Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Vermögensteuerbefreiung für die mit einem Schadensausgleichskapital erworbenen Grundstücke

 

Leitsatz (NV)

1. Aus § 111 Nr. 7 b und Nr. 8 BewG kann nicht der allgemeine Grundsatz abgeleitet werden, Schadenersatzleistungen einschließlich der mit diesen Mitteln angeschafften Wirtschaftsgüter seien bei der Vermögensteuer nicht zu berücksichtigen.

2. Verfassungsrechtliche Prinzipien, insbesondere der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG) stehen der Besteuerung der mit einem Schadensausgleichskapital finanzierten Grundstücke eines auf Dauer geschädigten Steuerpflichtigen nicht entgegen.

 

Normenkette

BewG § 111 Nrn. 7b, 8, § 114; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2, 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) setzte mit Bescheid vom 26. Januar 1987 zum Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1983 gegen den während des Revisionsverfahrens verstorbenen Steuerpflichtigen Vermögensteuer fest. Er erfaßte dabei auch zwei Mietwohngrundstücke, die der Steuerpflichtige mit Geldmitteln erworben hatte, die ihm als Kapitalabfindung für eine Schadensersatzrente gezahlt worden waren. Schadensersatz stand dem Steuerpflichtigen wegen eines Unfalls zu, den er zuvor erlitten und bei dem er sein Augenlicht verloren hatte.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrte der Steuerpflichtige, die Grundstücke in gleicher Weise von der Vermögensbesteuerung auszunehmen wie Ansprüche auf Entschädigungsrenten oder Ansprüche auf Kapitalabfindungen, die für den durch eine Körperverletzung herbeigeführten gänzlichen Verlust der Erwerbsfähigkeit gewährt werden.

Das Finanzamt (FG) wies die Klage ab. Das FA habe die Grundstücke zutreffend bei der Besteuerung des Vermögens angesetzt. Dem Steuerpflichtigen habe zum Stichtag kein Renten- oder Kapitalabfindungsanspruch i. S. von § 111 Nr. 7 b und Nr. 8 des Bewertungsgesetzes (BewG) zugestanden. Eine erweiternde Auslegung des § 111 Nr. 7 b und Nr. 8 BewG sei wegen der eindeutigen Gesetzesregelung nicht zulässig. Es sei sachgerecht und verstoße nicht gegen verfassungsmäßige Grundsätze, lediglich die Ansprüche auf Renten- und Kapitalabfindungen von der Vermögensteuer auszunehmen, nicht aber die ausgezahlten Renten- und Kapitalabfindungen bzw. die dafür erworbenen Surrogate.

Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 639 abgedruckt.

Testamentsvollstrecker über den Nachlaß des verstorbenen Steuerpflichtigen wurde der Kläger und Revisionskläger.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG vom 12. März 1992 sowie den Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1983 vom 26. Januar 1987 aufzuheben.

Er rügt fehlerhafte Anwendung von § 111 Nr. 7 b und Nr. 8 BewG. Die konsequente Normauslegung dieser Vorschriften fordere die Erstreckung der Steuerbefreiung auch auf die beiden streitigen Grundstücke des Steuerpflichtigen. Denn die Investition der Kapitalabfindung in Immobilien sei wesensgleich mit dem Anspruch auf Kapitalabfindung sowie mit dem Rentenstammrecht. Eine Gesetzesanalogie sei daher rechtsfortbildend zwingend. Dies gelte zumindest für Blinde, die nachhaltig infolge ihres Schicksals in ihrer Erwerbsmöglichkeit und Vermögensbildung beschränkt seien. Die Freistellung der Rentenleistung und die Nichtfreistellung der Ersatztatbestände in Gestalt der Surrogat-Versorgung widerspreche zudem dem Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), insbesondere im Zusammenhang mit Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 GG.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Grundstücke des Steuerpflichtigen, die er mit Hilfe einer als Schadensersatz erhaltenen Kapitalabfindung erworben hat, nicht von der Besteuerung des Vermögens freigestellt sind.

1. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) unterliegt der Steuerpflichtige mit seinem Gesamtvermögen (§§ 114 bis 120 BewG) der Vermögensteuer. Die dem Steuerpflichtigen gehörenden Mietwohngrundstücke (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 BewG) rechnen bewertungsrechtlich zum Grundvermögen, das mit den nach § 121 a BewG erhöhten Einheitswerten bei der Ermittlung des zu versteuernden Gesamtvermögens anzusetzen ist (§ 114 Abs. 3 BewG).

2. Die Einbeziehung des Grundvermögens in das zu versteuernde Gesamtvermögen (vgl. § 114 Abs. 1 BewG) wird -- entgegen der Ansicht der Revision -- nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Grundvermögen mit Hilfe einer als Schadensersatz geleisteten Kapitalabfindung erworben wurde.

a) Nach § 114 Abs. 2 BewG gehören nur die Wirtschaftsgüter nicht zum Gesamtvermögen, die nach den Vorschriften des VStG oder anderer Gesetze (z. B. des BewG) von der Vermögensteuer befreit sind. Eine Vorschrift, wonach das Grundvermögen des Steuerpflichtigen von der Vermögensteuer befreit ist, ist nicht ersichtlich. Auch die vom Kläger angesprochenen Vorschriften des § 111 Nr. 7 b bzw. Nr. 8 BewG enthalten keine solche Befreiung.

Nach diesen Vorschriften gehören Ansprüche auf Renten bzw. Ansprüche auf eine Kapitalabfindung, die dem Steuerpflichtigen als Entschädigung für den durch Körperverletzung oder Krankheit herbeigeführten gänzlichen oder teilweisen Verlust der Erwerbsfähigkeit zustehen, nicht zum sonstigen Vermögen. § 111 Nr. 7 b bzw. Nr. 8 BewG kann deshalb seinem klaren und eindeutigen Wortlaut und seiner systematischen Stellung im Gesetz nach schon deshalb nicht zu einer Steuerfreiheit des Grundvermögens des Steuerpflichtigen führen, weil diese Regelungen nur das sonstige Vermögen i. S. von § 110 BewG betreffen, wozu nach § 110 Abs. 1 BewG das Grundvermögen (§ 68 Abs. 1 BewG) nicht gehört.

Eine analoge Anwendung von § 111 Nr. 7 b bzw. Nr. 8 BewG auch auf Grundvermögen, welches mit Mitteln erworben wurde, die aus der Erfüllung der in § 111 Nr. 7 b bzw. Nr. 8 BewG genannten Ansprüche stammen, ist nicht möglich. Denn eine Gesetzeslücke besteht -- anders als die Revision meint -- insoweit nicht. Entgegen der Auffassung der Revision hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 111 Nr. 7 b bzw. Nr. 8 BewG erkennbar nicht eine allgemeine Steuervergünstigung für die Personen schaffen wollen, die infolge Körperverletzung oder Krankheit ganz oder teilweise erwerbsunfähig sind, insbesondere auch nicht die in der Behinderung liegenden Nachteile allgemein ausgleichen wollen. Vielmehr zielen diese Regelungen ausschließlich darauf ab, die darin liegende Härte auszugleichen, Schadensersatzansprüche bereits zu einem Zeitpunkt zur Steuer heranzuziehen, zu dem diese mangels Erfüllung noch nicht zu einem für den Steuerpflichtigen tatsächlich verfügbaren Vermögenszuwachs geführt haben. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber lediglich vorhandene aber noch nicht erfüllte Schadensersatzansprüche, die ansonsten gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 BewG dem sonstigen Vermögen zuzurechnen wären, der Vermögensbesteuerung entzogen.

Aus § 111 Nr. 7 b bzw. Nr. 8 BewG kann auch nicht der allgemeine Grundsatz abgeleitet werden, Schadensersatzleistungen einschließlich der mit diesen Mitteln angeschafften Wirtschaftsgüter seien bei der Vermögensteuer nicht zu berücksichtigen; dies würde dem Gesetzeszweck widersprechen. Es kann deshalb auch nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe zwar eine Regelung bezüglich der (nicht erfüllten) Schadensersatzansprüche getroffen, es aber versehentlich unterlassen, eine entsprechende Regelung für ausgezahlte Schadensersatzleistungen einschließlich der mit diesen Mitteln angeschafften Wirtschaftsgüter zu treffen. Eine analoge Anwendung dieser Regelung auch auf diese Fälle scheidet deshalb aus.

Werden Entschädigungsansprüche i. S. des § 111 BewG gegenüber dem Berechtigten erfüllt, erlöschen die Ansprüche (§ 362 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --). Die erhaltenen Entschädigungsleistungen gehören dann nach Maßgabe ihrer Zuordnung zu den bewertungsrechtlich vorgesehenen Vermögensarten zum steuerpflichtigen Vermögen des Empfängers. § 111 BewG gewährt keine zeitlich und gegenständlich weitergehende oder gar unbegrenzte Steuerbefreiung für all das, was auch und mit Hilfe des Entschädigungsanspruchs erlangt wird.

Der weiter von der Revision verfolgte Rechtsgedanke der Surrogation, wonach die Vermögensteuerbefreiung nach § 111 BewG nicht mit dem Zufluß der Entschädigung endet, sondern auf ersatzweise angeschaffte Gegenstände anderer Vermögensarten ausgedehnt werden soll, greift nicht durch. Eine derart weite, sich vom Gesetzeszweck und -wortlaut völlig lösende Auslegung ist mit dem Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit der Besteuerung nicht vereinbar. Ein Rückgriff auf die Surrogationsbegriffe des bürgerlichen Rechts verbietet sich zudem schon deshalb, weil diese in sich unterschiedlich sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 22. Juni 1994 II R 1/92, BFHE 174, 377, BStBl II 1994, 656).

b) Ohne Erfolg beruft sich die Revision für die mit ihr begehrte Rechtsfolge auch auf die in den Urteilen des Senats vom 4. März 1964 II 41/60 U (BFHE 79, 37, BStBl III 1964, 246) und vom 12. März 1968 II R 110/66 (BFHE 92, 234, BStBl II 1968, 495) vertretene Rechtsauffassung zur erbschaftsteuerlichen Behandlung bezogener Entschädigungsleistungen, die aufgrund von Ansprüchen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) gezahlt wurden. Die am Wiedergutmachungsgedanken des BEG orientierte erbschaftsteuerliche Gleichstellung von ausbezahlten, aber noch im Nachlaß vorhandenen Entschädigungsleistungen mit den Ansprüchen auf diese Entschädigungen hat der Senat in seinen späteren Entscheidungen zumindest für solche Fälle ausgeschlossen, in denen die Entschädigungsleistung in andere Gegenstände -- etwa in Wertpapiere oder Grundstücke -- umgewandelt wurden. Denn in diesen Fällen haben die Entschädigungsleistungen ihre Eigenschaft verloren, lediglich den Geldwert des Entschädigungsanspruchs zu repräsentieren (vgl. BFH-Urteile vom 9. Dezember 1976 II R 135/67, BFHE 121, 206, BStBl II 1977, 289, und vom 1. Dezember 1982 II R 139/78, BFHE 137, 83, BStBl II 1983, 118). Es kann daher unerörtert bleiben, ob der erkennende Senat die in den genannten Urteilen vertretene Rechtsauffassung zum Begriff "Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG" in entsprechender Weise auf die in § 111 Nr. 7 b und Nr. 8 BewG genannten Entschädigungsansprüche anwenden könnte.

c) Das Begehren findet schließlich auch in der Regelung des § 111 Nr. 3 Satz 4 BewG keine analogiefähige Grundlage. Denn wird nach dieser Regelung eine fällige, an sich zum sonstigen steuerpflichtigen Vermögen zählende Kapitalversicherungssumme als Einmalbetrag zu einer sofort beginnenden Rentenversicherung verwendet, so gehören nur die Ansprüche aus dieser Rentenversicherung nicht zum sonstigen Vermögen. Dies gilt -- entgegen der Ansicht der Revision -- nicht im Falle einer Auszahlung der fälligen Kapitalversicherungssumme.

3. Verfassungsrechtliche Prinzipien, insbesondere der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG) stehen der Besteuerung der mit dem Schadensausgleichskapital finanzierten Grundstücke des auf Dauer geschädigten Steuerpflichtigen nicht entgegen.

Die Steuerpflicht ist eine Grundpflicht (Gemeinschaftspflicht) aller finanziell leistungsfähigen Bürger (Tipke/Lang, Steuerrecht, Ein systematischer Grundriß, 13. Aufl., § 1 Ziff. 1). Dabei ist es ein grundsätzliches Gebot der Steuergerechtigkeit, daß die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet wird (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214). Das FG gebietet somit nicht, zwar behinderte, aber leistungsfähige Bürger von der Steuerpflicht auszunehmen. Die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen stellt sich -- unabhängig von einem evtl. Arbeitseinkommen -- auch in dessen Vermögen dar. Denn das Vorhandensein von nicht unbeachtlichem Vermögen erweitert die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Betätigung. Diese objektive Grundlage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird nicht dadurch aufgehoben, daß das Vermögen oder ein Teil davon etwa aufgrund einer Schadensersatzleistung erworben wurde und dem Ausgleich einer durch Unfall entstandenen Erwerbsunfähigkeit dient. Denn auch insoweit repräsentiert das Vermögen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Geschädigten. Die Minderung der Leistungsfähigkeit wird im Gesetz durch den zusätzlichen Freibetrag nach § 6 Abs. 3 VStG berücksichtigt.

Der Senat sieht keinen Grund für eine weitergehende Prüfung, ob und inwieweit das sich aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ergebende verfassungsrechtliche Gebot der Nichtbesteuerung des Existenzminimums (BVerfG-Beschluß vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BStBl II 1990, 653) über die Gewährung von Freibeträgen (§ 6 VStG) hinaus bei der Besteuerung eines -- möglicherweise allein der Existenzgrundlage dienenden -- Vermögens zu berücksichtigen ist. Denn im Streitfall gibt schon die Höhe des Vermögens dazu keinen Anlaß.

Auch besteht keine sich aus dem GG, insbesondere aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG ergebende Notwendigkeit, der sich aus der Behinderung bzw. Erwerbsunfähigkeit ergebenden finanziellen Mehrbelastung über die im VStG enthaltene Steuervergünstigungsregelung für diese Fälle (vgl. § 6 Abs. 3 VStG) hinaus durch weitergehende Vermögensteuervergünstigungen Rechnung zu tragen.

Schließlich geben auch die Ausführungen im Beschluß des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BStBl II 1995, 656) zur Steuerfreiheit des persönlichen Gebrauchsvermögens entgegen der Auffassung der Revision keinen Anlaß, die mit der Kapitalabfindung angeschafften Mietwohngrundstücke von der Vermögensteuer auszunehmen. Das BVerfG führt zwar aus, unter Berücksichtigung der steuerlichen Vorbelastung des Vermögens dürfe der Steuergesetzgeber das vom Steuerpflichtigen zur Grundlage seiner individuellen Lebensgestaltung bestimmte Vermögen nicht durch weitere Besteuerung mindern und müsse deshalb jedenfalls die wirtschaftliche Grundlage persönlicher Lebensführung gegen eine Sollertragsteuer abschirmen. Gleichzeitig verweist das BVerfG aber ausdrücklich darauf, daß das Konzept der geltenden Vermögensteuer diesen Anforderungen entspricht (vgl. die Ausführungen unter Nr. 4 des Beschlusses). Die Ausführungen des Gerichts zur steuerrechtlichen Privilegierung des persönlichen Gebrauchsvermögens sind erkennbar nur als Hinweis an den Gesetzgeber zu verstehen, diese Grundsätze bei der -- aus anderen Gründen -- notwendigen Neuregelung zu beachten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421162

BFH/NV 1996, 517

BB 1996, 363

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