0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift übernahm mit Inkrafttreten des SGB VIII mit einigen Modifikationen die zuvor in § 37 JWG enthaltenen Regelungen. Für die neuen Bundesländer wurden seinerzeit die Vorschriften des BGB über die gesetzliche Amtspflegschaft nicht eingeführt. Mit dem Gesetz zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft und Neuordnung des Rechts der Beistandschaft (Beistandschaftsgesetz) v. 4.12.1997 (BGBl. I S. 2846) wurde der daraus erwachsende unterschiedliche Rechtszustand beendet. Zugleich wurde eine Neufassung des § 55 erforderlich. Die Befugnisse des Jugendamtes als Beistand wurden aufgenommen. § 55 Abs. 2 wurde durch Art. 2 Nr. 1 Buchst. a) und b) des Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v. 29.6.2011, BGBl. I S. 1306, zum 5.7.2012 dahingehend geändert, als die bisherigen Sätze 2 und 3 aufgehoben und statt dessen die neuen Sätze 2 bis 4 eingefügt worden sind. Abs. 3 ist ebenfalls durch das Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts angefügt worden. Zentrales Anliegen der beabsichtigten Reform des Vormundschaftsrechts war die Stärkung des persönlichen Kontakts zwischen Vormund und Mündel, um den Interessen des Mündels zukünftig besser gerecht werden und trotz in der Vergangenheit bestehender Amtsvormundschaft der Gefahr von Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen künftig besser begegnen zu können. Durch Art. 12 Nr. 4 des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v. 4.5.2021 (BGBl. I S. 882) wurde die Vorschrift mit Wirkung zum 1.1.2023 neu gefasst.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Nach Abs. 1 wird das Jugendamt als Behörde nach Maßgabe der Vorschriften des BGB als Beistand, Pfleger oder Vormund tätig. Mit der Reform des Vormundschafts- und Pflegeschaftsrechts sind ab 1.1.2023 die Rechtsinstitute der vorläufigen Amtspflegschaft und der vorläufigen Amtsvormundschaft hinzugekommen. Abs. 2 regelt die amtsinterne Organisation der Aufgabenübertragung. Die Wahrnehmung der Aufgaben ist in § 56 geregelt. Abs. 3 regelt Rechte und Pflichte des Beamten oder Angestellten, dem nach Abs. 2 Aufgaben übertragen wurden. Abs. 4 enthält die Einstufung als Geschäfte der laufenden Verwaltung und regelt die Rechte und Pflichten der Bediensteten des Jugendamtes. Abs. 5 enthält das Gebot der funktionellen, organisatorischen und personellen Aufgabentrennung.

2 Rechtspraxis

2.1 Aufgabenwahrnehmung durch das Jugendamt

 

Rz. 3

Gemäß Abs. 1 wird das Jugendamt Beistand, Pfleger oder Vormund, nicht der örtliche Träger oder ein Mitarbeiter des Jugendamtes. Der Bundesgesetzgeber wollte nicht in die Personalhoheit des Jugendamtes als Teil der kommunalen Selbstverwaltung eingreifen (vgl. BT-Drs. 19/24445 S. 189 zu § 1774 BGB). Das Jugendamt regelt selbst die Aufgabenwahrnehmung durch seine Mitarbeiter als Fachkräfte. Auch hier ist zu beachten, dass gemäß § 56 Abs. 1 auf die Führung der Beistandschaft, der Pflegschaft und der Vormundschaft durch das Jugendamt die Bestimmungen des BGB anzuwenden ist, soweit dieses Gesetz nicht etwas anderes bestimmt. Mithin handelt die jeweilige Fachkraft als gesetzlicher Vertreter nach den Vorschriften des BGB. Sowohl das Innenverhältnis zwischen Jugendamt und Mündel als auch die Rechtsbeziehung zwischen der Fachkraft und dem Mündel sind zivilrechtlich ausgestaltet. Außerhalb des Handelns als Beistand, Pfleger oder Vormund nach Vorschriften des BGB sind sozialverwaltungsrechtliche Regelungen maßgeblich.

2.2 Beistandschaft

 

Rz. 4

Gemäß § 1712 Abs. 1 BGB wird das Jugendamt auf schriftlichen Antrag eines Elternteils Beistand des Kindes. Als Aufgaben weist das Gesetz ihm die Feststellung der Vaterschaft und die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen sowie die Verfügung über diese Ansprüche zu. Ist das Kind bei einem Dritten entgeltlich in Pflege, so ist der Beistand berechtigt, aus dem vom Unterhaltspflichtigen Geleisteten den Dritten zu befriedigen. Der Antrag des Elternteils kann auf einzelne Aufgaben beschränkt werden. Das Sorgerecht der Eltern wird nicht eingeschränkt (§ 1716 BGB), sodass das Jugendamt als Beistand neben den Eltern und nur für die genannten Aufgaben vertretungsberechtigt ist. Im familiengerichtlichen Verfahren wird das Kind jedoch allein durch das Jugendamt vertreten. Die Vertretung durch den sorgeberechtigten Elternteil ist ausgeschlossen (§§ 173, 234 FamFG).

2.2.1 Dauer der Beistandschaft

 

Rz. 5

Während die Amtspflegschaft kraft Gesetzes eintrat, ist die Beistandschaft als Hilfsangebot an die Eltern konzipiert. Gemäß § 52a Abs. 1 hat das Jugendamt unverzüglich nach der Geburt eines Kindes, dessen Eltern nicht miteinander verheiratet sind, der Mutter Beratung und Unterstützung anzubieten (vgl. die Komm. zu § 52a). Das Jugendamt wird gemäß § 1712 Abs. 1 BGB auf schriftlichen Antrag eines Elternteils Beistand des Kindes. Die Antragsbefugnis ist ein höchstpersönliches Recht. Sie ist gemäß § 1713 Abs. 1 BGB daran geknüpft, dass dem Antragsteller die elterliche Sorge zusteht (zum Begriff der elterlichen Sorge vgl. Komm. zu § 17 Rz. 29 bis 99). Sind beide Elternteile sorgeberechtigt, so ist der Elternteil antragsbefugt, in dessen Obhut sich das Kind befindet, wobei d...

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