Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Zahnarzt. Seit seinem Ausscheiden aus dem Dienst der X im Jahr 1966 war er nur unregelmäßigen Tätigkeiten nachgegangen, weil er an Alkohol- und Medikamentensucht erkrankt war. Um sich Alkohol zu verschaffen, wendete der Kläger erhebliche Beträge auf, die er teilweise bei Privatpersonen als Darlehen aufnahm. Im April 1971 begann er eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis bei einem Berufskollegen. Er zahlt seitdem die Darlehen zurück. Er machte in der Einkommensteuererklärung 1971 die Darlehenstilgungen in 1971 als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) ließ die Aufwendungen für Arzt, Krankenhaus und Medikamente, nicht aber die Darlehensrückzahlungen als außergewöhnliche Belastung zum Abzug zu.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte u.a. aus, die streitigen Aufwendungen des Klägers zur Tilgung der genannten Darlehen seien keine außergewöhnlichen Belastungen, da sie ihm nicht zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erwachsen seien. Der Alkoholismus sei –wie überhaupt die Drogenabhängigkeit– nach neuen Erkenntnissen der Medizin und Psychiatrie zwar als Krankheit aufzufassen. Es möge auch durchaus zutreffen, daß durch die Alkoholabhängigkeit die Steuerungsfähigkeit des Erkrankten –wie hier des Klägers– soweit eingeschränkt sei, daß er sich infolge der Sucht den Ausgaben zu ihrer Befriedigung tatsächlich nicht habe entziehen können. Nach dem Sinn und Zweck des § 33 EStG könnten jedoch außergewöhnliche Belastungen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie aus Ereignissen herrührten, die vom Steuerpflichtigen selbst nicht abgewendet werden könnten. Dabei sei auf das letzte Ereignis der Ursachenkette abzustellen, die zu den belastenden Aufwendungen geführt habe. Ein Herbeiführen des letzten Ereignisses der Ursachenkette durch eigenes Verhalten des Steuerpflichtigen könne unberücksichtigt bleiben, wenn er sich sozial-adäquat benommen habe. Das sei anzunehmen, wenn er (wie die überwiegende Mehrzahl der übrigen Steuerpflichtigen) sich selbst und der Allgemeinheit gegenüber seinen persönlichen Verhältnissen entsprechend vernunftgemäß und nicht selbstschädigend verhalten habe. Habe der Steuerpflichtige hingegen die Ursachenkette durch eigenes nicht sozial-adäquates Verhalten in Lauf gesetzt, komme es nicht darauf an, daß er sich des letztursächlichen belastenden Ereignisses nicht mehr habe erwehren können. Die entstandenen Aufwendungen seien in einem solchen Fall nämlich nicht mehr als zwangsläufig anzusehen.
Aus diesen Gründen habe das FA im Ergebnis zu Recht die Aufwendungen des Klägers zur Heilung seiner Alkoholsucht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, weil sie aus Anlaß der Erkrankung entstanden seien und der Kläger sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht habe entziehen können. Der diese Kosten verursachende Entschluß, der Erkrankung Herr zu werden, beruhe auf sozial-adäquatem Verhalten. Dagegen könnten die aufgewandten Kosten zur Befriedigung der Suchterkrankung nicht als außergewöhnliche Belastung abgesetzt werden. Sie hätten ihren Ursprung nämlich in dem (vielleicht schicksalhaft bedingten) Abgleiten in die Sucht, also in einem nicht sozial-adäquaten und einem ursprünglich zu steuernden und damit vermeidbaren Verhalten des Klägers.
Mit der Revision rügt der Kläger sinngemäß die unzutreffende Anwendung des § 33 Abs. 2 EStG. Er bringt u.a. vor, das FG habe den Begriff der Zwangsläufigkeit im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG zu eng gefaßt. Es sei zwar mit Herrmann/Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 11a zu § 33 EStG) anzunehmen, daß aus Gründen der Steuergerechtigkeit auf eine sozial-ethische Wertung des der eigentlichen Aufwendung vorausgehenden Verhaltens des Steuerpflichtigen nicht gänzlich verzichtet werden könne. Aus sozial-ethischen Gründen sei aber die Zwangsläufigkeit dann nicht zu verneinen, wenn nur fahrlässiges früheres Verhalten des Steuerpflichtigen zu der außergewöhnlichen Aufwendung geführt habe. Das sei bei Krankheitskosten allgemein anerkannt. Bei solchen Aufwendungen werde nicht geprüft, ob der Steuerpflichtige durch umsichtiges Verhalten die Krankheit oder die körperliche Verletzung hätte verhüten können. Das gelte z.B. für einen vom Steuerpflichtigen fahrlässig verursachten Verkehrsunfall, durch den sich dieser schwere körperliche Verletzungen zugezogen habe, deren Heilung erhebliche, durch einen Dritten nicht gedeckte Kosten verursache. Von diesen Grundsätzen sei auch im Streitfall auszugehen, da der Alkoholismus inzwischen als Krankheit allgemein anerkannt sei. Die ihm, dem Kläger, durch den Alkoholismus entstandenen Aufwendungen seien daher als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1971 vom 17. August 1973 und die Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 1974 zu ändern und weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 8 089,84 DM wegen Rückzahlung der genannten Darlehen anzuerkennen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die Aufwendungen des Klägers zur Rückzahlung der Darlehen nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt, weil die der Darlehensaufnahme zugrunde liegenden Ausgaben dem Kläger nicht zwangsläufig entstanden waren.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird auf Antrag nach § 33 Abs. 1 EStG die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Eigenbelastung übersteigt, vom Einkommen abgezogen wird. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift erwachsen Aufwendungen dem Steuerpflichtigen dann zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
a) Das FG konnte mit dem FA im Streitfall zu Recht davon ausgehen, daß die Aufwendungen des Klägers zur Heilung seiner Alkoholsucht eine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG waren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH– (vgl. z.B. Urteil vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295, und die zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidung des Senats vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, von der ein Abdruck als Anlage beigefügt ist) erwachsen dem Steuerpflichtigen Krankheitskosten regelmäßig zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Die Zwangsläufigkeit des Entstehens von Krankheitskosten wird dabei im allgemeinen unterstellt, weil das die Krankheit auslösende Ereignis in der Regel weder von der Finanzverwaltung noch von den Steuergerichten ohne unzumutbares Eindringen in die Privatsphäre zutreffend festgestellt werden kann. Aufwendungen für Krankheiten werden deshalb auch dann steuerlich als außergewöhnliche Belastung anerkannt, wenn der Steuerpflichtige sich die Krankheit durch Unachtsamkeit oder durch selbst herbeigeführte Gefährdung zugezogen hat (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juli 1963 VI 282/62 U, BFHE 77, 319, BStBl III 1963, 437). Das gilt gemäß dem BFH-Urteil vom 30. November 1966 VI R 108/66 (BFHE 88, 491, BStBl III 1967, 459) auch dann, wenn es sich um Heilungskosten einer durch Alkoholmißbrauch vom Steuerpflichtigen selbst verschuldeten Krankheit handelt (so auch das Schrifttum, vgl. z.B. Hartz/Meeßen/Wolff, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort „außergewöhnliche Belastungen”, Abschn. II 5 a Abs. 1; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 33 Anm. 6 S. 62). Berücksichtigungsfähig sind allerdings nur solche Aufwendungen, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (z.B. Rollstuhl).
Das FA hat im Streitfall zu Recht die vom Kläger zur Heilung seiner Alkoholsucht aufgewandten Arzt-, Krankenhaus- und Medikamentenkosten als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Denn die Alkoholsucht ist gemäß den zutreffenden Ausführungen des FG medizinisch als Krankheit zu werten.
b) Der Senat tritt dem FG im Ergebnis auch darin bei, daß die Rückzahlung der vom Kläger aufgenommenen Darlehen keine zwangsläufige außergewöhnliche Belastung darstellt, wobei es im Streitfall nicht darauf ankommt, ob der Kläger sich bei der Verausgabung der Darlehensbeträge sozial-adäquat verhalten hat oder nicht.
Die Tilgung von Darlehensschulden kann nur dann als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG in Betracht kommen, wenn die Schuldaufnahme durch Ausgaben veranlaßt war, die ihrerseits den Tatbestand des § 33 EStG erfüllen (vgl. BFH-Urteil vom 18.November 1977 VI R 142/75, BFHE 124, 39, BStBl II 1978, 147, und die bei Hartz/Meeßen/Wolff, a.a.O., Stichwort „außergewöhnliche Belastungen” Abschn. II 5 e Abs. 1 erwähnte Rechtsprechung des BFH).
Die der Kreditaufnahme zugrunde liegenden Ausgaben hat der Kläger im Streitfall getätigt, um sich Alkohol zur Befriedigung seiner Sucht zu verschaffen, wobei ein Teil des Geldes nach den Feststellungen des FG auch im Rauschzustand unkontrolliert ausgegeben bzw. dem Kläger in diesem Zustand teilweise gestohlen wurde. Solche Ausgaben können im Streitfall nicht nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Sie sind einerseits keine Krankheitskosten, da sie nicht zur Heilung oder Linderung der nach den Feststellungen des FG als Krankheit aufzufassenden Alkoholsucht anzusehen sind. Der mit den Darlehensbeträgen beschaffte Alkohol diente nur der Befriedigung, nicht aber der Heilung der Trunksucht.
Das FG hat die hierfür aufgewandten Beträge zu Recht auch außerhalb des Bereichs der Krankheitskosten nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Denn sie sind, wie das FG im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, dem Kläger nicht zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG erwachsen. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Steuerpflichtiger sich Aufwendungen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen konnte, ist nach der Rechtsprechung des BFH ein strenger Maßstab anzulegen. Zu den tatsächlichen Gründen im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zählen nur elementare Ereignisse wie Unwetter, Hochwasser, Brand, Krankheit, Geburt oder Todesfall oder sonst unabwendbare Ereignisse, wie etwa Erpressung mit Gefahr für Leib oder Leben, Vertreibung, politische Verfolgung und ähnliches (vgl. Blümich/Falk, a.a.O., § 33 Anm. 3 S. 21, und Hartz/Meeßen/Wolff, a.a.O., Stichwort „außergewöhnliche Belastungen”, Abschn.II 3 Abs.5; Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 Anm. 50). Es kann zwar in Einzelfällen mitunter zweifelhaft sein, unter welchen Umständen ein Ereignis noch als „unabwendbar” anzusehen ist. Aufwendungen eines Alkoholsüchtigen zur Befriedigung seiner Sucht können jedenfalls nicht als unabwendbar angesehen werden. Das FG hat zwar eingeräumt, daß die Alkoholabhängigkeit die Steuerungsfähigkeit des Erkrankten soweit einschränken kann, daß dieser sich infolge seiner Sucht den Ausgaben zu ihrer Befriedigung nicht zu entziehen vermag. Die Ausgaben zur Beschaffung von Alkohol beruhen damit jedoch nicht auf einem unabwendbaren Ereignis. Der Steuerpflichtige kann ihnen vielmehr dadurch entgehen, daß er sich einer entsprechenden stationären Heilbehandlung unterwirft, so wie es auch der Kläger im Streitfall offensichtlich mit Erfolg getan hat.
Fundstellen