1 Rechtsentwicklung/Allgemeines

 

Rz. 1

In der Vorschrift werden die Grundsätze der Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie der humanen Krankenbehandlung noch einmal für alle Leistungserbringer zusammengefasst. Damit werden diese drei Prinzipien quasi vor die Klammer gezogen. In ihnen setzen sich die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Menschenwürde, des Sozialstaatsprinzips und des Gleichheitssatzes einfachgesetzlich um. Es handelt sich um allgemeine Vorgaben für die Vertragsgestaltung etwa bei der Festlegung des EBM und die Normsetzung im Leistungserbringungsrecht (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.6.2020, L 5 KR 743/18). Weil die Ebenen im Leistungsrecht so vielschichtig sind, wirken die Grundsätze des § 70 in die einzelnen Leistungsbereiche mit ihren jeweiligen Besonderheiten hinein (Wendtland, BeckOK Sozialrecht, SGB V, § 70 Rz. 2). Wegen der Allgemeinheit der Vorschrift lassen sich aus ihr keine individuellen Ansprüche ableiten.

 

Rz. 2

In Abs. 1 sind die Bedingungen, die an Umfang, Maß und Qualität der Versorgung der Versicherten gestellt werden, einzeln aufgeführt. Krankenkassen und Leistungserbringer müssen gemeinsam dafür sorgen, dass in ihren Verträgen, Vereinbarungen oder Absprachen die Ausrichtung der Versorgung am Bedarf sowie ihre Gleichmäßigkeit im Geltungsbereich des SGB V ebenso gewährleistet werden, wie die Übereinstimmung des Versorgungsinhaltes mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Die Umsetzung einer bedarfsgerechten Versorgung war, insbesondere in der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung der Versicherten, in der Vergangenheit immer schon problematisch, weil objektive Bedarfsgesichtspunkte nicht entwickelt werden konnten. Das Inanspruchnahmeverhalten der Versicherten hängt von vielen, meist subjektiven Faktoren ab. Es kommt hinzu, dass der Arzt/Zahnarzt über den Bedarf und die Menge an ärztlichen/zahnärztlichen Leistungen oftmals – auch unter Einbeziehung seiner Interessen – selbst bestimmen kann. An der Schwierigkeit, eine bedarfsgerechte Versorgung praxisgerecht umzusetzen, wird sich auch in Zukunft vermutlich wenig ändern, weil auch der Mangel an Fachkräften aus dem ärztlichen und pflegerischen Bereich hinzukommt. Gesetzlicher Anspruch und Versorgungsrealität sind deshalb nicht konform. So bleibt die Vorschrift letztlich (nur) eine programmatische Leitlinie. In der vertragsärztlichen/zahnärztlichen Versorgung gibt es zwar eine Bedarfsplanung mit ihren durch den GBA festgesetzten Relationen, die sich allerdings weniger am objektiv schlecht messbaren Leistungsbedarf als an der gleichmäßigen Versorgung in Deutschland ausrichtet. Bei den sonstigen Leistungserbringern gibt es nicht einmal eine Bedarfsplanung, sodass eine bedarfsgerechte Versorgung z. B. mit Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln vorliegt, wenn mehr Anbieter vorhanden sind, als vom Bedarf her notwendig scheinen. Dabei spielt auch keine Rolle, wie sich die sonstigen Leistungserbringer räumlich verteilen.

Durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 sind mit Wirkung vom 1.1.2000 die Worte "in fachlich gebotener Qualität" eingefügt worden. Damit ist die Bedeutung der Qualität der Versorgung hervorgehoben worden, indem die Qualität jetzt gleichrangig neben den anderen Versorgungsgrundsätzen steht.

In Abs. 2 werden die Krankenkassen und Leistungserbringer angehalten, auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwirken.

2 Rechtspraxis

2.1 Gewährleistungsverpflichtung

 

Rz. 3

Die Gewährleistung der Krankenkassen und Leistungserbringer bezieht sich auf eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse entsprechende Versorgung. Eine bedarfsgerechte Versorgung ist an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit gebunden (BSG, Urteil v. 17.2.2004, B 1 KR 5/02 R). Die früher nur im ärztlichen/zahnärztlichen Bereich vorgegebenen Versorgungsgrundsätze gelten für alle Gruppen der Leistungserbringer. Kriterium für den Versorgungsstandard ist seine Kongruenz mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse i. S. eines medizinischen Konsenses über die Zweckmäßigkeit der Therapie, wobei auch die Wirtschaftlichkeit zu beachten ist (BSG, Urteil v. 17.2.2004, B 1 KR 5/02 R). Nachdem die sog. Schulmedizin, insbesondere in ihren Grenzbereichen, als allgemein anerkannter Maßstab an Boden verloren hat, stellt das Gesetz nicht mehr auf den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik ab. Allerdings müssen auch der medizinische Fortschritt (vgl. § 2) sowie der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung (vgl. § 135 Abs. 1, § 135a) Berücksichtigung finden. Neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, Verfahren, deren Wirksamkeit mit wissenschaftlich anerkannten Methoden nicht nachweisbar ist, oder Außenseitermethoden, die zwar medizinisch bekannt sind, sich aber nicht bewährt haben, fallen nicht unter die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Davon ausdrücklich ausgenommen sind aber die besonderen Therapierichtungen wie Naturheilverfahren (§ 2 Abs. 1...

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