Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf. Inanspruchnahme eines Gebärdensprachdolmetschers und einer Mitschreibkraft im Rahmen eines Hochschulstudiums. angemessener Beruf. verfassungskonforme Auslegung. Erforderlichkeit des Ausbildungsweges nach § 13 Abs 2 Nr 2 BSHG§47V. kein Verweis auf eine abgeschlossene Berufsausbildung. Anordnungsgrund

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff des "angemessenen Berufs" in § 54 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 12 ist im Lichte des Grundrechts aus Art 3 Abs 3 S 2 GG auszulegen.

2. Soweit § 13 Abs 2 Nr 2 BSHG§47V den Begriff der "Erforderlichkeit" einführt, kann dieser Begriff keine engeren Voraussetzungen auferlegen als § 54 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 12.

3. Hilfen für ein an eine bereits vorhandene Ausbildung (hier: Mediengestalterin) anknüpfendes Hochschulstudium (hier: Druck- und Medientechnologie) mit dem Ziel einer höherwertigen Qualifizierung können nicht allein unter Verweis auf die bereits abgeschlossene Ausbildung mit anschließender Berufsausübung über einige Jahre versagt werden, wenn es allein um den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile geht (hier: Gebärdensprachdolmetscher und studentische Mitschreibkräfte wegen Gehörlosigkeit).

4. Ein bereits vorhandener Beruf ist nicht bereits deshalb "angemessen" iS von § 54 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 12, weil er ein Einkommen bietet, das trotz Behinderung von staatlichen Transferleistungen unabhängig macht.

5. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht jedenfalls dann ein Anordnungsgrund, wenn das ins Auge gefasste Studium im derzeitigen Lebensalter des Antragstellers ein sozialadäquates Ausbildungsverhalten ist, an dem er ohne Eingliederungshilfe einzig behinderungsbedingt gehindert wäre.

 

Orientierungssatz

Wer die allgemeine Hochschulreife besitzt, verfügt grundsätzlich über die notwendige Eignung, ein Studium bei Gewährung der allein seine behinderungsbedingten Nachteile ausgleichenden Hilfen erfolgreich abzuschließen und im Anschluss daran mit dem im Beruf erworbenen Berufsabschluss eine Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.04.2010 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die gesamten notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren zur Gänze; für das erstinstanzliche Verfahren verbleibt es bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin I, I, zu ihrer Vertretung beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten, ob der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern und studentischen Mitschreibhilfen im Rahmen eine Hochschulstudiums erbringen muss. Insbesondere ist streitig, ob das Studium der Antragstellerin, die bereits einen Lehrberuf erlernt hat, als angemessene Berufsausbildung i.S.d. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII anzusehen ist.

Die 1979 geborene Antragstellerin ist gehörlos bei einem Grad der Behinderung (GdB) von 100. Im Jahr 2000 erwarb sie am S Berufskolleg für Hörgeschädigte in F das Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife mit einer Durchschnittsnote von 2,9. Ausweislich des Abiturzeugnisses waren ihre Leistungen in den Leistungsfächern Mathematik und Betriebswirtschaftslehre (mit Rechnungswesen) besser als ihre Leistungen u.a. in den weiteren Prüfungsfächern Englisch und Gesellschaftslehre mit Geschichte. In den Jahren 2000 bis 2003 absolvierte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin. Beim Berufsschulabschluss erreichte sie laut Zeugnis des S Berufskollegs für Hörgeschädigte in F die Durchschnittsnote 1,8. Dem Prüfungszeugnis der Industrie- und Handelskammer zu F vom 03.07.2003 zufolge bestand sie die Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf Mediengestalterin für Digital- und Printmedien - Mediendesign - mit dem Gesamtergebnis "befriedigend". Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Zeugnisse Bezug genommen. Im Anschluss an ihre Berufsausbildung war die Antragstellerin in ihrem Ausbildungsbetrieb bis September 2009 als angestellte Mediengestalterin tätig.

Zum Wintersemester 2009/2010 schrieb sie sich an der C Universität X im Studiengang Druck- und Medientechnologie ein.

Mit Schreiben vom 05.10.2009 beantragte sie beim Antragsgegner die Gewährung von Studienhilfen im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zum Besuch einer Hochschule. Aus einem beigefügten Stundenplan ergaben sich für das erste Semester Lehrveranstaltungen im Umfang von 16 Semesterwochenstunden. Die Antragstellerin führte aus, sie beantrage für insgesamt 16 Stunden Leistungen für Gebärdensprachdolmetscher in Doppelbesetzung, zudem für alle Veranstaltungen studentische Mitschreibkräfte. Außerdem benötige sie zur Vor- und...

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