Rz. 8

Eine Gefährdung der Unterkunft des Berechtigten (i. S. d. Satzes 1) ist in Abgrenzung zur der engeren Vorschrift des Satzes 2 (drohende Wohnungslosigkeit) typischerweise schon dann gegeben, wenn nennenswerte Rückstände bei der Zahlung des Mietzinses oder der Nebenkosten aufgelaufen sind. Aber auch, wenn der Berechtigte mit der Zahlung von Raten für den Erwerb eines Eigenheimes im Rückstand ist oder wenn Zahlungen für Anschlusskosten oder Anliegerbeiträge ausstehen. Eine Sicherung der Unterkunft i. S. d. Satzes 1 kann auch erforderlich sein, wenn bei bevorstehender Haftentlassung ohne die Schuldenübernahme eine Wohnung nicht beschafft werden kann (Berlit, in: LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 22 Rz. 253 m. w. N.; SG Münster, Beschluss v. 2.5.2005, S 2 SO 5716/05 ER). Eine Gefährdung der Unterkunft liegt nicht mehr vor, wenn diese bereits verlassen wurde (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 9.2.1993, 24 A 870/90; OVG Sachsen, Urteil v. 18.5.1998, 2 S 33/98).

 

Rz. 8a

Wann genau von drohender Wohnungslosigkeit (i. S. d. Satzes 2) gesprochen werden kann, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles. Im Ausgangspunkt ist mit Wohnungslosigkeit der Verlust einer bewohnten, kostenangemessenen (vgl. Rz. 10a) Wohnung bei fehlender Möglichkeit, angemessenen Ersatzwohnraum zu erhalten, gemeint (vgl. BSG, Urteil v. 17.06.2010, B 14 AS 58/09 R Rz. 25 ff.). Dabei ist die Unterbringung in einer Not- oder Obdachloseneinrichtung nicht als angemessener Ersatzwohnraum anzusehen (BSG, a. a. O. Rz. 28). Wie nah der Eintritt von tatsächlicher Wohnungslosigkeit bevorstehen muss, damit von einer drohenden Wohnungslosigkeit ausgegangen werden kann, wird im Bereich von Mietunterkünften, um die es in diesem Bereich ganz überwiegend geht, unterschiedlich beurteilt. Die Bandbreite der gestellten Anforderungen reicht von dem bloßen Bestehen einer Kündigungslage mit ernsthafter Kündigungsabsicht (Berlit, in: LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, § 36 Rz. 7 m. w. N.), über eine bereits ausgesprochene Kündigung bis hin zur Forderung der Erhebung einer Räumungsklage (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 2.2.2017, L 9 SO 69/16 B ER Rz. 10; LSG Berlin Brandenburg, Beschluss v. 3.3.2016, L 16 AS 404/16 B ER Rz. 22; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 5.5.2014, L 19 AS 532/14 B ER Rz. 10 ff. – beide m. w. N.) bzw. sogar des Vorliegens eines Räumungstitels (LSG Berlin Brandenburg, Beschluss v. 14.10.2010, L 5 AS 1325/10 B ER Rz. 6), wobei die Problematik in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – systematisch bedenklich – oftmals nicht unter dem Merkmal drohender Wohnungslosigkeit bzw. Sicherung der Unterkunft, sondern nur unter dem Gesichtspunkt des Anordnungsgrundes angesprochen wird (vgl. zur Besonderheiten bei bestehender Heimunterbringung LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.12.2013, L 20 SO 447/13 B ER).

 

Rz. 8b

In aller Regel dürfte von einem Drohen der Wohnungslosigkeit bereits ausgegangen werden können, wenn der Vermieter die Kündigung ausgesprochen hat. Denn hierdurch bringt er hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass er das Mietverhältnis nicht aufrecht erhalten und den Mieter in absehbarer Zeit aus der Wohnung haben möchte. Die Erhebung einer Räumungsklage bzw. erst recht das Vorliegen eines Räumungstitels ist demgegenüber nicht zu fordern, weil mit Blick auf die 2-Monats-Frist in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB die Erlangung effektiven Rechtsschutzes dann zwar nicht ausgeschlossen, allerdings deutlich erschwert ist. Dieser Grundsatz ist jedoch nicht formelhaft anzuwenden. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann Wohnungslosigkeit durchaus auch schon vor Ausspruch der Kündigung drohen oder zusätzlich zur Kündigung die Erhebung einer Räumungsklage zu fordern sein; so etwa, wenn ein Vermieter längere Zeit nach einer Kündigung wegen Mietrückständen nichts weiter unternimmt, um seinen Anspruch durchzusetzen (dazu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.12.2013, L 20 SO 447/13 B ER Rz. 30 ff., oder auch LSG Berlin Brandenburg, Beschluss v. 29.1.2013, L 23 SO 319/12 B ER Rz. 10).

 

Rz. 9

Der Begriff der mit der Gefährdung der Unterkunft vergleichbaren Notlage in Satz 1 ist weit gefasst und auslegungsbedürftig. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Regelung sollte die Auslegung nicht zu eng erfolgen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auf die Schwere der Notlage abzustellen, insbesondere im Hinblick auf die Folgen, die durch die Gefährdung der Unterkunft drohen. Ein unmittelbarer Bezug zum Lebensbereich der Unterkunft muss nicht zwingend vorliegen, wird aber häufig gegeben sein (enger insoweit VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 13.1.1993, 6 S 2619/91).

 

Rz. 10

Klassischer einer der Gefährdung der Unterkunft vergleichbaren Notlage (i. S. d. Satzes 1) ist die (konkret) drohende Nichtversorgung mit Strom, Wärme oder Wasser aufgrund von aufgelaufenen Schulden bei dem jeweiligen Versorgungsträger (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse v. 17.7.2014, L 9 SO 388/12 Rz. 54, und v. 17.1.2014, L 9 SO 532/13 B ER Rz. 11 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urte...

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