Leitsatz (amtlich)

1. Ein Sanierungsgewinn ist auch einkommensteuerlich nicht als Gewinn anzusetzen.

2. Er führt nicht zum Verbrauch eines vorher oder gleichzeitig angefallenen Verlustes.

 

Normenkette

EStG § 10d

 

Tatbestand

Bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer 1956 machte der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Sonderausgaben einen aus dem Jahre 1952 herrührenden Verlust aus seinem Gewerbebetrieb geltend. Das FA, das den Steuerpflichtigen zunächst seiner Erklärung entsprechend veranlagte, berichtigte die Veranlagung im Anschluß an eine Betriebsprüfung, indem es den Verlustabzug strich, weil der Steuerpflichtige in dem Jahr 1952 einen Sanierungsgewinn erzielt habe und dieser den Verlust verbrauche. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Die Berufung führte zur Herabsetzung der Einkommensteuer auf 0 DM. Das FG, dessen Urteil in EFG 1966, 119 abgedruckt ist, hielt den Verlustabzug für gerechtfertigt, weil entgegen der ständigen Rechtsprechung des BFH nicht anerkannt werden könne, daß der Verlust durch einen Sanierungsgewinn beseitigt werde.

Mit seiner - vom FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ausdrücklich zugelassenen - Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, rügt das FA unrichtige Anwendungen des bestehenden Rechts. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des RFH und des BFH macht es geltend, daß ein Sanierungsgewinn den Verlustausgleich ausschließe, weil der Verlust, treffe er mit einem Sanierungsgewinn zusammen, für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich keine Belastung bedeute.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

Dem FA ist zwar zuzugeben, daß seine Auffassung der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH und insbesondere auch des erkennenden Senats entspricht (vgl. u. a. das Urteil VI 117/62 U vom 22. November 1963, BFH 78, 325, BStBl III 1964, 128). Diese Rechtsprechung kann aber nicht mehr aufrechterhalten werden. Wie der große Senat in dem Beschluß Gr. S. 2/67 vom 15. Juli 1968 (BFH 93, 75, BStBl II 1968, 666) ausgeführt hat, kann ein nach § 11 Nr. 4 KStG körperschaftsteuerfreier Sanierungsgewinn "weder mit einem ohne ihn in demselben Veranlagungszeitraum entstehenden Verlust noch mit einem abzugsfähigen Verlust aus einem früheren Veranlagungszeitraum" verrechnet werden. Die Grundsätze, die der Große Senat hier entwickelt hat und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, müssen auch für einen der Einkommensteuer nicht unterliegenden Sanierungsgewinn gelten. Der Große Senat beschränkt seine Ausführungen zwar auf das Körperschaftsteuerrecht (das Verhältnis von § 11 Nr. 4 KStG zu § 10d EStG in Verbindung mit §§ 5, 6 KStG und § 15 KStDV). Es ist aber nicht einzusehen, warum für das Einkommensteuerrecht etwas anderes gelten sollte. Die Gründe, aus denen nach der bisherigen Rechtsprechung der Verbrauch des Verlustes durch einen Sanierungsgewinn bejaht wurde, sind hier wie dort die gleichen. Hat der Große Senat ihre Berechtigung für den Fall des Zusammentreffens von Verlusten bei Kapitalgesellschaften verneint, so kann nach Ansicht des Senats die Frage für den Fall des Zusammentreffens von Verlusten und Sanierungsgewinnen bei natürlichen Personen nicht anders beantwortet werden. Abgesehen davon, daß es keineswegs bedenkenfrei erscheint, beim Zusammentreffen von Verlusten und Sanierungsgewinnen grundsätzlich von einer Verlustübernahme durch die auf ihre Forderungen verzichtenden Gläubiger auszugehen, führt die bisherige Rechtsprechung zu dem unbefriedigenden Ergebnis, daß der Verbrauch des Verlustes durch den Sanierungsgewinn keinesfalls immer eintritt, sondern - dem Grundsatz der Abschnittbesteuerung entsprechend - davon abhängt, daß der Sanierungsgewinn in dem Verlustjahr selbst oder in den Jahren entstanden ist, in denen der Verlust "abgezogen" werden könnte, während es zu keinem oder nur teilweisen Verbrauch kommt, wenn der Verlust ganz oder teilweise vor dem Entstehen des Sanierungsgewinns ausgeglichen oder abgezogen werden konnte.

Zuzugeben ist allerdings, daß zwischen dem Körperschaftsteuerrecht und dem Einkommensteuerrecht insofern ein Unterschied besteht, als die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns nur in jenem, nicht aber auch in diesem ausdrücklich geregelt ist. Dieser Unterschied betrifft indessen nicht die Frage des Verbrauchs; wohl aber stellt sich die Frage, ob denn auch im Einkommensteuerrecht der Sanierungsgewinn tatsächlich als steuerfrei anzusehen sei.

Für das Einkommensteuerrecht fehlt, wie gesagt, eine ausdrückliche Befreiungsvorschrift. Der RFH hat den Sanierungsgewinn gleichwohl um deswillen als nicht einkommensteuerpflichtig angesehen, weil die Sanierung einen außerbetrieblichen Vorgang darstelle und der Steuerpflichtige den erzielten außerbetrieblichen Gewinn gewissermaßen eingelegt habe. Wenngleich er später von der Auffassung eines betriebsfremden Vorgangs abgerückt ist, hat er doch an der Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns festgehalten, weil dieser nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der werbenden Tätigkeit des "sanierten" Steuerpflichtigen stehe. Der für die Körperschaftsteuer zuständige Senat des RFH hat diese Ansicht nicht geteilt. Das ist der Grund für die ausdrückliche Regelung der Körperschaftsteuerfreiheit des Sanierungsgewinns durch § 11 Nr. 4 KStG gewesen.

Wie der erkennende Senat bereits in seinen Urteilen VI 35/61 U vom 4. August 1961 (BFH 73, 685, BStBl III 1961, 516) und VI 117/62 U (a. a. O.) dargelegt hat, bestehen in der Tat Bedenken gegen die Auffassung, daß die Sanierung einen außerbetrieblichen Vorgang bilde: Was auf Seiten der Gläubiger zweifelsfrei einen betrieblichen Vorgang darstellt, kann nicht auf Seiten des Schuldners ein außerbetrieblicher Vorgang sein.

Nach nochmaliger Prüfung dieser Frage hält der Senat die Ansicht, daß die Sanierung ein außerbetrieblicher Vorgang sei, nicht nur für bedenklich, sondern für unzutreffend. Wenn auch das Bestreben, dem Schuldner persönlich zu helfen, mit ein Grund für den Entschluß der Gläubiger sein mag, auf ihre Forderungen ganz oder zum Teil zu verzichten, so kann doch nicht daran vorbeigegangen werden, daß die geschäftlichen Interessen hier wie dort die entscheidende Rolle spielen, was sich nicht zuletzt auch in dem - selbst nach der Rechtsprechung des RFH vorausgesetzten - Erfordernis für die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns, nämlich der in bezug auf das Unternehmen zu beurteilenden Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungswürdigkeit, widerspiegelt.

Ist die Sanierung ein betrieblicher Vorgang, so ist der durch sie erzielte Gewinn (Wegfall der erlassenen Schulden und entsprechende Erhöhung des beim Betriebsvermögensvergleich anzusetzenden Endvermögens) im Rahmen des Gewerbebetriebs angefallen und nicht - jedenfalls nicht mit der vom RFH gegebenen Begründung - einkommensteuerfrei. Trotzdem hält es der Senat für nicht vertretbar, allein um dieses Wechsels der Beurteilung willen den Sanierungsgewinn als nicht mehr steuerfrei anzusehen (vgl. auch das Urteil des BFH I 359/60 S vom 25. Oktober 1963, BFH 78, 308, BStBl III 1964, 122). Wenn auch § 11 Nr. 4 KStG die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns nur für die Körperschaftsteuer ausspricht und wie bereits dargelegt darauf beruht, daß mit ihm das nach der Rechtsprechung des RFH für die Einkommensteuer bestehende Ergebnis der Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns auch für die Körperschaftsteuer übernommen werden sollte, läßt die Regelung des § 11 Nr. 4 KStG doch eindeutig erkennen, daß der Gesetzgeber die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns für sachgerecht hält, und zwar gerade auch dann, wenn der Sanierung, wie es bei den von der Körperschaftsteuer erfaßten Kapitalgesellschaften der Fall ist, nur oder doch überwiegend betriebliche Erwägungen zugrunde liegen. Es mag bei allen Vorbehalten, mit denen man gerade auf dem Gebiet des Steuerrechts der Möglichkeit eines Gewohnheitsrechts begegnen muß (vgl. die Urteile des BFH II 28/58 U vom 18. Februar 1959, BFH 68, 462, BStBl III 1959, 176, und VI 90/63 U vom 29. Januar 1965, BFH 82, 8, BStBl III 1965, 251), nahe liegen, die auf Richterrecht beruhende Anerkennung der Einkommensteuerfreiheit des Sanierungsgewinns, die auch von der Praxis und dem Schrifttum vorbehaltlos übernommen worden ist, als eine lang andauernde Übung nicht nur der Steuergerichte, sondern aller Rechtsgenossen anzusehen, der die Überzeugung der Rechtsgeltung zugrunde liegt und die daher als Gewohnheitsrecht angesprochen werden kann (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1960, S. 269). Auf jeden Fall aber wird man den in § 11 Nr. 4 KStG ausgesprochenen Grundsatz auch für das Einkommensteuerrecht anwenden können, weil die Gestaltung des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts wie übrigens auch des Gewerbesteuerrechts zeigt, daß die entscheidenden Grundsätze der Gewinnermittlung übereinstimmen, und weil die Regelung des § 11 Nr. 4 KStG keine Durchbrechung dieser Grundsätze hat bringen, sondern gerade der Vereinheitlichung hat dienen sollen.

Die Entscheidung des FG entspricht danach im Ergebnis der Rechtslage. Das Urteil ist nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68375

BStBl II 1969, 102

BFHE 1969, 186

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