Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteilsberichtigung

 

Leitsatz (NV)

Es bildet keinen zur Urteilsberichtigung führenden Rechenfehler oder eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit, wenn das FG eine Saldierungsmöglichkeit übersehen hat.

 

Normenkette

FGO §§ 40, 100 Abs. 2 S. 1, § 107; AO 1977 § 174 Abs. 4 Sätze 1-2; EStG § 10d Sätze 2-3

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war typischer stiller Gesellschafter einer GmbH, aus der er im November 1981 gegen eine Abfindung von 400000 DM ausgeschieden ist; die Abfindung wurde ihm in zwei Raten von 250000 DM und 150000 DM am 27. November 1981 bzw. 20. Juli 1982 gezahlt. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1981 die gesamte Abfindung der Einkommensteuer unterworfen hatte, hat das Finanzgericht (FG) in dem von den Klägern angestrengten Rechtsstreit der Klage mit Urteil vom 26. März 1991 teilweise stattgegeben und entschieden, daß zwar die gesamte Abfindung der Einkommensteuer unterliege, dem Kläger im Streitjahr 1981 jedoch lediglich die erste Rate von 250000 DM zugeflossen sei. Das FG verminderte dementsprechend in seiner Steuerberechnung das vom FA bisher festgesetzte zu versteuernde Einkommen ... um 150000 DM, so daß sich eine Ermäßigung der Einkommensteuer ergab. Dabei ließ es den vom FA für das Streitjahr berücksichtigten, in Grund und Höhe offenbar unstreitigen Verlustrücktrag aus dem Jahre 1982 in Höhe von ...DM unverändert.

Auf Antrag des FA berichtigte das FG mit Beschluß vom 4. November 1992 sein Urteil dahingehend, daß die Klage abgewiesen wurde. Denn es sei ihm eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dadurch unterlaufen, daß hinsichtlich des Teilbetrages von 150000 DM die Verrechnungsmöglichkeit im Rahmen des Verlustabzugs übersehen worden sei.

Hiergegen haben die Kläger Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.

Sie machen geltend, die Unrichtigkeit der Steuerberechnung durch das FG könne auf einem Denkfehler oder Rechtsirrtum beruhen, möglicherweise deshalb, weil die Einkommensteuerveranlagung 1982 bereits bestandskräftig gewesen sei. Das FG hätte jedenfalls den Sachverhalt auch hinsichtlich der Steuerberechnung ermitteln müssen. Der Berichterstatter beim FG habe dem Klägervertreter denn auch mit Schreiben vom 26. Juni 1991 mitgeteilt, daß seines Erachtens kein Fall eines bloßen Versehens (Rechenfehler) vorliege.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berichtigungsbeschlusses des FG.

Nach § 107 FGO sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit vom Gericht zu berichtigen. Ein Rechenfehler setzt einen Fehler bei der Lösung einer rein rechnerischen Aufgabe voraus; ein Fehler beim Ansatz der in die Rechnung einzubeziehenden Beträge ist damit nicht gemeint (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 19. Februar 1965 III 185/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 476, und Senatsbeschluß vom 6. Juli 1972 VIII B 11/68, BFHE 107, 4, BStBl II 1972, 954). Aus der gesetzlichen Gleichsetzung von Schreib-, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten folgt, daß unabsichtliche, versehentliche, unbewußte und mechanische Fehler vorliegen müssen. Die offenbare Unrichtigkeit braucht zwar nicht aus dem Urteil unmittelbar hervorzugehen, muß aber augenfällig auf der Hand liegen (Senatsbeschluß vom 4. September 1984 VIII B 157/83, BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834). Bereits die Möglichkeit eines Rechtsirrtums, Denkfehlers oder unvollständiger Sachverhaltsermittlung durch das FG schließt die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit aus (ständige Rechtsprechung, vgl. die Nachweise bei Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 107 Rz. 2 bis 4). Denn die Berichtigung darf nur der Verwirklichung des vom FG erkennbar Gewollten dienen, also den materiellen Bestand des Urteils nicht berühren. Sie ist unzulässig, soweit nachträglich die gewollte Entscheidung selbst korrigiert wird (BFH-Beschlüsse vom 14. Oktober 1976 V B 16/76, BFHE 120, 145, BStBl II 1977, 38, und vom 7. Dezember 1983 I R 142/81, nicht veröffentlicht - NV -). Ein nicht gemäß § 107 FGO korrigierbarer Rechtsirrtum liegt z.B. vor, wenn das FG eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage übersieht oder deren Entscheidungserheblichkeit verkennt (BFH-Beschlüsse vom 13. November 1990 VII B 76/90, BFH/NV 1991, 609 und vom 3. Juli 1991 X B 164/90, BFH/NV 1992, 120).

Erachtet das FG einen mit der Klage angefochtenen Steuerbescheid für rechtsfehlerhaft, darf es die Steuer gleichwohl nicht ermäßigen, wenn der Fehler zu Lasten des Steuerpflichtigen mit einem anderen Fehler zu seinen Gunsten ausgeglichen wird. Denn Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens ist nach ständiger Rechtsprechung seit dem BFH-Beshcluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66 (BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 345) nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Bescheids. Deshalb muß das FG bei einem hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Steuer angegriffenen Bescheid entscheiden, ob dieser Betrag - aus welchen Gründen auch immer, also nicht beschränkt auf den von den Beteiligten vorgetragenen Sachverhalt - zutrifft (BFH-Urteil vom 27. September 1973 IV R 212/70, BFHE 110, 453, BStBl II 1974, 121, 124, Ziff.2a der Gründe, Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 65 FGO Anm. 22; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 100 FGO Rz. 15, und Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9295).

Im vorliegenden Fall liegt kein nach § 107 FGO zu berichtigender Rechenfehler vor. Denn das FG hat sich bei der ihm gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO grundsätzlich obliegenden Steuerfestsetzung nicht verrechnet, als es das vom FA ermittelte zu versteuernde Einkommen um den Teilbetrag von 150000 DM vermindert hat. Vielmehr hat die Vorinstanz in ihrem Urteil nicht über die weitere Rechtsfrage entschieden, ob die Ermäßigung der Einkünfte aus Kapitalvermögen um 150000 DM im Streitjahr 1981 mit einer entsprechenden Verringerung des Verlustrücktrags aus 1982 zu saldieren war. Darin liegt auch keine ähnliche offenbare Unrichtigkeit. Weder aus der Vorentscheidung noch aus den dem Senat vorliegenden Akten ergibt sich, daß das FG die Saldierungsfrage geprüft und nur aufgrund eines offenkundigen Versehens nicht ausdrücklich beschieden hätte. Sollte die Frage vom FG bei der Beratung seines Urteils erörtert worden sein, ohne dann Eingang in die Entscheidungsgründe zu finden, so muß die Auseinandersetzung mit der Saldierung aufgrund rechtlicher Überlegungen unterblieben sein, die über ein offenkundiges Versehen weit hinausreichen. Dafür spricht auch, daß Korrekturen beim Verlustrücktrag schwierige Rechtsfragen aufwerfen können, die zu einer Reihe von BFH-Entscheidungen bis in die jüngste Zeit geführt haben (vgl. z.B. Urteil vom 9. Juli 1992 XI R 29/91, BFHE 168, 558, BStBl II 1993, 29 mit Rechtsprechungsnachweisen). Als Verfahrensalternative anstelle der vom FA erstrebten und vom FG beschlossenen Saldierung läßt sich etwa nicht von der Hand weisen, daß das FA auch aufgrund des ergangenen FG-Urteils den Einkommensteuerbescheid 1982 nach § 174 Abs. 4 Satz 1 bis 2 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechend ändern und dann aus dieser Änderung gemäß § 10d Satz 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1982 nachträgliche Folgerungen für die Änderung des Verlustabzugs betreffend das Streitjahr 1981 ziehen könnte (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 10d Anm. 8).

Hat das FG, was aufgrund des Tenors und der Gründe seines Urteils einschließlich der Steuerberechnung anzunehmen näher liegt, schlicht übersehen, daß hier vom FA ein erheblicher Verlustrücktrag aus 1982 berücksichtigt worden war, der möglicherweise hätte gekürzt werden müssen, handelte es sich ebensowenig um eine offenbare Unrichtigkeit. Denn das Übersehen einer Saldierungfrage bildet, wie ausgeführt, regelmäßig kein auf der Hand liegendes Versehen, sondern einen Rechtsfehler, der nur mit den im Rechtsmittelverfahren gegebenen Möglichkeiten angefochten werden kann. Das gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als es sich um den - verhältnismäßig hohen - Betrag gehandelt hat, um den das FG auf die Klage hin den angefochtenen Bescheid ermäßigt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO (vgl. BFH-Beschluß in BFH/ NV 1991, 609).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419242

BFH/NV 1994, 112

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