Rz. 66

Die Vorschrift hat keinen Vorgänger im BSHG. Ihr Zweck besteht darin, in den genannten Fällen als nicht sachgerecht angesehene Kostenverschiebungen zu vermeiden, die dann auftreten können, wenn ein Träger der Sozialhilfe außerhalb seines Bereiches gemäß Abs. 2 stationäre Leistungen erbringt, dann ein Hilfeartwechsel von der stationären zur ambulanten Hilfe stattfindet und damit der dortige örtliche Träger gemäß Abs. 1 belastet würde; das soll vermieden werden (OVG Bremen, Beschluss v. 7.6.2007, L S 3 B 60/07; Josef/Wenzel, 2008 S. 87; Hammel, 2008 S. 70 ff.; Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 36; Hohm, in: Schellhorn e.a., SGB XII, § 98 Rz. 121). Zugleich soll die Vorschrift verhindern, dass in diesen Fällen ein Streit über die Kostenträgerschaft zulasten des Leistungssuchenden stattfindet. Jede Auslegung der Vorschrift hat sich an dieser Zwecksetzung zu orientieren. Deshalb findet sie auf alle Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten Anwendung, unabhängig davon, ob im Einzelfall Hilfe zur Pflege oder Hilfe in besonderen sozialen Schwierigkeiten geleistet wird. Nach dem Wortlaut sind in diesem weiten Rahmen alle Leistungen nach dem SGB XII erfasst (Rabe, In. Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 36). Anknüpfungspunkt bleibt aber der Leistungsbegriff ‚Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten. Damit wird eine Verbindung zu § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX a. F. hergestellt, der genaue Begriffsinhalt erschließt sich aber dennoch nicht ohne weiteres (Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 36). Der seinerzeitige Regelungsbereich des § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX a. F. findet sich seit dem Inkrafttreten des BTHG am 1.1.2020 (vgl. Rz. 1e) in § 78 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX in Form der "Assistenzleistung". Freilich verweist die amtliche Begründung zu Abs. 5, da sie aus dem Jahre 2016 stammt (BT-Drs. 15/1514 zu § 93, S. 67), auf die alte Vorschrift des § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX, sodass im Rahmen der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes "betreute Wohnformen" weiterhin auf diese außer Kraft getretene Vorschrift zurückgegriffen werden kann (kritisch dazu Hohm, in: Schellhorn e.a., SGB XII, § 98 Rz. 126). Dies umso mehr, als dieser Begriff ansonsten weder im SGB IX noch im SGB XII oder einem anderen einschlägigen Gesetz zu finden ist (Treichel/Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 55). 

 

Rz. 66a

Aus der gesetzessystematischen Stellung des § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX folgt, dass eine betreute Wohnmöglichkeit lediglich eine solche ist, in der Betroffene Angebote zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erhalten, und zwar in Form der Hilfen zum selbstbestimmten Leben (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v 8.10.2009, L 15 SO 267/08). Dies gilt auch für betreutes Wohnen im Rahmen der Hilfe zur Pflege (BSG, Urteil v. 30.6.2016, B 8 SO 6/15 R).Eine betreute Wohnmöglichkeit liegt dann vor, wenn fachlich geschulte Personen Betreuungsleistungen erbringen, die darauf gerichtet sind, dem Leistungsberechtigten Fähigkeiten und Kenntnisse zum selbstbestimmten Leben zu vermitteln. Diese müssen in regelmäßiger Form erbracht werden und in eine Gesamtkonzeption eingebunden sein (Spr.St. Stuttgart, Entscheidung v. 11.11.2009, St. 18/08, EuG 2010 [64] S. 303). Demnach handelt es sich beim ambulant betreuten Wohnen um ein gemeindeintegriertes Hilfeangebot, das dem Leistungsberechtigten ein Leben in der eigenen Wohnung alleine oder in einer Gemeinschaft – i. d. R. außerhalb der Familie – ermöglicht (Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 36). Nicht um ambulant betreutes Wohnen in diesem Sinne handelt es sich bei einer Betreuung in einer Einrichtung i. S. v. Abs. 2 Satz 1. Eine solche ist gegeben, wenn der Einrichtungsträger von der Aufnahme des Leistungsberechtigten bis zu dessen Entlassung nach Maßgabe des angewandten Hilfekonzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Betroffenen übernimmt (vgl. Rz. 32 ff.;VGH München, Urteil v. 19.4.2007, 12 BV 05/2065).

 

Rz. 66b

Eine ambulante Leistung liegt demnach dann vor, wenn Betreuungsleistungen im Laufe des Tages oder erforderlichenfalls in der Nacht erbracht werden und diese Betreuungsleistungen außerhalb von eigens dafür geschaffenen Gebäuden oder Räumlichkeiten einer teil- oder vollstationären Einrichtung erbracht werden (Gerlach, 2008 S. 4). Dabei muss es um eine qualifizierte Wohnbetreuung gehen, rein ambulante Eingliederungshilfe ohne Wohnbezug reicht nicht aus (OVG Bremen, Beschluss v. 26.6.2006, S 3 B 188/06). Es kommt nicht auf eine institutionelle Verknüpfung von Betreuung und Wohnen dergestalt an, dass beide Leistungen zwingend aus einer Hand erbracht werden (so aber rechtsirrig: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 21.6.2007, L 13 SO 5/07 ER; dagegen zutreffend die h. M.: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.5.2010, L 9 SO 15/09; OVG Bremen, Beschluss v. 26.6.2006, 53 B 188/06; Gerlach, 2008 S. 6; Hohm, in: Schellhorn e.a., SGB XII, § 98 Rz. 126.1; Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 36). Es reicht aus, wenn der Leistungsb...

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