Leitsatz

1. Erteilt das Betriebsstättenfinanzamt dem Arbeitgeber eine Lohnsteueranrufungsauskunft, sind die Finanzbehörden im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens an diese auch gegenüber dem Arbeitnehmer gebunden.

2. Das FA kann daher die vom Arbeitgeber aufgrund einer (unrichtigen) Anrufungsauskunft nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nicht nach § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachfordern.

 

Normenkette

§§ 42d Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3, 42e, 38 Abs. 2 Satz 1 EStG, § 47 AO

 

Sachverhalt

Dem an K gerichteten und hier streitgegenständlichen LSt-Nachforderungbescheid ging eine Auseinandersetzung seines Arbeitgebers (GmbH) ­mit dem FA voraus. Die GmbH war erst Mitglied der Zusatzversorgungskasse (ZVK) der "E-Stadt", wurde dann aber von der ZVK der "L‐Stadt" übernommen und hatte dafür der ZVK "L‐Stadt" einen Ausgleich (sog. Nachteilsausgleich) zu zahlen; die GmbH erhob dafür Lohnsteuer. Nachdem allerdings der VI. Senat (BFH, Urteil vom 14.9.2005, VI R 148/98, BFH/NV 2005, 2300, BFH/PR 2006, 19) entschieden hatte, dass Nachteilsausgleichszahlungen kein Arbeitslohn seien, beantragte die GmbH durch Anrufungsauskunft (§ 42e EStG), sämtliche zu Unrecht versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen der Jahre 2002 bis 2005 im laufenden LSt-Zahlungszeitraum 2006 in Form negativer Einnahmen korrigieren zu dürfen. Dem entsprach das FA; die GmbH machte davon im September 2006 entsprechend Gebrauch. Danach widerrief das FA die Anrufungsauskunft; gegen diesen Widerruf klagte aber die GmbH erfolgreich (BFH, Urteil vom 2.9.2010, VI R 3/09, BFH/NV 2010, 2345, BFH/PR 2011, 17). Über diesen Vorgang erhielt Ks FA eine Kontrollmitteilung. Das FA erließ daraufhin gegenüber K, der mangels Antrag im Streitjahr nicht zur Einkommensteuer veranlagt worden war, einen Bescheid über nachzufordernde LSt. Ks Klage dagegen war erfolglos (FG Düsseldorf, Urteil vom 24.4.2012, 13 K 799/09 L, Haufe-Index 3214275, EFG 2012, 1781).

 

Entscheidung

Der BFH entsprach Ks Revision mit den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen und hob den LSt-Nachforderungbescheid auf.

 

Hinweis

Der Grundsachverhalt ist einfach. Nachdem das Finanzamt durch bindende Anrufungsauskunft die Lohnsteuer vom Arbeitgeber nicht mehr bekommen kann, wendet es sich an den originären Schuldner der Lohnsteuer, an den Arbeitnehmer. So führt das Urteil zum schwierigen Dreiecksverhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer – Finanzamt und versucht, die wechselbezüglichen Rechte und Pflichten angemessen auszugleichen.

1.Nach § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG kann das FA den Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer in Anspruch nehmen, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat. Die Grundnorm dafür ist § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG: der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer. Die Lohnsteuer kann deshalb beim Arbeitnehmer nachgefordert werden. Der Lohnsteueranspruch erlischt nicht und ist nicht mit der Einkommensteuer, die nach Ablauf des Kalenderjahres (§ 36 Abs. 1 EStG) entsteht, identisch. Denn der Lohnsteuer-Nach­forderungsbescheid ist insoweit Vorauszahlungsbescheid. Der Arbeitgeber ist lediglich Entrichtungsschuldner, er selbst haftet (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG). Soweit diese Haftung reicht, sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Aber: Die Gesamtschuldnerschaft ist begrenzt. Denn der Arbeitnehmer kann neben dem Arbeitgeber nur in bestimmten Fällen in Anspruch genommen werden (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG); insbesondere, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat.

2.Das führt nun zu dem im Streitfall angelegten Spannungsverhältnis. Denn der Arbeitgeber hatte hier die Lohnsteuer nicht vorschriftswidrig, sondern entsprechend der Anrufungsauskunft einbehalten. Dann ist der Haftungstatbestand nicht erfüllt. Der Lohnsteueranspruch des FA ist vielmehr erloschen (§ 47 AO). Damit ist fraglich: Kann nun auch der Arbeitnehmer als Steuerschuldner nicht mehr auf Zahlung der Lohnsteuer in Anspruch genommen werden? Das bejaht der BFH, und zwar unabhängig davon, ob die Lohnsteueranrufungsauskunft inhaltlich zutreffend ist. Aber: Dies gilt nur für die Inanspruchnahme im Lohnsteuerabzugsverfahren, denn mit der Anrufungsauskunft ist sowohl die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers (§ 38 Abs. 2 EStG) als auch die Entrichtungsschuld des Arbeitgebers verbindlich festgestellt. Das FA ist zwar nicht im Veranlagungsverfahren, aber im Lohnsteuerabzugsverfahren als Vorauszahlungsverfahren auch gegenüber dem Arbeitnehmer gebunden (vgl. dazu BFH, Urteil vom 13.1.2011, VI R 61/09, BFH/NV 2011, 883, BFH/PR 2011, 205). Soweit sich aus dem NZB-Beschluss (vom 22.5.2007, VI B 143/06, BFH/NV 2007, 1658) etwas anderes ergeben sollte, hält der BFH ausdrücklich daran nicht mehr fest. Ansonsten wären Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezwungen, jeweils einen gemeinsamen Antrag nach § 42e EStG zu stellen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 17.10.2013, VI R 44/12

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