Leitsatz

1. Der Begriff des Verschuldens i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen in gleicher Weise auszulegen wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen.

2. Das schlichte Vergessen des Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen in die entsprechende Anlage zur Einkommensteuererklärung ist nicht grundsätzlich grob fahrlässig i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.

 

Normenkette

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Nach den (nicht ausreichenden) tatsächlichen Feststellungen des FG hatte der Berater einen von ihm händisch ermittelten Auflösungsverlust i.S.v. § 17 Abs. 4 EStG versehentlich nicht in das dafür vorgesehene Feld der elektronischen Steuererklärung übertragen. Als der Steuerpflichtige die Änderung des bestandskräftig gewordenen Bescheids beantragte, lehnte das FA ab. Auch das FG nahm insoweit ein grobes Verschulden des Beraters an.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Entscheidung des FG Münster (Urteil vom 23.1.2014, 8 K 2198/11 F, Haufe-Index 7281507, EFG 2014, 1748) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das FG zurückverwiesen. Das vom FG festgestellte bloße Vergessen der Eintragung rechtfertigt als mechanischer, unbewusster Fehler nicht den Vorwurf groben Verschuldens. Das FG muss nun noch einmal prüfen, ob dem Berater (aus einem anderen Grund) der Vorwurf groben Verschuldens gemacht werden kann. Dazu müsste das FG allerdings noch weitere tatsächliche Feststellungen treffen.

 

Hinweis

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sieht vor, dass ein bestandskräftiger Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen bei Bekanntwerden neuer Tatsachen geändert werden muss, auch wenn den Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen oder Beweismittel ein Verschulden trifft. Ausgeschlossen ist die Änderung nur bei grobem Verschulden. Liest man die Norm einmal in dieser Weise, wird deutlich, dass sich das Regel- und Ausnahmeverhältnis in der Praxis häufig anders darstellt. Grund dafür ist eine großzügige Anwendung des Ausdrucks "grobes Verschulden". Dabei entspricht die Auslegung des Begriffs durchaus dem, was auch in anderen Teilrechtsordnungen unter grober Fahrlässigkeit verstanden wird. Erst auf der letzten Stufe der Subsumtion wird die "Großzügigkeit" sichtbar, z.B. wenn ein alltägliches Missgeschick als grobe Unachtsamkeit gebrandmarkt wird. An dieser Stelle setzt das Urteil an:

1. Die abstrakte Definition des groben Verschuldens wird vom BFH bestätigt. Grobes Verschulden setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die ihm (nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen) zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat. Insofern gilt ein individueller Maßstab. Jedes Verschulden setzt Sorgfaltspflichten voraus. Den Steuerpflichtigen wird z.B. zugemutet, bei der Erstellung von Steuererklärungen die Ausfüllanleitungen der Finanzverwaltung genau zu lesen.

2. Verschulden seines Beraters muss sich der Steuerpflichtige wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Für die Annahme groben Verschuldens kommt es dann auf die Fähigkeiten und Verhältnisse des Beraters an, die insofern freilich nicht mehr individuell, sondern grundsätzlich für alle Berater in gleicher Weise bestimmt werden (professioneller Standard).

3. Bei der Abgabe von Steuererklärungen in elektronischer Form ergeben sich grundsätzlich keine besonderen Sorgfaltsanforderungen (Leitsatz 1). Der am Bildschirm nicht so leicht zu erlangende Gesamtüberblick ist aber zu berücksichtigen.

4. Zur Abgrenzung des groben Verschuldens von einfachem Verschulden stellt der BFH in der Besprechungsentscheidung darauf ab, ob der Fehler bewusst oder unbewusst geschehen ist. Zu den unbewussten Fehlern gehören danach insbesondere mechanische Versehen (wie Verschreiben, Vergreifen, Verrechnen). Grundsätzlich begründen unbewusste Fehler danach nicht den Vorwurf groben Verschuldens. Allerdings sollen auch nicht alle unter § 129 AO fallenden mechanischen Versehen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO korrigierbar sein. Welche mechanischen Fehler nicht darunter fallen, hat der BFH nicht ausgeführt.

5. Im Streitfall genügten dem BFH die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht für dessen Würdigung, dem Berater sei hinsichtlich der fehlenden Eintragung in der elektronischen Steuererklärung grobes Verschulden vorzuwerfen. Das FG hatte (noch) keine Tatsachen festgestellt, aus denen auf ein grobes Verschulden des Beraters geschlossen werden konnte.

6. Die Umkehrung dieser allein den Streitfall betreffenden (negativen) Aussage und die Formulierung einer abstrakten (positiven) Aussage wie im 2. Leitsatz der Entscheidung sind mit Vorsicht zu genießen. Darauf deutet nicht nur das "grundsätzlich" hin, welches die Aussage relativiert. Die bloße Behauptung, die Eintragung sei versehentlich unterblieben und es handele sich um einen unbewussten Übertragungsfehler, wird wohl auch in Zukunft kein Allheilmittel sein, um jede Änderung eines Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO durchsetzen zu können. Zu der Aussage des BFH im 2. Leitsatz, das...

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