Rz. 2

Als Einweisungsvorschrift fasst § 10 die Ziele zusammen, die das SGB IX verfolgt – nämlich die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilhabe behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen (Definition: Rz. 9). Während in §§ 3 bis 9 die Rechte des Bürgers in Bezug auf die einzelnen Sozialleistungsträger aufgeführt werden, konzentriert sich § 10 auf die Ziele bzw. Leitvorstellungen, die mit den rehabilitationsträgerübergreifenden Teilhabeleistungen verfolgt werden. Die Vorschrift wird konkretisiert durch § 29 SGB I und die Vorschriften des SGB IX.

 

Rz. 3

Mit § 10 wird u. a. das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und auf das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) in das SGB übernommen. Die Rehabilitationsträger werden verpflichtet, bei eingetretener oder drohender Behinderung alle im Rahmen des SGB zur Verfügung stehenden Maßnahmen einzuleiten, um die Rechte dieser gesundheitlich angeschlagenen Menschen zu beachten. Dabei sollen sie darauf achten, dass die betroffenen Menschen alle Möglichkeiten erhalten sollen, ihr Leben nach ihren Neigungen und Fähigkeiten zu gestalten.

 

Rz. 4

§ 10 ist außerdem mit dem in Deutschland im März 2009 in Kraft getretenen Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – BRK, BGBl. 2008 II S. 1420) kompatibel, wobei die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention über die des § 10 hinausgehen: § 10 hat nämlich die Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe sowie das Recht auf Hilfe zur Überwindung der negativen Erscheinungsbilder zum Inhalt. Dagegen setzt Art. 1 Abs. 2 BRK auf

  • die uneingeschränkte Partizipation (= aktives Teilnehmen an allen gewünschten Lebenssituationen wie nicht behinderte Menschen) und
  • die vollständige Inklusion (= optimiertes und erweitertes Verständnis von Integration)

des behinderten bzw. von Behinderung bedrohten Menschen. Diesen Zielen liegen gemäß Art. 3 BRK folgende Grundrechte dieses Personenkreises zugrunde:

  1. die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit,
  2. die Nichtdiskriminierung,
  3. die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft,
  4. die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit,
  5. die Chancengleichheit,
  6. die Zugänglichkeit,
  7. die Gleichberechtigung von Mann und Frau und
  8. die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität.

Da das BRK seit März 2009 geltendes Gesetz ist, sind dessen Grundsätze auch bei der Gestaltung des Rechts gemäß § 10 zu beachten.

Aus § 10 lassen sich keine unmittelbaren Leistungsansprüche ableiten. Die sozialen Rechte der Einführungsvorschrift des § 10 sollen vielmehr nur Leitbildcharakter haben bzw. sozialrechtliche Grundpositionen schaffen. Die konkreten Ansprüche ergeben sich aus dem jeweiligen Teilhaberecht des spezifischen Rehabilitationsträgers/Sozialleistungsträgers.

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