0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Norm ist mit dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) in das SGB IX aufgenommen worden und am 1.1.2018 in Kraft getreten. Eine Vorgängerregelung bestand nicht. Die Vorschrift steht einmal in Bezug zu § 10 a. F., welcher die Kooperation der Rehabilitationsträger sowie die Koordination der Leistungen sicherstellen sollte sowie zu den §§ 22 ff. a. F., welche bis zum 31.12.2017 die Gemeinsamen Servicestellen geregelt haben.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Zweck dieser Vorschrift ist es, die Rehabilitationsträger mehr als bisher zur Beratung von potenziellen Leistungsempfängern zu veranlassen, und sie darüber hinaus zu verpflichten, auch organisatorisch mehr als bisher dafür Sorge zu tragen, dass das Ziel einer rechtzeitigen und umfassenden Antragstellung durch die Leistungsberechtigten erreicht wird. Insoweit handelt es sich um eine Erweiterung und Konkretisierung der allgemeinen Pflichten der Rehabilitationsträger aus den §§ 13 bis 15 SGB I.

Das Hauptziel besteht darin, dass notwendige Rehabilitationsbedarfe und Rehabilitationsmaßnahmen durch die Leistungsträger so früh wie möglich erkannt und eingeleitet werden. Die Bedarfserkennung ist die erste Phase des Reha-Prozesses. Dafür genügt es, wenn durch einfaches Wahrnehmen und Erfassen erster Anhaltspunkte ein Bedarf an Leistungen zur Teilhabe wahrscheinlich sein könnte. Ob ein individueller Rehabilitationsbedarf tatsächlich besteht und eine sozialrechtliche Leistungspflicht begründet ist, wird im Folgeschritt, dem Bedarfsermittlungsverfahren nach § 13 geprüft.

Die Bedarfserkennung gelingt nur, wenn der Leistungsberechtigte überhaupt Kenntnis davon hat, dass Rehabilitationsmaßnahmen für ihn angezeigt sind. Denn erst nach der Bedarfserkennung kann die Antragstellung, Zuständigkeitsklärung und schließlich die Bedarfsermittlung erfolgen.

Der Leistungskatalog zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ist, wie die nicht abschließende Einweisungsnorm § 29 SGB I zeigt, sehr umfangreich. Leistungen zur Teilhabe können überhaupt nur dann erbracht werden, wenn erste Anzeichen eines möglichen Bedarfs frühzeitig erkannt werden. Das Erkennen solcher Anzeichen ist Aufgabe der Rehabilitationsträger sowie aller potenziell am Rehabilitationsprozess beteiligten Akteure (BAR GE Zuständigkeitsklärung und Reha-Prozess, § 11 Abs. 2 i. V. m. § 3 Abs. 1). Zur zielgenauen Navigation benötigt der Leistungsberechtigte professionelle Unterstützung. Diese möchte der Gesetzgeber im Wesentlichen durch die Erweiterung und Konkretisierung der bereits bestehenden Aufgaben der Rehabilitationsträger nach dem SGB I (§ 13 Aufklärungspflicht, § 14 Beratungspflicht, § 15 Auskunftspflicht und § 16 Hinwirkungspflicht zur Antragstellung) erreichen.

Aufgrund des Wegfalls der gemeinsamen Servicestellen (§§ 22 bis 25 SGB IX a. F.), die diese Aufgaben zuvor teilweise übernommen haben, soll nach § 12 Abs. 1 Satz 3 nun jeder Rehabilitationsträger eine Ansprechstelle vorhalten. Diese stellt dann für die Leistungsberechtigten, Arbeitgeber, aber auch anderen Rehabilitationsträger die erforderlichen Informations- und Beratungsangebote zur Verfügung (BT-Drs. 18/10523).

2 Rechtspraxis

 

Rz. 3

Der Gesetzgeber hält auch mit dem BTHG an dem gegliederten System der Rehabilitation weiter fest (vgl. ausführlich dazu Palsherm, WzS 2011 S. 135). Der damit verbundenen Herausforderung eines abgestimmten Vorgehens zwischen den einzelnen Rehabilitationsträgern tritt der Gesetzgeber mit einer Reihe von Änderungen gegenüber, wie z. B. verbessertes Antragsverfahren nach § 14 Abs. 3, Teilhabeplanverfahren nach §§ 19 ff. oder auch frühzeitige Bedarfserkennung gemäß §§ 12 und 13.

2.1 Maßnahmen zur Erkennung des Rehabilitationsbedarfes (Abs. 1)

 

Rz. 4

Die Rehabilitationsträger werden durch § 12 Abs. 1 verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur frühzeitigen Erkennung eines Rehabilitationsbedarfes zu ergreifen. Hierbei handelt es sich um ein subjektiv einklagbares Recht, welches der Leistungsberechtigte von den Rehabilitationsträgern im Wege der allgemeinen Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG einfordern kann. Darüber hinaus, und das ist wohl die weitaus wichtigere Frage für den Betroffenen, kann eine fehlerhafte oder pflichtwidrig unterlassene Bedarfserkennung einen Schadens- oder Nachteilsanspruch auslösen. Mögliche Anspruchgrundlagen dafür sind der Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB oder der sozialrechtliche Herstellungsanspruch (vgl. dazu ausführlich die Komm. von Sauer, SGB I, § 14 Rz. 20 ff.).

 

Rz. 5

Die Rehabilitationsträger sind in ihrer Maßnahmenwahl zur Erkennung des Rehabilitationsbedarfes frei. Dabei können sie sowohl auf interne Maßnahmen abstellen, indem sie ihre Mitarbeiter entsprechend qualifizieren, oder durch externe Aktionen, z. B. durch ein öffentlichkeitswirksames Informationsangebot, Betroffene besser erreichen. Wichtig ist, dass keine implizit oder direkt leistungsverengenden Verfahren, Abläufe oder Auskünfte bestehen, die dem Gesamtprozess entgegenstehen (BT-Drs. 18/9522 S. 231). Der Ge...

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