0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 10 wurde zum 1.1.1976 mit dem Inkrafttreten des SGB I eingeführt und durch Art. 2 Nr. 2 des SGB IX (BGBl. I S. 1046) mit Wirkung zum 1.7.2001 neu formuliert, um den Text dem Sprachgebrauch des SGB IX anzupassen (vgl. BT-Drs. 14/5074 S. 115). Seitdem hat die Vorschrift keine Änderung mehr erfahren.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Als Einweisungsvorschrift fasst § 10 die Ziele zusammen, die das SGB IX verfolgt – nämlich die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilhabe behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen (Definition: Rz. 9). Während in §§ 3 bis 9 die Rechte des Bürgers in Bezug auf die einzelnen Sozialleistungsträger aufgeführt werden, konzentriert sich § 10 auf die Ziele bzw. Leitvorstellungen, die mit den rehabilitationsträgerübergreifenden Teilhabeleistungen verfolgt werden. Die Vorschrift wird konkretisiert durch § 29 SGB I und die Vorschriften des SGB IX.

 

Rz. 3

Mit § 10 wird u. a. das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und auf das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) in das SGB übernommen. Die Rehabilitationsträger werden verpflichtet, bei eingetretener oder drohender Behinderung alle im Rahmen des SGB zur Verfügung stehenden Maßnahmen einzuleiten, um die Rechte dieser gesundheitlich angeschlagenen Menschen zu beachten. Dabei sollen sie darauf achten, dass die betroffenen Menschen alle Möglichkeiten erhalten sollen, ihr Leben nach ihren Neigungen und Fähigkeiten zu gestalten.

 

Rz. 4

§ 10 ist außerdem mit dem in Deutschland im März 2009 in Kraft getretenen Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – BRK, BGBl. 2008 II S. 1420) kompatibel, wobei die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention über die des § 10 hinausgehen: § 10 hat nämlich die Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe sowie das Recht auf Hilfe zur Überwindung der negativen Erscheinungsbilder zum Inhalt. Dagegen setzt Art. 1 Abs. 2 BRK auf

  • die uneingeschränkte Partizipation (= aktives Teilnehmen an allen gewünschten Lebenssituationen wie nicht behinderte Menschen) und
  • die vollständige Inklusion (= optimiertes und erweitertes Verständnis von Integration)

des behinderten bzw. von Behinderung bedrohten Menschen. Diesen Zielen liegen gemäß Art. 3 BRK folgende Grundrechte dieses Personenkreises zugrunde:

  1. die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit,
  2. die Nichtdiskriminierung,
  3. die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft,
  4. die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit,
  5. die Chancengleichheit,
  6. die Zugänglichkeit,
  7. die Gleichberechtigung von Mann und Frau und
  8. die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität.

Da das BRK seit März 2009 geltendes Gesetz ist, sind dessen Grundsätze auch bei der Gestaltung des Rechts gemäß § 10 zu beachten.

Aus § 10 lassen sich keine unmittelbaren Leistungsansprüche ableiten. Die sozialen Rechte der Einführungsvorschrift des § 10 sollen vielmehr nur Leitbildcharakter haben bzw. sozialrechtliche Grundpositionen schaffen. Die konkreten Ansprüche ergeben sich aus dem jeweiligen Teilhaberecht des spezifischen Rehabilitationsträgers/Sozialleistungsträgers.

2 Rechtspraxis

2.1 Zweck

 

Rz. 5

In § 10 werden die rehabilitationsträgerübergreifenden Leitvorstellungen zur Verbesserung der Situation von behinderten bzw. von Behinderung bedrohten Menschen aufgezeigt. Im Mittelpunkt stehen die Hilfen zur Überwindung von gesundheitlichen Barrieren im beruflichen und gesellschaftlichen Bereich, vor allem im Alltag des Betreffenden. Dabei versuchen die Hilfen, die negativen Folgen von Funktionsstörungen und Beeinträchtigungen in Bezug auf die Teilhabe zu minimieren bzw. zu beseitigen.

 

Rz. 6

Um nach Möglichkeit eine umfassende Sicherung des menschenwürdigen Daseins zu garantieren, beschreibt § 10 die unterschiedlichen Zielsetzungen der im SGB IX aufgeführten Regelungen. Aus diesem Grund unterteilt der Gesetzgeber die einzelnen Teilhabeleistungen in

  • medizinische Rehabilitationsleistungen (z. B. Versorgung mit Hilfsmitteln wegen der Behinderung, ambulante oder stationäre Therapiemaßnahmen in Rehabilitationseinrichtungen, Frühförderung von behinderten oder von Behinderung bedrohte Kinder),
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z. B. Hilfen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes, Berufsvorbereitung, Ausbildung und Weiterbildung, berufliche Anpassung),
  • Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (z. B. heilpädagogische Förderung, Förderung der Verständigung mit der Umwelt, Förderung der Freizeitgestaltung, Hilfen zur angemessenen Schulbildung, Hilfen zur Beschaffung einer behindertengerechten Wohnung, Hilfen zum E...

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