Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilferecht: Übernahme der Kosten eines Gebärdensprachdolmetschers als Eingliederungsleistungen bei einem hörgeschädigten Studierenden. Anspruch auf Eingliederungshilfe für ein Studium bei vorhandener Berufsausbildung

 

Orientierungssatz

1. Ein hörgeschädigter Studierender hat im Rahmen der Eingliederungshilfe einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher und Mitschreibkräfte, wenn ihm damit die Teilnahme an einem regulären Hochschulstudium möglich wird. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn er bereits vor Aufnahme eines Studiums eine Berufsausbildung absolviert hat, jedenfalls soweit durch das Studium eine Höherqualifizierung im gleichen Berufsfeld angestrebt wird (Anschluss LSG NRW, Beschluss vom 13. August 2010, L 20 SO 289/10 B ER).

2. Im sozialgerichtlichen Eilverfahren über die vorläufige Bewilligung von Eingliederungsleistungen für die Teilnahme an einem Hochschulstudium eines hörgeschädigten Studierenden fehlt es jedenfalls dann an einem Anordnungsgrund für die vorläufige Gewährung der Hilfe durch Tutoren, wenn sich das Studium im Anfangsstadium befindet und der Studierende durch eine bestehende beruflichen Vorbildung die Voraussetzungen besitzt, den Stoff auch alleine zu bewältigen.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller vorläufig vom 08.12.2011 bis zum 11.02.2012 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher für höchstens 32 Wochenstunden Vorlesungen und sonstige Lehrveranstaltungen, zu den Konditionen, die der Antragsgegner mit dem Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher Nordrhein-Westfalen ausgehandelt hat, sowie durch Übernahme der Kosten für studentische Mitschreibhilfen nach angemessenem Bedarf in Höhe von 6,00 Euro pro Stunde für die Vorlesungszeit des Wintersemesters 2011/2012, zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt 4/5 der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Antragstellers auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII) in Form der Übernahme von Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher, studentische Mitschreibkräfte und Tutoren im Rahmen eines Hochschulstudiums.

Der im Jahr 1988 geborene Antragsteller ist gehörlos. Ausweislich seines Schwerbehindertenausweises hat er einen Grad der Behinderung von 100 und Merkzeichen RF und Gl. Er hat im Jahr 2008 seine Berufsausbildung als Vermessungstechniker abgeschlossen. Nach seinen Angaben wurde ihm im Anschluss an die Ausbildung nur eine befristete Weiterbeschäftigung für 3 Monate angeboten. Im Jahr 2010 erwarb er am Rheinisch-Westfälischen Berufskolleg Essen die Fachhochschulreife in der Fachrichtung Technik mit dem fachlichen Schwerpunkt Physik/Chemie/Biologie mit einer Durchschnittsnote von 2,3. Ausweislich seines Abschlusszeugnisses erzielte der Antragsteller unter anderem in den Fächern Physik, Physiktechnik, Mathematik, Fachpraxis, Wirtschaft die Note "gut". Er wohnt derzeit bei seinen Eltern, die nach seinen Angaben seinen Lebensunterhalt sicherstellen. Er bezieht Gehörlosenhilfe nach § 5 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) in Höhe von 77,00 Euro monatlich. Seit dem Wintersemester 2011/2012 ist der Antragsteller an der Hochschule Bochum für das Studienfach Mechatronik eingeschrieben. Die Einführungsphase für das Studium begann nach Angaben des Antragstellers am 05.09.2011. Die Vorlesungszeit begann ausweislich des Semesterkalenders am 12.09.2011 und endet am 11.02.2011. Ausweislich des vorgelegten Stundenplans finden pro Woche Veranstaltungen im Umfang von 32 Wochenstunden statt.

Bereits mit Schreiben vom 22.06.2011 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Bewilligung der Kostenübernahme für einen Dolmetscher, einen Schriftmittler und einen Tutor/Nachhilfestunden für das von ihm geplante Studium. Beigefügt waren dem Antrag diverse Unterlagen. Seinen Berufswechsel begründete der Antragsteller unter anderem damit, dass er sich nach seiner Ausbildung auf etwa 50 Stellen bundesweit beworben habe, aber in allen Fällen - spätestens nach dem Vorstellungsgespräch - eine Absage erhalten habe. Durch das Studium wolle er seine Chancen auf eine Festeinstellung verbessern.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04.07.2011 ab. Zwar gehöre der Antragsteller dem Grunde nach zum anspruchsberechtigten Personenkreis für Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, jedoch habe er bereits eine Ausbildung als Vermessungstechniker erfolgreich abgeschlossen, die nun begehrte Qualifizierungsmaßnahme, die einem Aufstieg im Berufsleben diene, sei eine Fortbildung, für die keine Hilfe vom Sozialhilfeträger gewährt werden könne. Bei Fortbildungsmaßnahmen sei dies nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn der Betroffene aufgrund seiner Behinderung nicht mehr in der Lage sei, den erlernten Beruf au...

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