Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern, Tutoren und studentischen Mitschreibhilfen im Rahmen eine Hochschulstudiums

 

Orientierungssatz

1. Das Hochschulstudium eignet sich als Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII.

2. Das Merkmal der Erforderlichkeit in § 13 Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung stellt allein darauf ab, dass der konkret beabsichtigte Ausbildungsweg zur Erreichung des beabsichtigten Bildungsabschlusses erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist daher immer zu messen an dem konkreten Ausbildungsweg zum konkreten Bildungsziel. An dieser Stelle ist jedoch nicht zu prüfen, ob überhaupt noch eine Ausbildung in Betracht kommt, weil beispielsweise aus Sicht des Eingliederungshilfeträgers bereits die Integration in den Arbeitsmarkt gelungen sein soll.

3. Der vorliegend angestrebte Beruf des Bachelors für Druck- und Medientechnologie ist angemessen im Sinne der Eingliederungshilfe.

4. Für den Fall, dass nicht für alle Vorlesungen Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung stehen, kann ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die Inanspruchnahme eines Tutors in Betracht kommen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.04.2016; Aktenzeichen B 8 SO 20/14 R)

 

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides vom 04.11.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2010 der Klägerin Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher für höchstens 11,5 Wochenstunden Vorlesungen und sonstige Lehrveranstaltungen, davon 7 Stunden in Doppelbesetzung, zu den Konditionen, die der LVR mit dem Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher NRW ausgehandelt hat, bis zum 15.09.2010 zu gewähren. Der Beklagte wird ferner verpflichtet, Kosten für studentische Mitschreibhilfen nach angemessenem Bedarf in Höhe von 6,00 Euro pro Stunde für die Vorlesungszeit im Sommersemester 2010 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in Höhe von 5/6.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern, Tutoren und studentischen Mitschreibhilfen im Rahmen eine Hochschulstudiums erbringen muss. Insbesondere ist streitig, ob das Studium der Klägerin, die bereits einen Ausbildungsberuf erlernt und mehrere Jahre ausgeübt hat, als angemessene Berufsausbildung i.S.d. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII anzusehen ist.

Die 1979 geborene Klägerin ist gehörlos mit einem Grad der Behinderung von 100. Sie hat im Jahr 2000 am S-X1 C für Hörgeschädigte in F die allgemeine Hochschulreife mit einem Durchschnitt von 2,9 erworben. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Digital- und Printmedien - Mediendesign -, die sie 2003 ausweislich des Prüfungszeugnisses der Industrie- und Handelskammer vom 03.07.2003 mit dem Gesamtergebnis "befriedigend" beendete. Beim Berufsschulabschluss erreichte sie laut Zeugnis des Berufskollegs für Hörgeschädigte die Durchschnittsnote 1,8. Im Anschluss an ihre Berufsausbildung war die Klägerin in ihrem Ausbildungsbetrieb bis September 2009 als angestellte Mediengestalterin tätig.

Zum Wintersemester 2009/2010 hat die Antragstellerin das Studium der Druck- und Medientechnologie an der Universität X2l aufgenommen (angestrebter Abschluss: Bachelor). Den Lebensunterhalt während des Studiums hat sie bislang durch eine Nebenbeschäftigung bei ihrem früherem Arbeitgeber bestritten. Sie gibt an, dies während des Studiums so beibehalten zu wollen.

Mit Schreiben vom 05.10.2009 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Studienhilfen im Rahmen der Eingliederungshilfe zur Durchführung des Studiums in Form von Gebärdensprachdolmetscher, studentische Mitschreibkräfte und Tutoren. Aus einem beigefügten Stundenplan ergaben sich für das erste Semester Lehrveranstaltungen im Umfang von 16 Semesterwochenstunden. Die Klägerin machte für insgesamt 16 Stunden Leistungen für Gebärdensprachdolmetscher in Doppelbesetzung geltend, zudem für alle Veranstaltungen studentische Mitschreibkräfte. Außerdem benötige sie zur Vor- und Nachbereitung sowie zur Vorbereitung auf Prüfungen einen qualifizierten Tutor. Diesen benötige sie nicht nur in der Vorlesungszeit, sondern auch in der veranstaltungsfreien Zeit, in der Prüfungen stattfänden. Deshalb beantrage sie 10 Tutorstunden pro Woche.

Aus einem beigefügten ärztlichen Attest ihres Hausarztes geht hervor, dass die Klägerin seit Geburt durch Gehörlosigkeit und Sprachbehinderung hochgradig schwerbehindert ist. Ihre Studienzeit werde sich dadurch um mindestens 100 % verlängern. Die Studierfähigkeit sei um mindestens 60 % eingeschränkt, weil ein Gebärdensprachdolmetscher für die Vorlesungen erforderlich sei. Die eingeschränkte Studierfähigkeit bestehe auf Dauer und werde sich nicht...

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