Entscheidungsstichwort (Thema)

Ernstliche Zweifel an der Grundsteuerwertfeststellung im sog. Bundesmodell

 

Leitsatz (amtlich)

1. Steuerpflichtige können gegen ihren Grundsteuerwertbescheid auf den Stichtag 1.1.2022 einheitlichen Rechtsschutz bei den Finanzgerichten erlangen, ohne bezüglich ihrer Einwände gegen die der Bewertung zugrundeliegenden Bodenrichtwerte die Verwaltungsgerichte anrufen zu müssen.

2. Bei verfassungskonformer Auslegung ist es auch nach den Bewertungsregeln der §§ 218 ff. BewG möglich, einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden niedrigeren Grundstückswert nachzuweisen. Ein Wertgutachten ist hierfür nicht zwingend erforderlich.

3. Bezüglich der für Rheinland-Pfalz errichteten Gutachterausschüsse bestehen ernstliche Zweifel an der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit, weil nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung Einflussnahmemöglichkeiten durch den Vorsitzenden des Gutachterausschusses und durch die Finanzverwaltung auf die personelle Zusammensetzung des Ausschusses nicht ausgeschlossen werden können.

4. Es bestehen ernstliche Zweifel bezüglich der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte notwendigen Datengrundlage, weil in den zur Ableitung der Bodenrichtwerte geführten Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse in erheblichem Umfang Datenlücken zu befürchten sind, die zu erheblichen Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte führen könnten.

5. Es bestehen ernstliche Zweifel daran, dass die neuen Bewertungsvorschriften der §§ 218 ff. BewG dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Gebot einer realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung entsprechen. So ist bereits nicht eindeutig, was der genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein soll.

6. Die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen in den §§ 243 ff. BewG und eine nahezu vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke führt zu gleichheitswidrigen Wertverzerrungen für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung.

7. Es besteht ein gleichheitswidriges Vollzugsdefizit bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte, weil den Gutachterausschüssen keine effektiven Instrumente zur Sachverhaltsermittlung sowie zur Verifikation der Angaben von Grundstückseigentümern zur Verfügung stehen.

 

Normenkette

BewG §§ 9, 198, 218-221, 229, 243-244, 247, 249, 251-258, 261-262; BewG Anlage 36; BewG Anlage 37; BewG Anlage 38; BewG Anlage 39; BewG Anlage 40; BewG Anlage 41; GrStG §§ 2, 9-10, 16, 25, 27, 32, 34-35; BauGB §§ 192-193, 195-196, 199; GaVO §§ 2-3, 5, 7-11, 13-14; MietNEinV; AO § 3 Abs. 1, §§ 6, 163, 180, 184 Abs. 1, §§ 227, 233a; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, §§ 69, 74, 76, 114, 114; VwGO § 40; BetrKV §§ 1-2

 

Gründe

I.

Strittig ist die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften gemäß §§ 218 ff. Bewertungsgesetz (BewG), die zur Ermittlung des für die Grundsteuererhebung ab dem 1. Januar 2025 maßgeblichen Grundsteuerwerts auf den 1. Januar 2022 herangezogen werden sollen. Überdies ist strittig, ob bei der Bewertung der Immobilie der Antragstellerin eine niedrigere als die gesetzlich fingierte Miete angesetzt werden konnte.

Das Antragsverfahren betrifft die wirtschaftliche Einheit des Grundstücks in X, -Straße Nr. ..., Gemarkung ..., Flur-Nr. ..., Flurstücks-Nr. ... Der Bodenrichtwert für das Grundstück wurde zum Stichtag 1. Januar 2022 auf 125 Euro pro Quadratmeter ermittelt. Nach den Angaben der Ausfüllhilfe hat das Grundstück eine "Amtliche Fläche" von 351 Quadratmetern, das sich im Entwicklungszustand "Baureifes Land" befindet und eine gemischte Baufläche aufweist.

Diese Werte waren auch in der Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts der Antragstellerin vom 4. September 2022 eingetragen. Als Art des Grundstücks war "Einfamilienhaus" angegeben, das erstmals vor 1949 bezugsfertig gewesen sei und nur über eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 72 Quadratmetern verfüge.

Mit Bescheid über den Grundsteuerwert vom 28. Dezember 2022, der auf einer vollmaschinellen Auswertung und Verarbeitung der Erklärung der Antragstellerin beruhte, stellte der Antragsgegner den Grundsteuerwert des vorgenannten Objekts für die Hauptfeststellung zum Stichtag 1. Januar 2022 auf 91.600 Euro fest. Zudem traf der Antragsgegner die Artfeststellung "Grundvermögen, Einfamilienhaus". Der Antragsgegner legte der Grundsteuerwertfeststellung den erklärten Bodenrichtwert, den für Einfamilienhäuser geltenden Liegenschaftszins von 2,5% und den Umrechnungskoeffizienten für Grundstücke ≫ 350 Quadratmetern von 1,10 zugrunde. Da die Restnutzungsdauer für das vor 1949 bezugsfertige Haus weniger als 7 Jahre betrage, werde die gesetzlich fingierte Mindestrestnutzungsdauer von 24 Jahren (30% von 80 Jahren) angesetzt. Für die in Rheinland-Pfalz gelegene Wohneinheit mit einer Fläche zwischen 60 und 100 Quadratmetern wurde der in der Anlage 39 zum BewG hierfür geltende Rohertrag von 6,23 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche angesetzt, von dem für die Lage des Objekts in der Mietniveaustufe 2 ein Abschlag von 10...

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