Leitsatz (amtlich)

Hat der Abgabeschuldner die Vermögensabgabe abgelöst, so handelt die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie die Erstattung des Ablösungsbetrages wegen eines nach dem Zeitpunkt der Ablösung eintretenden Vermögensverfalls ablehnt.

 

Normenkette

LAG § 203 Abs. 5; AO § 131

 

Tatbestand

Der Vater (Abgabeschuldner) der beiden Revisionsbeklagten hatte nahe der Zonengrenze eine Fabrik betrieben. Konjunktur- und branchebedingte Schwierigkeiten sowie die Zonengrenznähe führten zur Einstellung der Warenfertigung im Jahre 1954. Verkauf oder Vermietung des Fabrikgebäudes waren nicht möglich, so daß sich der Abgabeschuldner Ende 1955 entschloß, die Betriebsräume in Wohnräume umbauen zu lassen. Die Mittel zum Umbau verschaffte sich der Abgabeschuldner durch Verkauf des Warenlagers und durch Kreditaufnahme.

Ende März 1956 löste der Abgabeschuldner die unanfechtbar festgesetzten Vermögensabgabevierteljahrsraten für die Zeit vom 1. April 1956 bis 31. März 1961 ab. Im Jahre 1962 beantragte er, ihm die abgelöste Vermögensabgabe wegen Vermögensverfalls zu erstatten. Für den im Jahre 1956 erfolgten Umbau seines Betriebsgebäudes in ein Wohngebäude habe er entgegen dem Kostenvoranschlag tatsächlich erheblich mehr aufwenden müssen. Die Mehrkosten seien für ihn nicht vorhersehbar gewesen.

Das FA - Revisionskläger - lehnte einen Erlaß ab.

Der Abgabeschuldner begehrte mit der Beschwerde die Erstattung des abgelösten Betrages oder eines Teilbetrages. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Die OFD führte im wesentlichen aus, nach dem Ergebnis der Besprechung der Lastenausgleichsreferenten der Länder vom 5./6. Dezember 1962 sei die Erstattung eines Ablösungsbetrages in jedem Fall abzulehnen, wenn der Vermögensverfall erst nach der Ablösung eingetreten sei. Nur wenn der Vermögensverfall im Zeitpunkt der Ablösung bereits vorgelegen habe, könne nachträglich in besonderen Härtefällen ein Erlaß ausgesprochen werden. Zum 1. Januar 1955 habe der Vermögensrückgang des Abgabeschuldners jedoch nur 15 v. H., zum 1. Januar 1956 30 v. H. und zum 1. Januar 1957 17 v. H. betragen. Erstmals zum 1. Januar 1958 habe sich ein Vermögensverlust von 54 v. H. ergeben, der bis zum 1. Januar 1961 auf 59 v. H. angestiegen sei. Für den Erlaßzeitraum 1. Januar 1958 bis 31. Dezember 1960 lägen damit an sich die Erlaßvoraussetzungen vor, wenn der Abgabeschuldner vorher nicht abgelöst hätte. Auch die allgemeine wirtschaftliche Lage des Abgabeschuldners im Zeitpunkt der Ablösung lasse eine Erstattung im Wege des Erlasses nicht zu.

Mit der Berufung begehrte der Abgabeschuldner, im Billigkeitswege etwa ein Drittel des Ablösungsbetrages zu erlassen.

Während des finanzgerichtlichen Verfahrens ist der Abgabeschuldner verstorben. Seine beiden Töchter (Revisionsbeklagte, Klägerinnen) haben als Erbinnen das Verfahren wieder aufgenommen.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte in seiner in EFG 1967, 198 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus: Die Ablehnung der begehrten Erstattung stelle eine Ermessensüberschreitung dar. Die Verwaltungsanordnung des BdF LA 2831-145/54 vom 19. Juli 1954 (BStBl I 1954, 380; künftig VAO) enthalte für den vorliegenden Fall keine ausdrückliche Regelung. Deshalb müßten allgemeine Erwägungen entscheidend sein. Die lange Laufdauer der Vermögensabgabe erfordere eine andere Beurteilung als bei laufenden Jahressteuern. Führe der Abgabeschuldner unter Inanspruchnahme der Ablösungsvergünstigung dem Lastenausgleich-Fonds vorzeitig Mittel zur beschleunigten Erfüllung seiner Zwecke zu, so könne dem Fiskus die Reflexpflicht erwachsen, im Falle eines bei der Entrichtung des Ablösungsbetrages in voller Entwicklung begriffenen Vermögensverfalls des Ablösenden den Ablösungsbetrag anteilig nach den Regeln über den Erlaß wegen Vermögensverfalls zu erstatten. Dieser Fall sei hier gegeben. Soweit demgegenüber der BdF im Erlaß IV C/4 - LA 2906 - 11/62 vom 7. Januar 1963, der einen Auszug über die Referentenbesprechung vom 5./6. Dezember 1962 zum Inhalt habe, ausführe, eine Erstattung des Ablösungsbetrags sei in jedem Fall abzulehnen, wenn der Vermögensverfall erst nach der Ablösung eingetreten sei, enge er die Ermessensgrenzen in unzulässiger Weise ein. Dieser BdF-Erlaß entspreche auch nicht dem Urteil des BFH III 365/59 U vom 16. Februar 1962 (BFH 74, 548, BStBl III 1962, 204).

Mit der Revision macht das FA geltend, der BdF-Erlaß vom 7. Januar 1963 sei ermessensgerecht, zumal er nur bestimme, was im Rahmen des § 131 AO ohnehin allgemein anerkannt sei, daß nämlich eine Erstattung bezahlter Steuern ausscheide, wenn die Einziehung im Zeitpunkt der Zahlung nicht unbillig gewesen sei. Außerdem habe der Abgabeschuldner durch die freiwillige Entrichtung des Ablösungsbetrags selbst eindeutig zu erkennen gegeben, daß er zur Zahlung wirtschaftlich in der Lage gewesen sei. Wer die Vorteile der freiwilligen Ablösung in Anspruch nehme, müsse auch die möglichen Nachteile in Kauf nehmen. Mit dem Urteil III 123/61 U vom 29. November 1962 (BFH 76, 432, BStBl III 1963, 157) sei der BFH von der im Urteil III 365/59 U (a. a. O.) vertretenen Ansicht abgegangen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet.

Nach § 203 Abs. 5 LAG wird die Anwendung des § 131 AO bei den Lastenausgleichsabgaben durch besondere Verwaltungsanordnung des BdF geregelt. Diese Regelung hat der BdF für die Vermögensabgabe in der VAO getroffen. Für den vorliegenden Sachverhalt enthält die VAO jedoch keine ausdrückliche Regelung. Aus den einzelnen Textziffern lassen sich auch keine allgemeinen Grundsätze ableiten, nach denen der Streitfall entschieden werden könnte. Dagegen hat sich der BdF im Erlaß vom 7. Januar 1963 dazu geäußert, ob nach einer Ablösung der Vermögensabgabe eine Erstattung in Betracht kommt. Dieser Erlaß hat entgegen der Auffassung des FG die gleiche Rechtsqualität wie die VAO. Beides sind vom BdF getroffene Regelungen. Daß im einen Fall (VAO) ausdrücklich auf § 203 Abs. 5 LAG Bezug genommen ist, im anderen dagegen nicht, ändert daran nichts. Denn der vollziehenden Gewalt steht sogar ohne Auftrag des Gesetzgebers das Recht zu, Anordnungen an die nachgeordneten Behörden zu erlassen. Es macht insoweit auch keinen Unterschied, ob BdF-Erlasse amtlich veröffentlicht sind - wie im Falle der VAO -, oder ob sie nur verwaltungsintern bekanntgemacht sind - wie im Falle des BdF-Erlasses vom 7. Januar 1963 -. In jedem Fall sind die nachgeordneten Behörden an die Anordnungen gebunden. Die Anordnungen enthalten eine präzisierte Gruppenregelung, deren Zweck es ist, die Beantwortung der Frage, ob eine einen Erlaß rechtfertigende Härte vorliegt, zu schematisieren und so zu vereinfachen, daß die Entscheidung über den Erlaß den nachgeordneten Finanzbehörden überlassen werden kann (Urteil des BVerfG 1 BvR 314/60 vom 21. Februar 1961, BStBl I 1961, 63). Sie dienen damit der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen. Die Steuergerichte sind an Verwaltungsordnungen jedoch nicht gebunden (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG). Ermessensentscheidungen der Finanzverwaltung dürfen sie nur darauf überprüfen, ob eine Ermessensüberschreitung oder ein fehlerhafter Ermessensgebrauch vorliegt (§ 297 Abs. 1 AO a. F., § 102 FGO). Das gilt auch für Erlaßentscheidungen, die auf Verwaltungsanordnungen gestützt werden. Die Steuergerichte haben deshalb in diesem Fall zu prüfen, ob sich die in den Verwaltungsanordnungen getroffenen Regelungen innerhalb der Grenzen halten, die das Gesetz der Ausübung des Ermessens gezogen hat. Ist das zu bejahen, müssen sie außerdem feststellen, ob die Finanzverwaltung ihr Ermessen in Übereinstimmung mit den Regelungen der VAO ohne Ermessensverstoß ausgeübt hat (BFH-Urteil III 243/60 U vom 1. Februar 1963, BFH 76, 663, BStBl III 1963, 242).

Die vom BdF im Erlaß vom 7. Januar 1963 getroffene Regelung ist jedenfalls insoweit frei von Ermessenfehlern, als sie bestimmt, daß eine Erstattung des Ablösungsbetrags abzulehnen ist, wenn der Vermögensverfall erst nach der Ablösung eingetreten ist.

Nach § 131 Abs. 1 AO können bereits entrichtete Steuern erstattet werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig war. Danach muß die Unbilligkeit im Zeitpunkt der Steuerentrichtung vorliegen. Der BFH hat deshalb für die Frage der Erstattung gezahlter Steuern nach § 131 AO stets auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entrichtung oder Einziehung der Steuern abgestellt (vgl. Urteile I 44/63 vom 25. September 1963, StRK, Reichsabgabenordnung n. F., § 131, Rechtsspruch 91; IV 393/61 U vom 23. Januar 1964, BFH 79, 54, BStBl III 1964, 252, und die dort angeführten Entscheidungen). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung auch für Vermögensabgabefälle. Die lange Laufdauer der Vermögensabgabe rechtfertigt insoweit keine andere Beurteilung. Auch hier ist entscheidend, ob die Entrichtung der Vermögensabgabe im Zeitpunkt der Ablösung unbillig war, d. h. ob in diesem Zeitpunkt bereits ein Vermögensrückgang von 50 v. H. bzw. 40 v. H. vorgelegen hat.

Der Senat hat im Urteil III 157/64 vom 25. August 1967 (BFH 91, 289, BStBl II 1968, 325 unter II.) entschieden, für die Zeit nach einer Vollablösung komme ein Erlaß nach § 131 AO nicht in Betracht. Jener Rechtsstreit betraf zwar die Erstattung bereits abgelöster HGA. Für die Vermögensabgabe kann aber nach allem nichts anderes gelten. Dieser Auffassung steht das Urteil des Senats III 365/59 U (a. a. O.) grundsätzlich nicht entgegen. Dort ist zwar ausgeführt, es seien keine beachtlichen Gründe erkennbar, weshalb diejenigen, die die Vermögensabgabe durch Zahlung eines Ablösungsbetrags entrichtet hätten, von der Erstattung ausgeschlossen sein sollten. Im nächsten Satz heißt es aber, die OFD werde bei ihrer (erneuten) Beschwerdeentscheidung zu dieser Frage Stellung nehmen müssen. Damit hat der Senat zu dieser Frage keine abschließende Entscheidung treffen wollen. Außerdem handelte es sich, wie aus dem Sachverhalt des Urteils hervorgeht, um den Erlaß von Vermögensabgabe für die Zeit vor der Ablösung.

Im übrigen hat der Senat im Urteil III 123/61 U (a. a. O.) entschieden, daß die Rückgängigmachung einer Ablösung nicht möglich sei und daß durch einen einseitigen Widerruf die Rechtswirkungen der Ablösung nicht beseitigt werden könnten. Die Erstattung eines Ablösungsbetrags ist im Ergebnis aber nur durch Rückgängigmachung der Ablösung durchführbar. Denn die Erstattung wäre auf die innerhalb der einzelnen Erlaßzeiträume fällig gewordenen Vierteljahrsbeträge zu beschränken. In dem Ablösungsbetrag enthaltene Ablösungswerte für spätere Erlaßzeiträume wären deshalb auszusondern. Das wäre jedoch nur durch eine - unzulässige - Rückgängigmachung der Ablösung möglich. Darüber hinaus ist nach § 6 der Ersten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz (Ablösungsverordnung) bei der Berechnung des Ablösungsbetrages die Möglichkeit eines Erlasses außer Betracht zu lassen. Damit kommt, worauf das FA zutreffend hinweist, zum Ausdruck, daß derjenige, der die Vorteile der Ablösung - Zinsvorteil - genießt, denkbare Nachteile - z. B. Verlust der Erlaßmöglichkeit - in Kauf nehmen muß.

Soweit die Revisionsbeklagten demgegenüber geltend machen, in Ausnahmefällen habe der BdF die Erstattung gezahlter Vermögensabgabe zugelassen, ist das hier unbeachtlich. Abgesehen davon, daß die Richtigkeit der in jenen Fällen vom BdF vertretenen Auffassung hier nicht überprüft werden kann, handelt es sich dort um die Beurteilung anderer Sachverhalte, so daß Rückschlüsse aus jenen Ausnahmeregelungen auf den Streitfall nicht angebracht sind.

Nach allem enthält der BdF-Erlaß vom 7. Januar 1963 in der hier zu entscheidenden Frage eine im Rahmen des § 131 AO zulässige Regelung über die Ausübung des Ermessens. Da die Vorentscheidung von einer anderen rechtlichen Würdigung ausging, war sie aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Das FG hat, von seinem Standpunkt aus zu Recht, nicht geprüft, ob die Finanzverwaltung ihr Ermessen in Übereinstimmung mit dem BdF-Erlaß vom 7. Januar 1963 ohne Ermessensverstoß ausgeübt hat. Beachtliche Bedenken dagegen hat der Abgabeschuldner und haben später die Revisionsbeklagten nicht vorgebracht. Denn soweit die OFD bei der Berechnung des Vermögensverlustes an den einzelnen Stichtagen dem Restvermögen des Abgabeschuldners den Betrag zurechnete, den er zuvor seinen beiden Töchtern zugewendet hatte, entspricht das der vom Senat nicht beanstandeten Regelung in Tz. 21 VAO (Urteil III 152/64 vom 3. November 1967, nicht veröffentlicht). Soweit der Abgabeschuldner die Beschwerdeentscheidung unter Hinweis auf den BdF-Erlaß IV C/3 - LA 2831-21/55 vom 7. Mai 1955 (LA-Kartei, § 203 Abs. 5, Karte 8) angreift, ist ein Ermessensfehler ebenfalls nicht erkennbar. Nach Tz. 1 dieses Erlasses kann ein Erlaß nur für Betriebsvermögen in Betracht kommen. Solches hatte der Abgabeschuldner am Ablösungsstichtag nicht mehr. Er räumte selbst ein, er habe sich bis zum Jahre 1956 bemüht, seinen Betrieb zu verkaufen oder zu verpachten. Demnach besaß er zumindest im Jahre 1956, in dem er sich zum Umbau des Betriebsgebäudes in ein Wohngebäude entschloß, kein Betriebsvermögen mehr, so daß eine Erstattung auf den BdF-Erlaß vom 7. Mai 1955 (a. a. O.) nicht gestützt werden kann.

Da hiernach die Beschwerdeentscheidung nicht zu beanstanden ist, war auf die Revision die Berufung (jetzt Klage) als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68333

BStBl II 1969, 29

BFHE 1969, 75

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