Tz. 17

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Krankheit wird in der Praxis sehr häufig als Entschuldigungsgrund geltend gemacht. Oft lehnen die Finanzbehörden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Hinweis ab, dass der Betroffene durch die Krankheit nicht gehindert gewesen sei, den Rechtsbehelf fristgerecht einzulegen und ihn erst nach der Gesundung zu begründen. Auch auf die Möglichkeit, einen derartigen (vorsorglichen) Rechtsbehelf durch einen Bevollmächtigten einlegen zu lassen, wird häufig verwiesen. Dem kann nicht generell gefolgt werden. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Betroffene durch seine Erkrankung gehindert ist, die für die befristete Handlung erforderlichen Überlegungen anzustellen und die erforderliche Erklärung abzugeben. Dies ist, notfalls unter Berücksichtigung ärztlicher Begutachtung, im konkreten Krankheitsfall zu prüfen. Ein rein vorsorgliches (d. h. ausschließlich auf Fristwahrung gerichtetes) Handeln kann auch dann nicht gefordert werden, wenn damit kein Kostenrisiko verbunden ist. In der Regel können aber ausschließlich unvorhergesehene und schwere Erkrankungen das Verschulden des Fristversäumnisses ausschließen (BFH v. 20.11.2013, X R 2/12, BStBl II 2014, 236).

Da der Betroffene berechtigt ist, Fristen voll auszuschöpfen, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann zu gewähren, wenn der Betroffene erst kurz vor Fristablauf so schwer erkrankt, dass er die Frist nicht mehr einhalten kann und er auch nicht mehr in der Lage ist, einen Dritten mit der Interessenwahrung zu beauftragen (BFH v. 23.02.1983, I R 128/82, BFH/NV 1987, 246). Bestand die Erkrankung schon zu Beginn des Fristlaufs und erstreckt sie sich über das Fristende hinaus, ist ebenso wie bei Langzeiterkrankungen danach zu unterscheiden, ob und in welchem Umfang der Betroffene noch in der Lage ist, seine steuerlichen Angelegenheiten fristgemäß zu regeln. Bestand die zur Handlungsunfähigkeit führende Erkrankung schon bei Beginn des Fristlaufs, wird man in der Regel fehlendes Verschulden annehme können. Bei Erkrankungen, die nur zu jeweils zeitlich begrenzten Ausfallerscheinungen führen, ist es dem Betroffenen jedoch zumutbar, einen Dritten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen; Fehleinschätzungen über den eigenen Krankheitszustand gehen zulasten des Betroffenen. Bei Langzeiterkrankungen, die die Handlungsfähigkeit dauerhaft ausschließen, wird der Stpfl. Vorkehrungen dafür treffen müssen, dass seine Angelegenheiten auch in Fristsachen ordnungsgemäß erledigt werden. Ob die Art und Schwere der Erkrankung ausreicht, kann nur im Einzelfall geprüft werden. Die Glaubhaftmachung erfolgt in der Regel durch ein ärztliches Attest. Dabei reicht indes der allgemeine Hinweis auf eine Erkrankung nicht aus. Es muss sich dem Attest vielmehr entnehmen lassen, warum der Stpfl. gerade an der fristgemäßen Vornahme der erforderlichen Handlung gehindert war. Im Zweifel trägt der Stpfl. dafür die Feststellungslast.

Auch die Erkrankung naher Angehöriger kann ein hinreichender Entschuldigungsgrund sein.

Ein Unternehmen hat dafür Sorge zu tragen, dass Posteingänge auch während einer Erkrankung des (einzigen) gesetzlichen Vertreters (Geschäftsführers o. Ä.) bearbeitet und ggf. fristgebundene Weisungen an steuerliche Vertreter bzw. Prozessbevollmächtigte erteilt werden.

Auch Erkrankungen oder der Tod von Angehörigen kann eine Wiedereinsetzung rechtfertigen; hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.

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