Leitsatz

1. Ein Beitreibungsersuchen genügt den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EG-BeitrG, wenn die ersuchende Behörde dem Bundeszentralamt für Steuern per E-Mail eine Datei übersendet, die im PDF-Format den Vollstreckungstitel der ersuchenden Behörde wiedergibt.

2. Der deutsche Gesetzgeber ist nicht gehindert, zur Vollstreckung aus einem Beitreibungsersuchen weitergehende Amtshilfe zu leisten, als in der BeitrRL vorgesehen.

3. Die Vollstreckung eines ausländischen Haftungsbescheids aufgrund des Betreibungsersuchens verstößt nicht deshalb gegen den inländischen ordre public, weil das Ersuchen vor einer vorangegangenen erfolglosen Vollstreckung in das Vermögen des Steuerschuldners ergangen ist.

 

Normenkette

§ 219 Satz 2, § 309 AO, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EG-BeitrG, Art. 7, 22 BeitrRL, Art. 12 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1179/2008

 

Sachverhalt

Wegen nicht beitreibbarer Steuerschulden einer in Spanien ansässigen Gesellschaft ist deren in Deutschland ansässiger Geschäftsführer von einem spanischen FA mit Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden. Da nicht gezahlt worden ist, betreibt das spanische FA die Vollstreckung. Es hat dem Geschäftsführer (Kläger) eine Vollstreckungsanordnung zugestellt. In dieser Sache hat sich die spanische Staatsbehörde für Steuerverwaltung sodann an das BZSt per E-Mail mit einem Beitreibungsersuchen gewandt. Der E-Mail waren die Vollstreckungsanordnung und das Formular "Ersuchen um Beitreibung gem. Art. 6 der Richtlinie 2008/55/EG" angefügt. Das BZSt leitete die E-Mail an das beklagte FA weiter, das eine Zahlungsaufforderung an den Kläger als Drittschuldner erließ und die Steueransprüche des Klägers gegen das FA pfändete. Dem Kläger wurde eine Abschrift der Pfändungs- und Einziehungsverfügung übersandt. Dabei teilte das FA Namen und Anschrift des spanischen FA, Steuernummer, Steuerart und Zeitraum, Festsetzungsdatum und Betrag der Forderung mit. Gegen diese Verfügung richtet sich die im Revisionsverfahren an den BFH gelangte Klage.

Das FG hatte eine Feststellungsklage mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit weiterer, noch nicht durchgeführter Vollstreckungsmaßnahmen wegen Mängeln des Beitreibungsersuchens festzustellen, insbesondere wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes als zulässig angesehen, wies sie aber als unbegründet abgewiesen.

 

Entscheidung

Der BFH hat das klageabweisende Urteil des FG (FG Hamburg, Urteil vom 11.11.2011, 3 K 192/11, Haufe-Index 2882689, EFG 2012, 485) aus den Gründen der Praxis-Hinwiese bestätigt. Auch die Verfügung des beklagten FA genüge den Anforderungen des § 309 Abs. 2 AO.

 

Hinweis

Nach § 4 Abs. 1 EG-BeitrG findet eine Vollstreckung auf einen Antrag der ausländischen Behörde statt, wenn diese Behörde einen in ihrem Staat vollstreckbaren Titel in amtlicher Ausfertigung oder beglaubigter Kopie vorlegt und bestätigt, dass die Forderung oder der Vollstreckungstitel in ihrem Staat nicht angefochten ist und im Staat der ersuchenden Behörde bereits Vollstreckungsverfahren aufgrund des Titels durchgeführt wurden, diese Maßnahmen jedoch weder zur vollständigen Tilgung der Forderung geführt haben noch voraussichtlich führen werden. Vollstreckungsmaßnahmen können allerdings auch dann eingeleitet werden, wenn die Forderung oder der Vollstreckungstitel angefochten ist.

Nach der Verordnung (EG) Nr. 1179/2008 (ABlEU Nr. L 319/21) genügt für die Vorlage des Titels eine per E-Mail übersandte Datei, die im PDF-Format den Vollstreckungstitel wiedergibt.

Das EG-BeitrG geht möglicherweise über die unitäre Beitreibungs-Richtlinie insofern hinaus, als es eine Vollstreckung aus nicht bestandskräftigen Titeln zulässt (wie sie auch bei deutschen FA-Titeln zulässig ist). Dass lässt sich unionsrechtlich nicht beanstanden. Denn der deutsche Gesetzgeber ist nicht gehindert, weitergehende Amtshilfe zu leisten, als er unionsrechtlich leisten muss!

Die Wirksamkeit des Titels und die Vollstreckbarkeit der beizutreibenden Forderung sind von der ersuchten Behörde grundsätzlich nicht zu prüfen, es sei denn die Vollstreckung wäre mit der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates unvereinbar (Vorbehalt des ordre public). Das ist freilich nur in engen Grenzen anzunehmen, nämlich wenn eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Staates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts zu gewärtigen wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 11.5.2000, C-38/98, Slg. I-2973). Anderenfalls würde angesichts der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen und Rechtsverständnisse in den einzelnen europäischen Staaten die Beitreibungshilfe schwerlich funktionieren!

Eine solche Unvereinbarkeit mit dem ordre public in Deutschland besteht im Besprechungsfall nicht. Auch nicht unter dem Aspekt, dass Vollstreckungsmöglichkeiten gegen die Gesellschaft möglicherweise nicht ausgeschöpft worden sind.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 11.12.2012 – VII R 70/11

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