Rz. 5

Die Regelungen des § 54 betreffen den Pfändungsschutz für sozialrechtliche Ansprüche des Sozialleistungsempfängers. Über die Voraussetzungen der Pfändbarkeit als grundsätzlich zivilrechtliches Mittel der Zwangsvollstreckung haben demzufolge auch die Zivilgerichte als Vollstreckungsgerichte (§ 828 ZPO) zu entscheiden. Die Begrenzungen der Pfändbarkeit in § 54 und/oder anderen Rechtsvorschriften sind daher primär von den Vollstreckungsgerichten zu beachten. Im Sprachbereich des Vollstreckungsrechts nach der ZPO ist der Sozialleistungsberechtigte der Schuldner (Vollstreckungsschuldner), der die Vollstreckung Betreibende ist der Gläubiger (Vollstreckungsgläubiger) und der zur Geldleistung verpflichtete Sozialleistungsträger ist Dritter (Drittschuldner). Das Vorliegen eines vollstreckbaren Titels zugunsten des Gläubigers gegen den Sozialleistungsberechtigten als Schuldner wird dabei vorausgesetzt. Für die Sozialleistungsträger haben die Regelungen über den Umfang des Pfändungsschutzes mittelbar Bedeutung auch dadurch, als diese auch im Fall der Aufrechnung nach § 51 und der Abtretung nach § 53 zu beachten sind.

 

Rz. 6

§ 54 ist grundsätzlich auch auf die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen von Sozialleistungsträgern anwendbar, ist aber im Hinblick auf die Möglichkeit der Aufrechnung nach § 51 auch in der Form der Verrechnung nach § 52 nur von geringer praktischer Bedeutung. Denkbar wäre allerdings der Fall, dass ein Sozialleistungsträger die Verrechnung ablehnt, sodass der anspruchsberechtigte Sozialleistungsträger durch die Ausbringung einer Pfändungs- und Überweisungsverfügung über die ausstehende Sozialleistung den zahlungspflichtigen Sozialleistungsträger als Drittschuldner zur Zahlung an sich verpflichten kann. Anwendbar sind die Pfändungsbegrenzungen des § 54 jedoch auch dann, wenn öffentliche Körperschaften, die keine Sozialleistungsträger sind, als Verwaltungsbehörden selbst die Zwangsvollstreckung wegen ihrer Forderungen z. B. nach der Abgabenordnung oder dem Vollstreckungsrecht des Bundes oder der Länder betreiben. Soweit in derartigen Fällen über die Anwendung vollstreckungsrechtlicher Vorschriften gestritten wird, ist der Weg zu den Sozialgerichten nicht gegeben (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 11.7.2013, L 7 AS 695/13 B; BVerwG, Beschluss v. 29.8.2016, 5 B 74.15), sondern vor den Verwaltungs- oder Finanzgerichten auszutragen.

 

Rz. 7

In diesem Verhältnis der zivilrechtlichen Zwangsvollstreckung durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, aufgrund dessen der die Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger das Recht der Geltendmachung und Durchsetzung eines an sich fremden Anspruchs erhält (Überweisung) und dem eigentlichen Sozialleistungsberechtigten die Verfügung über den Anspruch untersagt wird, hat der Sozialleistungsträger die Stellung eines Drittschuldners, dem mit der Pfändung die Zahlung an den Sozialleistungsberechtigten verboten ist; er kann mit befreiender Wirkung nur noch entsprechend dem Überweisungsbeschluss an den Gläubiger zahlen und erfüllt damit seine Leistungspflicht nach § 47. Selbst wenn ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über eine Sozialleistung wegen einer Rechtsänderung nicht mehr zulässig wäre, darf der Sozialleistungsträger diesen nicht unbeachtet lassen, und der Sozialleistungsberechtigte hat auch aus dem Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs keinen Anspruch auf Nachzahlung der Leistung (vgl. BSG, Urteil v. 15.12.1999, B 9 V 12/99 R). Da der zivilrechtlichen Pfändung keine Klärung des materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Sozialleistung vorausgeht, hat sich der Sozialleistungsträger als Drittschuldner (§ 840 ZPO) auch dazu zu äußern, ob der Anspruch des Schuldners anerkannt und Zahlungen erbracht werden und ob und welche sonstigen Dritten zuvor auf die Auszahlung der Sozialleistung Ansprüche erhoben und geltend gemacht haben.

 

Rz. 8

Die Ausführung und Auszahlung der gepfändeten und dem Dritten überwiesenen Sozialleistung in Geldansprüche hat der Sozialleistungsträger ohne eigene Entscheidungskompetenz und demzufolge ohne den Erlass eines Verwaltungsaktes nach § 31 SGB X auszuführen (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 29.11.2001, L 5 RJ 26/01, und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.6.2006, L 10 B 406/06 AS ER; Bay. LSG, Urteil v. 14.3.2012, L 13 R 695/09). Es handelt sich um eine reine Erfüllungshandlung zu dem festgestellten Zahlungsanspruch aus dem Stammrecht und um eine Abweichung von der Verpflichtung zur Erfüllung an den Berechtigten nach § 47 (so auch Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 54 Rz. 43, Stand: 16.8.2021; Bigge, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB I, 2. Aufl., § 54 Rz. 7; Baier, in: Krauskopf, SozKV SGB I, § 54 Rz. 17, Stand: Februar 2013; Lilge, in: Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl., § 54 Rz. 65; Mrozynski, SGB I, 6. Aufl., § 54 Rz. 46; Siefert, in: KassKomm. SGB I, § 54 Rz. 8, Stand: März 2016). Dies gilt auch dann, wenn das Vollstreckungsgericht nur einen Blankettbeschluss erlässt, ...

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