2.1 Aufzählung der Leistungen, die das SGB IX zur Verfügung stellt

 

Rz. 5

Das bisher zerklüftete und unübersichtliche Rehabilitations- und Behindertenrecht ist seit dem 1.7.2001 gebündelt in den Vorschriften des SGB IX geregelt. § 29 zählt global als Einweisungsvorschrift katalogmäßig die zur Verfügung zu stellenden Hilfen dieses Teilhabe- bzw. Behindertenrechts auf. Durch die Worte "Nach dem Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen können in Anspruch genommen werden …" wird deutlich, dass § 29 Abs. 1 lediglich einen Überblick über die Teilhabe geben möchte und allein aus § 29 Abs. 1 kein Anspruch hergeleitet werden kann; die Ansprüche im jeweiligen Einzelfall richten sich ausschließlich nach dem rehabilitationsträgerspezifischen materiellen Recht (SGB III, SGB V bis VIII, SGB XII).

Nach § 1 SGB IX erhalten Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung Leistungen, um

  • ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern sowie
  • Benachteiligungen (auch im Beruf und Schule)

zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben Menschen Behinderungen, wenn sie körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.

Von einer Behinderung bedroht sind Menschen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit kurz-, mittel- oder langfristig zu erwarten ist (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Dazu zählen auch Menschen, die an einer chronischen Erkrankung leiden, die später einmal langfristig Barrieren bei der Partizipation (= aktives Teilnehmen an allen gewünschten Lebenssituationen wie nicht behinderte Menschen) verursachen.

Die Rechte aus dem 3. Teil des SGB IX (§§ 151 ff. SGB IX) sind nicht Teilhabeleistungen im engeren Sinne, sondern Rechte. Sie dienen eher dem Ausgleich der mit der Behinderung einhergehenden Nachteile – vor allem der Nachteile im Arbeitsleben (Kündigungsschutz, Verbot der verpflichtenden Mehrarbeit, zusätzlicher Urlaub, etc.) und bei der Mobilität im öffentlichen Leben (vgl. Rz. 21).

Bestimmte Nachteilsausgleiche für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen wurden nicht in das SGB IX aufgenommen (z. B. Steuerfreibeträge; ferner: unter bestimmten Bedingung Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht; vgl. Rz. 22). Sie sind auch keine Teilhabeleistungen i. S. des SGB IX und deshalb auch nicht in § 29 SGB I aufgeführt.

2.2 Teilhabeleistungen

 

Rz. 6

§ 29 gibt als Einweisungsvorschrift einen Überblick über die Leistungen wegen einer drohenden oder eingetretenen Behinderung. Bei den Teilhabeleistungen unterscheidet die Vorschrift zwischen 4 verschiedenen Leistungsgruppen, die alle eine spezielle Zielsetzung haben, und zwar zwischen

  • medizinischen Rehabilitationsleistungen zur (Wieder-)Herstellung der biologischen Gesundheit bzw. zur Minderung der Folgen der eingetretenen bzw. drohenden Behinderung. Eine wesentliche Zielsetzung der Rehabilitation besteht darin, die Betroffenen zu befähigen, mit ihrer Krankheit adäquat und selbstbestimmt umzugehen und trotz Einschränkungen vor allem ihre Funktionen in der Schule bzw. im Beruf wahrzunehmen sowie ihre Rollen in Familie und Gesellschaft so weit wie möglich auszuüben. Außerdem soll bei schweren Behinderungen der Eintritt von Pflegebedürftigkeit vermieden bzw. der Grad der Pflegebedürftigkeit minimiert werden. Im Vordergrund der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation stehen medizinische, multimodale und ganzheitlich ausgerichtete Therapien und Maßnahmen, die auf das Erlernen bestimmter (Ersatz-)Fähigkeiten (z. B. Erlernen der Mobilität trotz Lähmungserscheinungen) bzw. auf eine Verhaltensänderung (z. B. bei Entwöhnung bei Abhängigkeitserkrankungen) ausgerichtet sind. Weitere Einzelheiten: vgl. Rz. 8 ff.
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben; diese Leistungen erstrecken sich

    • auf die Erhaltung bzw. (Wieder-)Herstellung der Erwerbsfähigkeit bzw.
    • auf die Erhaltung des durch die Behinderung (bzw. durch eine drohende Behinderung) gefährdeten Arbeitsplatzes und/oder
    • auf eine möglichst qualifizierte berufliche Bildung entsprechend der verbliebenen Leistungsfähigkeit.

    Die Leistungen können sowohl dem Betroffenen als auch dessen Arbeitgeber zugutekommen.

    Sie sind gegenüber den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nachrangig. Das bedeutet, dass z. B. bei berufsbedingt notwendigen digitalen Hörgeräten erst der Anspruch im Rahmen der medizinischen Rehabilitation zu erfüllen ist und ein verbleibender Restbetrag im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gezahlt werden kann.

    Näheres vgl. Rz. 13 ff.

  • Leistungen zur Bildung erhalten Menschen mit Behinderungen, um Bildungsangebote der öffentlichen Schulen und Hochschulen etc. gleichberechtigt wahrnehmen zu können. Unter de...

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