Tz. 18

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Gegenstand der tatsächlichen Verständigung ist die einvernehmliche Festlegung des Sachverhalts, der der Besteuerung zugrunde gelegt werden soll. Die Vereinbarung bezieht sich auf Sachverhaltsfragen und nicht auf Rechtsfragen (u. a. BFH v. 11.04.2017, IX R 24/15, BStBl II 2017, 1155 m. w. N.). Anwendungsmöglichkeiten liegen im Bereich der Schätzung, der Bewertung, der sachlichen Wertung eines Sachverhalts einschließlich der Beweiswürdigung (s. von Wedelstädt, DB 1991, 515, 516).

 

Tz. 19

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die tatsächliche Verständigung kann anders als die verbindliche Auskunft regelmäßig nur abgeschlossene Sachverhalte, nicht künftige Sachverhaltsgestaltungen betreffen (u. a. BFH v. 08.10.2008, I R 63/07, BStBl II 2009, 121). Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung bezieht sie sich stets auf einen abgelaufenen Besteuerungszeitraum (BFH v. 13.02.2008, I R 63/06, BStBl II 2009, 414). Bei Sachverhalten mit Dauerwirkung wie z. B. bei der Festlegung der Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes (FG BW v. 26.03.1992, 3 K 132/86, EFG 1992, 706) wirkt sich die tatsächliche Verständigung auch in der Zukunft aus, sofern gleich bleibende Umstände vorliegen (BFH v. 13.08.1997, I R 12/97, BFH/NV 1998, 498; Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 12 m. w. N.; BMF v. 30.07.2008, BStBl I 2008, 831, Nr. 4.2; offenlassend BFH v. 13.02.2008, I R 63/06, BStBl II 2009, 414). Die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung in die Zukunft muss aber von den Beteiligten auch so gewollt worden sein (BFH v. 13.02.2008, I R 63/06, BStBl II 2009, 414; Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 12). Dagegen ist m. E. eine tatsächliche Verständigung mit einer Bindungswirkung auch für die Zukunft über einen Sachverhalt mit einer Dauerwiederkehr nicht ohne Weiteres zulässig (von Wedelstädt, AO-StB 2001, 190, 191; a. A. Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, 431 für die Festlegung von Garantierückstellungen auch für die Zukunft). Denn Sachverhalte mit Dauerwirkung sind abgeschlossen, Sachverhalte mit Dauerwiederkehr sind zwar im Grunde angelegt, ob sie aber auch in Zukunft wiederkehren und in welchem Umfang oder in welcher Höhe, entscheidet erst der Geschehensablauf in den künftigen Veranlagungszeiträumen. Im Übrigen besteht in diesen Fällen die Möglichkeit, den Sachverhalt so zu gestalten, dass er nicht erschwert zu ermitteln ist. Das gilt für die Festlegung der Höhe der Garantierückstellungen ebenso wie z. B. für die Abgrenzung von privater und beruflicher Nutzung von Wirtschaftsgütern.

 

Tz. 20

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Typische Gegenstände von tatsächlichen Verständigungen sind z. B.

  • Schätzungen, wie Zuschätzungen nach Kalkulationsdifferenzen (BFH v. 31.07.1996, XI R 78/95, BStBl II 1996, 625; Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, 202), einschließlich der anzuwendenden Schätzungsmethode (BFH v. 12.08.1999, XI R 27/98, BFH/NV 2000, 537 m. w. N.),
  • Abgrenzungen und Aufteilungen z. B. zwischen privater und betrieblicher Nutzung, zwischen steuerpflichtiger und steuerfreier oder nicht steuerbarer Einkunftssphäre, zwischen verschiedenen Einkunftsarten (Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, 201),
  • Angemessenheit von Geschäftsführergehältern als Verständigung über tatsächliche Vorfragen wie Umfang, insbes. der Verhältnisanteil der als angemessen anzusehenden variablen Bestandteile der Geschäftsführervergütung einer GmbH (BFH v. 13.08.1997, I R 12/97, BFH/NV 1998, 498),
  • Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes (FG BW v. 26.03.1992, 3 K 132/86, EFG 1992, 706; Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, 198),
  • Bewertungen wie Teilwert, Verkehrswert oder gemeiner Wert (Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, 196 ff.),
  • Auslegung und rechtliche Beurteilung zivilrechtlicher Verträge oder Rechtsfragen, die als Vorfragen (vorgreiflich, s. auch zum Tatsachenbegriff i. S. des § 173 AO) der steuerlichen Beurteilung zugrunde zu legen sind (von Wedelstädt, AO-StB 2001, 190, 191; FG Nds v. 19.11.1996, VI 393/92, EFG 1997, 846),
  • Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht (BFH v. 20.09.2007, IV R 20/05, BFH/NV 2008, 532).
 

Tz. 21

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§§ 38 und 85 AO) verbietet es, Vergleiche über die steuerrechtliche Beurteilung von Sachverhalten abzuschließen (h. M., z. B. BFH v. 08.10.2008, I R 63/07, BStBl II 2009, 121 m. w. N.; ebenso Söhn in HHSp, § 78 AO Rz. 158 ff.; Rätke in Klein, § 78 AO Rz. 4; Wünsch in Koenig, § 88 AO Rz. 51; Buciek, DStZ 1999, 379, 396; von Wedelstädt, AO-StB 2001, 190; Offerhaus, DStR 2001, 2093; BMF v. 30.07.2008, BStBl I 2008, 831, Nr. 4.2; auch s. § 38 AO Rz. 2; a. A. Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 29, der i.E. nur die gesetzesabweichende Steuervereinbarung ausschließt; Rüsken in Gosch, § 78 AO Rz. 60.3 f.; Wolf, DStZ 1998, 267). Das bedeutet: eine tatsächliche Verständigung ist nicht zulässig zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen, über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen oder über die Anwendu...

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