BMF: Gewinnberichtigung und Fremdvergleichsgrundsatz

Die Grundsätze der BFH-Urteile vom 17.12.2014 und vom 24.6.2015 sind über die entschiedenen Einzelfälle hinaus nicht anzuwenden, soweit der BFH eine Sperrwirkung von DBA-Normen, die inhaltlich Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen entsprechen, gegenüber § 1 AStG angenommen hat.

  1. Der BFH stellt in seinem Urteil vom 17.12.2014 (Az. I R 23/13) unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 11.10.2012 (I R 75/11, BStBl II 2013 S. 1046, dort Rz. 11, 12) fest, dass der abkommensrechtliche Grundsatz des „dealing at arm‘s length“ bei verbundenen Unternehmen eine Sperrwirkung gegenüber den sog. Sonderbedingungen entfaltet. Für den maßgeblichen Vergleichsmaßstab des Art. 9 Abs. 1 DBA-USA 1989, der inhaltlich Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entspricht, könnten nur diejenigen Umstände des Sachverhalts einbezogen werden, welche sich auf wirtschaftliche oder finanzielle Bedingungen auswirken, also die Angemessenheit (Höhe) des Vereinbarten berühren. Eine Gewinnkorrektur, die sich gleichermaßen auf dessen Grund (Üblichkeit der Konditionen, Ernsthaftigkeit) bezöge, sei den Vergleichsmaßstäben des „dealing at arm‘s length“ als Gegenstand der Angemessenheitsprüfung fremd. Zwar sei unter den Ausdruck der vereinbarten Bedingungen in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA grundsätzlich alles zu subsumieren, was Gegenstand der kaufmännischen und finanziellen Beziehungen und damit Gegenstand des schuldrechtlichen Leistungsaustauschs zwischen den verbundenen Unternehmen sei, sodass neben dem Preis sämtliche weiteren Geschäftsbedingungen einzubeziehen seien. Diese Vereinbarungskonditionen könnten sich allerdings vor dem Grundsatz des in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA angelegten Prüfmaßstabs nur insofern auswirken, als deren Qualität den Preis im Fremdvergleich beeinflusst. Die Vereinbarungskonditionen bildeten insoweit stets (nur) die Grundlage für die Überprüfung der Verrechnungspreise.
  2. In seinem Urteil vom 24.06.2015 (Az. I R 29/14) knüpft der BFH in Bezug auf Art. IV DBA-Großbritannien 1964, der inhaltlich Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entspricht, an diese Rechtsprechung an. Dem entsprechend sei die Rückgängigmachung einer Teilwertabschreibung für ein unbesichertes Darlehen einer inländischen Muttergesellschaft an ihre ausländische Tochtergesellschaft nach § 1 Abs. 1 AStG nicht rechtmäßig. Dafür, dass § 1 Abs. 1 AStG abkommensüberschreibend ausgestaltet wäre, sei nichts ersichtlich.

Der Wortlaut des Gesetzes und auch der Wille der vertragschließenden Parteien der DBA lässt die Auslegung, die der BFH seinen Urteilen zugrunde legt, nicht zu. So gilt gem. Art. 9 Abs. 1 DBA-USA 1989 und Art. IV DBA-Großbritannien 1964, die inhaltlich dem Art. 9 Abs. 1 des OECD-MA entsprechen, nach ihrem Wortlaut als Voraussetzung für die Korrektur von „Gewinnen“ von verbundenen Unternehmen, dass diese „in ihren kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen an vereinbarte oder auferlegte Bedingungen gebunden sind, die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden“. In diesem Fall „dürfen die Gewinne, die eines der Unternehmen ohne diese Bedingungen erzielt hätte, wegen dieser Bedingungen aber nicht erzielt hat, den Gewinnen dieses Unternehmens zugerechnet und entsprechend besteuert werden.“

Die vom BFH postulierte ausschließliche Beschränkung der Korrektur auf Preise bzw. Verrechnungspreise kann weder aus dem Wortlaut von Art. 9 DBA-USA 1989, von Art. IV DBA-Großbritannien 1964 noch von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA abgeleitet werden. Im OECD-Kommentar zum OECD-MA wird ausdrücklich auf die Fremdüblichkeit der Bedingungen (arm‘s length terms) abgestellt und ausgeführt, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine Gewinnberichtigung (adjustments to profits) zum Gegenstand hat und gerade nicht eine Preisberichtigung.

Eine historische Auslegung führt zum gleichen Ergebnis

Der historische Gesetzgeber hat mit § 1 AStG eine Regelung für die Gewinnberichtigung von international verbundenen Unternehmen geschaffen, um das deutsche Steuerrecht an die Konzeptionen anderer moderner Steuerrechtsordnungen und an den Standard des internationalen Steuerrechts (siehe OECDMA und Kommentar) anzugleichen und international anerkannte Besteuerungsrechte auch national wahrnehmen zu können. Dazu hat er den in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA enthaltenen Fremdvergleichsgrundsatz national in § 1 AStG umgesetzt und konkretisiert. Einen Widerspruch zwischen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 1 AStG hat er erkennbar nicht gesehen und nicht schaffen wollen. Der BFH hat dagegen durch die beiden Urteile, bezogen auf das Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes, einen Widerspruch zwischen § 1 AStG und den DBA konstruiert, aus dem er eine Sperrwirkung der DBA gegenüber § 1 AStG herleitet.

Die Auslegung des BFH widerspricht auch Sinn und Zweck sowohl von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA als auch von § 1 AStG

Eine Beschränkung der Korrektur auf den jeweiligen Verrechnungspreis ist im Hinblick auf den Fremdvergleichsgrundsatz sinnwidrig, weil – wie in den Urteilsfällen – die Bedingungen eines konkreten Geschäftsvorfalls so gestaltet sein können, dass allein die Korrektur des Verrechnungspreises weder dazu geeignet ist noch ausreicht, ein Ergebnis zu erzielen, das dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (z. B. Darlehen an eine Tochtergesellschaft, deren erkennbare Zahlungsunfähigkeit – isoliert betrachtet – im Fremdvergleich nicht durch einen hohen Zinssatz ausgeglichen werden kann).

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG die Aussage enthalten ist, dass der Steuerpflichtige seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz (des § 1 AStG) anzusetzen hat. „Andere Vorschriften“ im Sinne dieser Vorschrift sind alle deutschen Steuerrechtsvorschriften, damit auch die der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA), deren Regelungen durch Zustimmungsgesetz zu „einfachem“ nationalen Recht werden (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG). Denn die DBA sind innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar, sondern nur mittelbar durch Zustimmungsgesetz (BFH, Urteil v. 13.7.1994, I R 120/93, BStBl 1995 II S. 129). Die ggf. über andere Vorschriften hinausgehende weitergehende Korrekturmöglichkeit des § 1 AStG besteht nach dem eindeutigen Wortlaut gegenüber allen „anderen Vorschriften“, somit auch gegenüber den Zustimmungsgesetzen zu DBA. Soweit der BFH einen Konflikt zwischen § 1 AStG und den DBA annimmt, hätte er einen „treaty override“ annehmen müssen, über dessen Wirksamkeit er das BVerfG durch Vorlage hätte entscheiden lassen müssen. Er hätte keinesfalls die Anwendung von § 1 AStG wegen der Sperrwirkung von DBA-Normen, die inhaltlich Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechen, dahingestellt sein lassen dürfen.

In Bezug auf die Ausführungen des BFH im Urteil vom 24.6.2015 zum Konzernrückhalt ist darauf hinzuweisen, dass das BMF-Schreiben vom 29.3.2011 (IV B 5 - S 1341/09/10004, BStBl I S. 277) unverändert anzuwenden ist. Denn dieses BMF-Schreiben zu Teilwertabschreibungen auf Darlehen zwischen nahe stehenden Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG ist unter der Voraussetzung ergangen, dass § 1 AStG entgegen der BFH-Rechtsprechung durch DBA-Normen, die Art. 9 Abs. 1 OECDMA entsprechen, nicht „gesperrt“ ist.

Umsetzung in der Praxis

Ist in der Betriebsprüfungspraxis ein Sachverhalt zu prüfen, der den Sachverhalten der Urteilsfälle entspricht, so ist zunächst festzustellen, ob die Darlehensbeziehung steuerlich anzuerkennen ist (z. B. keine verdeckte Einlage) und ob nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Teilwertabschreibung auf die Darlehensforderung vorliegen. Liegt eine anzuerkennende Darlehensbeziehung vor und wäre eine Teilwertabschreibung auf die Darlehensforderung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG durchzuführen, so ist zu prüfen, ob die Anwendung des § 1 AStG entsprechend dem BMF-Schreiben vom 29.3.2011 dazu führt, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen um den Betrag der Teilwertabschreibung zu erhöhen sind.

BMF, Schreiben v. 30.3.2016, IV B 5 -S 1341/11/10004-07

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