Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung des Grundsicherungsträgers von Erstattungsansprüchen mit Leistungsansprüchen des Berechtigten

 

Orientierungssatz

1. Nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 2 kann der Leistungsträger des SGB 2 gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten mit Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB 10 aufrechnen. Die Höhe der zulässigen Aufrechnung mit 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs ist nach § 43 Abs. 2 SGB 2 bindend vorgegeben, wenn keiner der enumerativ aufgeführten Ausnahmefälle vorliegt.

2. Die 30%ige Aufrechnung ist verfassungsgemäß (BSG Urteil vom 9. 3. 2016, B 14 AS 20/15 R). Der zivilrechtliche Pfändungsschutz ist ausgeschlossen. Die Höhe der Aufrechnung verletzt mit 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs nicht das Übermaßverbot.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.06.2019; Aktenzeichen B 14 AS 151/18 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.04.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten in beiden Instanzen einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Antrag des Klägers vom 23.04.2018 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Tatbestand

Im Streit ist eine Aufrechnung des Beklagten gem. § 43 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) i.H.v. 30 % des für den Kläger maßgeblichen Regelbedarfs pro Monat.

Die der Aufrechnung zugrunde liegende Erstattungsforderung des Beklagten (ursprünglich i.H.v. 15.191,10 EUR) resultiert aus unrechtmäßig bezogenen Leistungen seitens des Klägers. Hintergrund war, dass entsprechend der Feststellungen im Strafverfahren der Kläger entgegen seiner Angaben mit einer Partnerin zusammenlebte, die über für beide bedarfsdeckendes Einkommen verfügte. Der Kläger und seine Partnerin sind diesbezüglich wegen Betruges rechtskräftig verurteilt worden (Oberlandesgericht (OLG) Hamm Beschluss vom 21.09.2010, III-2 RVs 47 und 48/10). Mit Blick auf den vorstehenden Sachverhalt hatte der Beklagte mit Bescheid vom 15.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2007 die o.g. Erstattungsforderung geltend gemacht. In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (S 40 AS 2688/10 WA) reduzierte der Beklagte gegenüber dem Kläger mit Teilanerkenntnis in der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2014 die Forderung auf 11.122,53 EUR. Der Kläger nahm dieses Anerkenntnis an und erklärte das Klageverfahren für erledigt (Sitzungsprotokoll vom 14.03.2014).

Im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Aufrechnung mit dem o.g. Erstattungsanspruch bat der Kläger den Beklagten um eine Ratenzahlung in Höhe von 10,00 EUR monatlich. Wegen der strafrechtlichen Verurteilung müsse er voraussichtlich bis zu seinem Lebensende monatliche Raten in Höhe von 20,00 EUR an die Staatsanwaltschaft zahlen und sei insoweit besonders belastet.

Mit Bescheid vom 15.07.2014 erklärte der Beklagte gegenüber dem Kläger die Aufrechnung i.H.v. monatlich 30 % bezogen auf den für den Kläger maßgeblichen Regelbedarf, mithin 117,30 EUR monatlich. Er führte zur Begründung aus, dass er, solange der Kläger Leistungen nach dem SGB II beziehe, Erstattungsansprüche monatlich i.H.v. 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs mit den Leistungsansprüchen aufrechnen könne. Er habe von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gebührend berücksichtigt. Im Rahmen des Entschließungsermessens sei insbesondere gewürdigt worden, dass der Kläger gegenüber der Staatsanwaltschaft monatlich weitere 20,00 EUR zu leisten habe, um dort die Forderung bezüglich der Geldstrafe und Gerichtskosten in Höhe von weiteren 12.000,00 EUR zu tilgen. Die Öffentlichkeit habe aber ein erhebliches Interesse an der Schadenswiedergutmachung, insbesondere da die Überzahlung der aus Steuergeldern finanzierten Leistungen vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig herbeigeführt worden sei. Das öffentliche Interesse an einer Schadenswiedergutmachung hinsichtlich der Erstattungsforderung überwiege gegenüber dem privaten Interesse an einer vollen Auszahlung des Regelleistungssatzes.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch: Die Höhe der Aufrechnung sei rechtswidrig. Die ihm zur Verfügung stehenden Leistungen würden wegen der Doppelbelastung unter dem Existenzminimum liegen. Eine Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben sei nicht mehr möglich. Die Umstände des Einzelfalles seien nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2014 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung ergänzte er: Die Höhe der Aufrechnung sei gesetzlich geregelt und betrage im vorliegenden Fall 30 %. Hinsichtlich der Höhe bestehe kein Ermessen. Das Entschließungsermessen sei hingegen ordnungsgemäß ausgeübt und die gegenseitigen Interessen abgewogen worden.

Der Kläger hat am 04.12.2014 Klage erhoben und führte zu deren Begründung aus, der Beklagte habe nicht ausreichend berücksichtigt, das...

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