwendbar. Steht die Regelung des Verwaltungsakts unter einer Bedingung, führt die Nichterfüllung der Bedingung dazu, dass der Verwaltungsakt bei aufschiebender Bedingung nicht wirksam und bei auflösender Bedingung von selbst unwirksam wird, ohne dass es eines Widerrufs bedarf (BFH v. 03.07.2002, XI R 20/01, BStBl II 2002, 842; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 349; von Wedelstädt in Gosch, § 131 AO Rz. 13). Eine auflösende Bedingung liegt z. B. dann vor, wenn eine Stundung unter Gewährung von Teilzahlungen unter dem Vorbehalt ausgesprochen wird, dass die Teilzahlung pünktlich geleistet wird (Loose in Tipke/Kruse, § 131 AO Rz. 21 hält die hierdurch bewirkte Umgehung einer Ermessensentscheidung im Einzelfall für bedenklich).

III. Nachträglich eingetretene Tatsachen (§ 131 Abs. 2 Nr. 3 AO)

 

Tz. 15

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Ein Widerruf ist nach § 131 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AO auch dann zulässig, wenn die Finanzbehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Beide Tatbestandsvoraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. So führt die Aufhebung des Steuerfestsetzungsbescheids dazu, dass die Anrechnungsverfügung gem. § 131 Abs. 2 Nr. 3 AO widerrufen werden kann (BFH v. 14.06.2016, VII B 47/15, BFH/NV 2016, 1428).

 

Tz. 16

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Regelung erfasst Dauerverwaltungsakte (s. § 118 AO Rz. 26; AEAO zu § 131, Nr. 2; Loose in Tipke/Kruse, § 131 AO Rz. 23), da sich nur auf diese das nachträgliche Eintreten von Tatsachen auswirken kann. Voraussetzung ist jedoch, dass keine endgültige Dauerentscheidung (wie z. B. bei einer Prüfungsentscheidung) getroffen werden sollte (Loose in Tipke/Kruse, § 131 AO Rz. 25)....

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