Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzrechtliches Aufrechungsverbot bei Vorsteuererstattungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
1. Das FA hat die Möglichkeit der Aufrechung gegen Vorsteuerüberhänge des Insolenzschuldners durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt, wenn die Eingangsleistung in der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung erfolgt ist.
2. Die gläubigerbenachteiligende Wirkung ergibt sich daraus, dass das FA erst durch die Bestellung der Insolvenzschuldnerin und den daraus folgenden Anspruch auf Vorsteuervergütung die Möglichkeit zur Aufrechnung erhalten hat.
3. Wegen des grundsätzlichen Vorrangs des Insolvenzrechts vor dem Steuerverfahrensrechts ändert die Saldierung steuerrechtlicher unselbständiger Ansprüche nach § 16 UStG nichts an dem Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
Normenkette
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, §§ 94, 131, 87; AO §§ 226, 220 Abs. 1 S. 2; BGB § 387; UStG § 17 Abs. 1 S. 7, Abs. 1 Nr. 1, § 16
Nachgehend
Tenor
Der Abrechnungsbescheid vom 18. April 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Januar 2008 in der Form vom 6. April 2011 wird dahin abgeändert, dass die Erstattungsansprüche aus den Umsatzsteuer-Voranmeldungszeiträumen für April 2006 i.H.v. 37.557,71 EUR, für Mai 2006 i.H.v. 20.013,88 EUR und für Juni 2006 i.H.v. 20.957,19 EUR (insgesamt 78.578,29 EUR) nicht durch Aufrechnung erloschen sind.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der B GmbH und Co. KG (Schuldnerin). Das Insolvenzverfahren wurde am 1. Juli 2006 eröffnet. Zuvor war der Kläger auf den Eigenantrag der Schuldnerin vom 18. April 2006 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden (Beschluss des Insolvenzgerichts vom 19. April 2006). Für die Voranmeldungszeiträume bis zur Insolvenzeröffnung machte die Schuldnerin folgende Vorsteuerüberhänge geltend:
Voranmeldung April 2006 vom 15. Mai |
37.557,71 EUR |
Voranmeldung Mai 2006 vom 9. Juni |
20.013,88 EUR |
Voranmeldung Juni 2006 vom 11. Juli |
20.957,19 EUR |
Summe |
78.528,78 EUR. |
Nach dem Vortrag des Klägers beruhten die Vorsteuerüberhänge auf Rechnungen, die nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung im Rahmen der Fortführung des Geschäftsbetriebs durch die Schuldnerin bezahlt worden seien.
Eine nach Insolvenzeröffnung angeordnete Umsatzsteuersonderprüfung stellte fest, dass bei der Schuldnerin Vorsteuern zu berichtigen seien, soweit diese auf im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nicht bezahlten Verbindlichkeiten beruhten. Hieraus ergab sich ein in der Höhe unstreitiger Vorsteuerberichtigungsanspruch des beklagten Finanzamts (FA) von insgesamt 165.805,84 EUR. Mit seinem Vorsteuerberichtigungsanspruch rechnete das FA gegen den Vorsteuererstattungsanspruch der Schuldnerin auf. Daneben rechnete das FA mit Lohnsteueransprüchen für die Zeit vom Februar bis Mai 2006 i.H.v. 11.097,55 EUR auf.
Nachdem der Kläger gegen die Aufrechnung Einwände erhoben hatte, erließ das FA am 18. April 2007 einen Abrechnungsbescheid, in dem es seine Aufrechnung gegen die Vorsteuererstattungsansprüche aus den Voranmeldungen April bis Mai 2006 bestätigte. Mit seinem hiergegen erhobenen Einspruch machte der Kläger geltend, der Aufrechnung des FA mit seinem Vorsteuerberichtigungsanspruch stünde das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen. Das FA wies mit Bescheid vom 8. Januar 2008 den Einspruch als unbegründet zurück. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO sei eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe. Eine solche anfechtbare Rechtshandlung liege nicht vor. Der Vorsteuerberichtigungsanspruch ergebe sich allein aus der Uneinbringlichkeit des Entgeltes, berühre aber nicht die ursprüngliche Steuerfestsetzung. Die Leistungsbeziehungen zwischen der Schuldnerin und ihren Vertragspartnern begründeten nur den Vergütungsanspruch, führten aber die Aufrechnungslage nicht herbei.
Mit seiner Klage wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren, dass der Aufrechnung des FA das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegenstehe. Die vom Aufrechnungsverbot vorausgesetzte anfechtbare Rechtshandlung seien die Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen der Schuldnerin und i...