0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift entwickelt den zuvor in § 3 Abs. 2 JWG enthaltenen Programmsatz fort; sie konkretisiert dessen Umfang und Grenzen. Ähnlich wie zuvor § 3 Abs. 2 BSHG enthält § 9 Abs. 2 SGB XII Regelungen zum Wunsch- und Wahlrecht im Bereich der Sozialhilfe. Mit Wirkung zum 1.1.1999 wurde die Vorschrift durch Art. 2 Nr. 1 des 2. SGB XI-ÄndG v. 29.5.1998 (BGBl. I S. 118) in zwei Absätze gegliedert und neu gefasst.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Das Wunsch- und Wahlrecht trägt dazu bei, das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht und die damit verbundene Grundrechtsposition der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten. Sie beinhaltet das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen. Die Vorschrift setzt ferner das ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Individualisierungsprinzip um. Sie ist im Zusammenhang mit § 3 Abs. 1 zu sehen, wonach der Jugendhilfeträger ein plurales Angebot anbieten soll (vgl. dazu: OVG Schleswig-Holstein, Urteil v. 15.12.1999, 2 L 191/98). Das Wunsch- und Wahlrecht bezieht sich allein auf die Leistungen der Jugendhilfe, nicht auf die anderen Leistungen. Eine vorrangige spezielle Regelung enthält § 36 Abs. 1 Satz 3 und 4 für die Hilfe zur Erziehung und die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche außerhalb der eigenen Familie. Ihrer Wahl und ihren Wünschen ist zu entsprechen, soweit dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (dazu: Hamburgisches OVG, Beschluss v. 24.10.1994, Bs IV 144/94). Während Abs. 1 das Wunsch- und Wahlrecht definiert und den Leistungsberechtigten als Adressaten zuweist, normiert Abs. 2 Umfang und Grenzen dieses Rechtes.

2 Rechtspraxis

2.1 Leistungsberechtigte

 

Rz. 3

Leistungsberechtigt ist die in der jeweiligen Vorschrift genannte Person. Ist ein Leistungsberechtigter in der jeweiligen Norm nicht benannt, so sollen die Träger der sozialen Rechte in der Jugendhilfe berechtigt sein. Dies sind Kinder, Jugendliche und Personensorgeberechtigte. Pflegeeltern können sich auf das allgemeine Wunsch- und Wahlrecht nicht berufen, da sie nicht zu den Leistungsberechtigten i. S. d. Vorschrift gehören (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 8.5.2018, 12 A 1434/16, Rz. 35). Differieren die von mehreren Anspruchsberechtigten geäußerte Wahl und deren Wünsche, so sollte der öffentliche Träger versuchen, eine Einigung herbeizuführen. Gelingt dies nicht, so dürfte letztendlich das Kindeswohl maßgeblich sein.

2.2 Wahlrecht

 

Rz. 4

Das Wahlrecht bezieht sich auf eine bestimmte Leistung der Jugendhilfe, die von verschiedenen Trägern angeboten wird. Dies setzt weiter voraus, dass die Leistung ihrer Art nach durch gesetzliche Vorschrift, Bewilligungsbescheid oder planerische Entscheidung konkretisiert ist. Grundsätzlich besteht kein Wahlrecht unter verschiedenen Leistungsarten. Dem Wunschrecht ist begrifflich immanent, dass nur unter vorhandenen Leistungsangeboten und unter den vorhandenen Einrichtungen und Diensten gewählt werden kann (zu den Begriffen der Einrichtung und der Dienste vgl. die Kommentierung zu § 4 Rz. 17 f.). § 5 normiert keinen Beschaffungsanspruch in Bezug auf zusätzliche, derzeit nicht vorhandene Einrichtungen und Dienste (OVG Brandenburg, Beschluss v. 5.9.2002, 4 B 127/02; BayVGH, Beschluss v. 2.12.2003, 7 CE 03.2722; OVG Lüneburg, Beschluss v. 2.9.2010, 4 LA 176/09). Das Wahlrecht bezieht sich auf die Einrichtungen und Dienste aller in Betracht kommender Träger; dazu zählen freie Träger, freigewerbliche und öffentliche Träger (VG Aachen, Urteil v. 25.2.2003, 2 K 392/01). Für die Jugendhilfe gibt es kein "Territorialitätsprinzip" in dem Sinne, dass eine bedarfsdeckende Jugendhilfeleistung in einer Tageseinrichtung für Kinder ausgeschlossen wäre, die außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs des jeweiligen Jugendhilfeträgers gelegen ist (BVerwG, Urteil v. 14.11.2002, 5 C 57/01). Das Wunsch- und Wahlrecht des ist daher räumlich nicht auf den Zuständigkeitsbereich des für das Kind örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers begrenzt (VG Stuttgart, Beschluss v. 9.9.2013, 12 K 3195/13).

 

Rz. 5

Davon zu differenzieren ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Leistungsberechtigten ein Recht zur Selbstbeschaffung von Leistungen der Jugendhilfe zusteht. Dabei handelt es sich regelmäßig um bereits existierende Leistungsangebote. Es fehlt jedoch an der rechtzeitigen Bewilligung der Leistungen durch den öffentlichen Träger. Ebenso wie in anderen Bereichen des Sozialrechts (vgl. § 13 Abs. 3 SGB V für die gesetzliche Krankenversicherung) muss ein Selbstbeschaffungsrecht auf Ausnahmefälle begrenzt sein. Das Wahlrecht ist nicht auf die Einrichtungen und Dienste innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des bewilligenden Trägers begrenzt; sogar Einrichtungen im Ausland kommen grundsätzlich in Betracht (BVerwG, Urteil v. 14.11.2002, 5 C 57/01).

 

Rz. 5a

Das Wunsch- und Wahlrecht findet dann seine Grenze, wenn keine Plätze in der gewünschten Betreuungsform (mehr) vorhanden oder verfügbar sind (OLG Braunschweig, Urteil v. 29.11.2017, 11 U 59/17, Rz. 37). Stehen nur freie Plätze in Tag...

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