Entscheidungsstichwort (Thema)
Anordnungsanspruch aus § 258 AO 1977 für einstweilige Anordnung
Leitsatz (NV)
Zur Frage, inwieweit § 258 AO 1977 als Rechtsgrundlage für einen Anordnungsanspruch auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Einstellung der Vollstreckung in Betracht kommt.
Normenkette
FGO § 114; ZPO § 920 Abs. 2; AO 1977 § 258
Verfahrensgang
Gründe
Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen. Voraussetzung einer solchen Anordnung ist, daß ein (Anordnungs-) Anspruch und die Notwendigkeit einer Regelung - Anordnungsgrund - bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Das FG hat zutreffend entschieden, daß es im Streitfalle bereits am Bestehen eines Anordnungsanspruchs fehlt.
Als Rechtsgrundlage kommt dafür allein § 258 AO 1977 in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde - das FA - die Vollstreckung, wenn sie ,,im Einzelfall" unbillig ist, einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben. Streitgegenstand ist nur die in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung vorläufigen Vollstreckungsaufschubs.
Es ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen vorläufiger Rechtsschutz durch das Gericht erlangt werden kann, wenn der Anordnungsanspruch eine behördliche Ermessensentscheidung betrifft (vgl. Beschluß des Senats vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, 30, BStBl II 1977, 587 f.). Es bedarf keiner Entscheidung, welcher der vertretenen Auffassungen zu folgen ist. Auch wenn der für den Antragsteller günstigsten Auffassung gefolgt wird, nämlich der, daß das Gericht die einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen (,,Interims"-)Ermessens zu treffen befugt ist, wäre die Anordnung zu versagen, weil ihre Voraussetzung - die Unbilligkeit der Vollstreckung - nicht schlüssig dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht ist.
Soweit der Antragsteller geltend macht, das Festhalten an den Sicherungsabtretungen nach Eingang der Zahlung von 50 000 DM - über die Beibringung einer Bankbürgschaft ist aus den Vollstreckungsakten nichts ersichtlich - habe ihn weiter in eine finanzielle Notlage getrieben, vermag dieses Vorbringen einen Anordnungsanspruch nicht zu begründen. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um eine Vollstreckungsmaßnahme gehandelt hat (vgl. § 327 Satz 2, § 314 Abs. 1 AO 1977; siehe dazu Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 327 AO 1977 Tz. 7), ob das FA gegen § 327 Satz 3 AO 1977 oder gegen Abreden verstoßen hat, die im Zusammenhang mit der Entgegennahme der Zahlung getroffen worden sein sollten, und welche Folgerungen sich daraus ergäben, falls die Abtretungen noch beständen. Nach der Rückabtretung der Forderungen durch das FA an den Antragsteller wäre jedenfalls kein Raum mehr für eine Aufhebung von Maßnahmen, die das FA bereits selbst aufgehoben hat. Wirkungen, die inzwischen eingetreten sind - z. B. Zahlungen eines Schuldners an das FA -, könnten durch Vollstreckungsaufschub nicht ungeschehen gemacht werden. Hinsichtlich der vom FA aufgehobenen Forderungspfändungen gilt das gleiche. Abgesehen davon kann die Rechtmäßigkeit der Forderungspfändungen nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden, diese Forderungen hätten nicht dem Antragsteller, sondern Dritten zugestanden. Der Gegenstand der Forderungspfändung ist nur die angebliche Forderung (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 309 AO 1977 Tz. 6; siehe auch § 316 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977).
Wie der Senat dem Vorbringen des Antragstellers entnimmt, stützt dieser seine Ansicht, ermessensfehlerfrei könne nur im Sinne seines Antrags - einstweilige Einstellung der Vollstreckung bis zum Abschluß des Hauptverfahrens - entschieden werden, in erster Linie darauf, daß das FA den aus privater Quelle beschafften Betrag von 50 000 DM entgegengenommen und damit zu erkennen gegeben habe, daß das Vollstreckungsverfahren zunächst nicht weiterbetrieben werden solle, und daß eine Konsolidierung seiner - des Antragstellers - wirtschaftlichen Lage möglich erscheine. Auch mit diesem Vorbringen läßt sich ein Anordnungsanspruch nicht begründen. Die Vollstreckung ist nicht schon deshalb unbillig, weil sie für den Vollstreckungsschuldner nachteilige Folgen hat. Vielmehr ist Unbilligkeit ,,im Einzelfall" (§ 258 AO 1977) nur anzunehmen, wenn - wie Abschn. 7 Abs. 2 Satz 1 der Vollstreckungsanweisung vom 13. März 1980 (BStBl I 1980, 112) zutreffend umschreibt - die Vollstreckung dem Schuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Abwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es mag zutreffen, daß der Antragsteller bei der Zahlung des Betrages von 50 000 DM die Erwartung gehegt hat, das FA werde nicht nur - wie geschehen - die Forderungspfändungen aufheben, sondern auch von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen einstweilen absehen. Eine Stillhalteverpflichtung oder -zusage des FA - sie liefe praktisch auf eine Stundung hinaus (vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, 422, BStBl II 1985, 194, 196) - liegt jedenfalls nicht vor; sie wird auch vom Antragsteller nicht geltend gemacht, wie daraus gefolgert werden kann, daß er vorträgt, das FA habe Verhandlungsbereitschaft im Falle der Vorlage bestimmter Unterlagen zu erkennen gegeben.
Es ist auch nicht glaubhaft gemacht worden, daß durch kurzfristiges Zuwarten ein unangemessener Nachteil, wäre er überhaupt anzunehmen, vermieden werden könnte. Selbst der Antragsteller behauptet nicht, daß er die Steuerrückstände kurzfristig tilgen könne und werde. Vielmehr trägt er lediglich vor, seine wirtschaftliche Lage lasse eine Konsolidierung immer noch als möglich erscheinen. Ein die begehrte Regelung rechtfertigender Anordnungsanspruch läßt sich in dieser Darstellung angesichts der Höhe der Steuerrückstände - selbst wenn diese sich vermindert haben sollten - nicht entnehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 414394 |
BFH/NV 1986, 478 |