Entscheidungsstichwort (Thema)
Liebhaberei bei Rechtsanwaltstätigkeit
Leitsatz (NV)
Die Beantwortung der Frage, ob eine alleinerziehende Mutter ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht ausübt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und kann nicht allgemein in einem Revisionsverfahren entschieden werden.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3; GG Art. 6, 12, 103 Abs. 1; EStG § 15
Verfahrensgang
FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 18.02.2014; Aktenzeichen 5 K 5415/12) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Februar 2014 5 K 5415/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erzielte in den Streitjahren (2008 bis 2010) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Darüber hinaus arbeitete sie selbständig als Rechtsanwältin. Aus dieser Tätigkeit machte sie für das Jahr 2000 sowie für die Jahre 2002 bis 2010 Verluste geltend, die sich jährlich auf Beträge zwischen 315,23 EUR und 8.313,17 EUR beliefen.
Rz. 2
Die Klägerin gab für die Streitjahre zunächst keine Steuererklärungen ab. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) schätzte daher die Besteuerungsgrundlagen und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide. Dagegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch und Klage. Im Verlauf des Klageverfahrens legte sie Steuererklärungen vor. Das FA erließ daraufhin geänderte Einkommensteuerbescheide. Dabei berücksichtigte es die erklärten Verluste aus der Rechtsanwaltstätigkeit nicht. Die Klage, die sich nunmehr gegen die Änderungsbescheide richtete, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verneinte eine Gewinnerzielungsabsicht der Klägerin.
Rz. 3
Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, mit welcher sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie einen Verfahrensmangel geltend macht (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
Rz. 4
Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob „bei mehrjährigen Verlusten bei Einkünften aus selbständiger Tätigkeit einer selbständigen Rechtsanwältin ohne bestehendem Vermögen während der Familiengründungsphase mit Kinderwunsch und darauffolgenden Kindererziehungszeiten als alleinerziehende Mutter im Rahmen der Beurteilung einer Gewinnerzielungsabsicht mit dem Ziel eines Totalgewinns Verluste steuermindernd neben nicht hohen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit berücksichtigt werden” können. Die Frage der Liebhaberei sei nicht geklärt, weil die Abgrenzung nicht gesetzlich geregelt sei. Es sei keine Entscheidung veröffentlicht, welche die Gewinnerzielungsabsicht einer selbständigen Rechtsanwältin oder anderen selbständigen Freiberuflerin in Bezug auf Verluste infolge von Kinderwunschzeiten und anschließenden Kindererziehungszeiten zum Gegenstand habe. In der Rechtsprechung zur Gewinnerzielungsabsicht seien der Schutz der Familie nach Art. 6 des Grundgesetzes (GG) sowie die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG bislang nicht erörtert worden.
Rz. 5
Außerdem weiche das Urteil von der Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg vom 21. Juni 2011 6 K 6203/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2012, 39) ab. Darin habe dieses FG die Grundsätze der Liebhaberei bei Immobilien-Vorratsgesellschaften unter mehreren Gesichtspunkten nicht angewandt und habe eine Gewinnerzielungsabsicht der Gesellschafter bejaht. Bei ihr –der Klägerin– seien jedoch die Verluste aus der Tätigkeit als Rechtsanwältin nicht anerkannt worden.
Rz. 6
Als Verfahrensfehler sei die Verletzung des rechtlichen Gehörs zu rügen (Art. 103 Abs. 1 GG). Das FG sei davon ausgegangen, dass ihr –der Klägerin– nach dem Abitur der Pflegetochter im Jahr 2021 nur noch drei Jahre verbleiben würden, in denen sie als Rechtsanwältin Gewinne erzielen könne. Das FG habe ihren Vortrag nicht berücksichtigt, wonach sie beabsichtige, ihre Tätigkeit noch bis zur Vollendung ihres 77. Lebensjahres und damit bis zum Jahr 2030 auszuüben. Wenn das FG unterstelle, sie habe selbst das Ende ihrer beruflichen Tätigkeit auf das Jahr 2024 datiert, so sei dies unrichtig. Vielmehr habe sie ausdrücklich erklärt, mindestens bis zur Vollendung des 77. Lebensjahres anwaltlich tätig sein zu wollen. Das FG habe ihre Prognose des Totalgewinns weder erwähnt noch ihren Vortrag gewürdigt, sondern habe stattdessen unterstellt, dass sie bis zum Jahr 2024 keinen Totalgewinn erzielen könne.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg und wird deshalb durch Beschluss zurückgewiesen. Die von der Klägerin vorgebrachten Zulassungsgründe wurden entweder nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise vorgebracht oder liegen nicht vor.
Rz. 8
1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend macht.
Rz. 9
a) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu bedarf es substantiierter Angaben, inwieweit die aufgeworfene Frage im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im konkreten Fall auch klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2010 II B 39/10, BFH/NV 2011, 206, m.w.N.). Die Beschwerde muss sich insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2004 III B 121/03, BFH/NV 2005, 46).
Rz. 10
b) Die Klägerin hat im Streitfall keine abstrakte Rechtsfrage herausgestellt, die in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Ob die Verluste, die eine alleinerziehende (Pflege-)Mutter aus ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin erzielt, mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden können oder ob diese Verluste wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht steuerlich unbeachtlich sind, ist eine Frage des Einzelfalls und kann nicht allgemein in einem Revisionsverfahren entschieden werden. Das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht bei einer Tätigkeit als Rechtsanwalt war Gegenstand des BFH-Urteils vom 14. Dezember 2004 XI R 6/02 (BFHE 208, 557, BStBl II 2005, 392). Mit diesem Urteil hat sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht auseinandergesetzt. Aus ihm geht hervor, dass die Finanzgerichte als Tatsachengerichte die Umstände des Einzelfalls anhand der vom BFH aufgestellten Rechtsgrundsätze würdigen und darüber entscheiden müssen, ob eine Tätigkeit als Rechtsanwalt mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben wird oder nicht. Weshalb diese Grundsätze bei einer als Rechtsanwältin tätigen (Pflege-)Mutter nicht oder nur eingeschränkt gelten sollen, geht aus dem Vorbringen der Klägerin nicht hervor und ist auch –trotz des Hinweises auf Art. 6 GG und Art. 12 GG– nicht ersichtlich.
Rz. 11
2. Ebenso unzulässig ist die Beschwerde, soweit die Klägerin die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts geltend macht. Dieser Zulassungsgrund ist ein Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 5. Mai 2014 III B 85/13, BFH/NV 2014, 1186), der hier –wie ausgeführt– nicht in einer den Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt wurde.
Rz. 12
3. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz wurde nicht in zulässiger Weise geltend gemacht.
Rz. 13
a) Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine BFH-Entscheidung zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. März 2010 IV B 131/08, BFH/NV 2010, 1487). Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichungsrüge muss der Beschwerdeführer u.a. tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der mit Datum sowie Aktenzeichen und/oder Fundstelle bezeichneten Divergenzentscheidung andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so die behauptete Abweichung zu verdeutlichen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 11. März 2011 III B 76/10, BFH/NV 2011, 981).
Rz. 14
b) Die Klägerin hat in der Beschwerdebegründung längere Passagen aus dem Urteil des FG Berlin-Brandenburg in EFG 2012, 39 wiedergegeben. Eine Divergenz hat sie damit noch nicht dargelegt. Aus ihrem Vorbringen geht nicht hervor, dass die beiden FG-Entscheidungen einander widersprechende Rechtssätze enthalten. Der Hinweis darauf, dass in dem Urteil des FG Berlin-Brandenburg in EFG 2012, 39, das Gesellschafter von Immobilien-Vorratsgesellschaften betrifft, eine Gewinnerzielungsabsicht bejaht worden sei, nicht aber im Streitfall, genügt nicht.
Rz. 15
4. Schließlich hat die Beschwerde auch insoweit keinen Erfolg, als die Klägerin als Verfahrensmangel die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, weil das FG bei seiner Gewinnprognose nicht ihren Vortrag beachtet habe, wonach sie ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin mindestens bis zum 77. Lebensjahr ausüben wolle.
Rz. 16
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verpflichtet das Gericht, die Beteiligten über den Verfahrensstoff zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern ihres Vorbringens auseinanderzusetzen. Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 14. Januar 2014 III B 89/13, BFH/NV 2014, 521).
Rz. 17
b) Das FG hat bei der Prüfung eines möglichen Totalgewinns aus der Rechtsanwaltstätigkeit der Klägerin das Jahr 2024 als das letzte Jahr einer solchen Tätigkeit angesehen. In diesem Jahr wird die Klägerin im Erlebensfall 71 Jahre alt sein. Das FG hat das Jahr 2024 als zeitliche Grenze herangezogen, weil die Klägerin im Schreiben an das FG vom 16. August 2013 angegeben hatte, dass sie „voraussichtlich bis mindestens” bis zum Jahr 2024 als Rechtsanwältin tätig sein wolle. Das FG hat somit eine berufliche Tätigkeit der Klägerin als Rechtsanwältin bis zu einem Lebensalter unterstellt, das weit oberhalb der üblichen Altersgrenze liegt. Allein deshalb, weil die Klägerin in einem an das FA gerichteten Schreiben vom 31. Mai 2013 behauptet hatte, dass sie mindestens bis zum Jahr 2030 und somit bis zu ihrem 77. Lebensjahr tätig sein wolle, brauchte das FG seine Gewinnprognose nicht bis zu diesem Jahr auszudehnen und zu unterstellen, dass die Klägerin im fortgeschrittenen Alter als Anwältin wirtschaftlich erfolgreicher sein werde als in jüngeren Jahren. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht darin zu sehen, dass das FG den Angaben der Klägerin nicht gefolgt ist. Denn aus dem Verfahrensgrundsatz des rechtlichen Gehörs ergibt sich kein Anspruch darauf, dass das Gericht einen Verfahrensbeteiligten „erhört”, sich also seinen rechtlichen Ansichten oder seiner Sachverhaltswürdigung anschließt (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. Mai 2013 III B 1/13, BFH/NV 2013, 1264).
Rz. 18
5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).
Rz. 19
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 7696635 |
BFH/NV 2015, 857 |