0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift wurde durch Art. 1 des KJHG mit dem SGB VIII eingeführt und trat am 1.1.1991 in Kraft. Sie löste das zuvor geltende JWG von 1922 ab und entwickelt den zuvor in § 3 Abs. 2 JWG enthaltenen Programmsatz fort; sie konkretisiert dessen Umfang und Grenzen. Durch Art. 1 Nr. 3 des Ersten Gesetzes zur Änderung des SGB VIII v. 16.2.1993 (BGBl. I S. 239) wurde mit Wirkung zum 1.4.1993 lediglich eine redaktionelle Änderung vorgenommen. Durch Art. 2 Nr. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) und anderer Gesetze v. 29.5.1998 (BGBl. I S. 1188) wurde die Vorschrift mit Wirkung zum 1.1.1999 neu gefasst und in zwei Absätze gegliedert. Dabei wurden die ebenfalls neu eingeführten §§ 78a und 78b Abs. 1 und 3 sowie der Hilfeplan (§ 36) berücksichtigt. Ähnlich wie zuvor § 3 Abs. 2 BSHG enthält auch § 9 Abs. 2 SGB XII Regelungen zum Wunsch- und Wahlrecht im Bereich der Sozialhilfe.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Das Wunsch- und Wahlrecht trägt dazu bei, das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht und die damit verbundene Grundrechtsposition der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten. Sie beinhaltet das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen. Die Vorschrift setzt ferner das ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Individualisierungsprinzip um. Sie ist im Zusammenhang mit § 3 Abs. 1 zu sehen, wonach der Jugendhilfeträger ein plurales Angebot anbieten soll (vgl. dazu: OVG Schleswig-Holstein, Urteil v. 15.12.1999, 2 L 191/98). Das Wunsch- und Wahlrecht bezieht sich allein auf die Leistungen der Jugendhilfe, nicht auf die anderen Leistungen. Eine vorrangige spezielle Regelung enthält § 36 Abs. 1 Satz 3 und 4 für die Hilfe zur Erziehung und die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche außerhalb der eigenen Familie. Ihrer Wahl und ihren Wünschen ist zu entsprechen, soweit dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (dazu: Hamburgisches OVG, Beschluss v. 24.10.1994, Bs IV 144/94). Während Abs. 1 das Wunsch- und Wahlrecht definiert und den Leistungsberechtigten als Adressaten zuweist, normiert Abs. 2 Umfang und Grenzen dieses Rechtes.

 

Rz. 2a

Das Wunsch- und Wahlrecht kann grundsätzlich nur als "ein" Prinzip neben anderen verstanden werden, dessen konkrete Fallbedeutung im Kollisionsfall im schonenden Ausgleich mit anderen Prinzipien bestimmt werden muss. Vor allem ergeben sich rein faktisch Beschränkungen durch die kommunale Finanzsituation, was in Abs. 2 dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass keine unverhältnismäßigen Mehrkosten entstehen sollen. Zudem wird das Jugendhilferecht durch die Berücksichtigung des Hilfeplans bei Wahl einer nicht an Vereinbarungen gebundenen Einrichtung von einem normativen Bedarfsbegriff geprägt, der mehr als sonst zwar dem Elternwillen verpflichtet bleibt, einer individuellen Wahlentscheidung aber eben dann entgegengehalten werden kann, wenn durch diese der Bedarf nicht, nur ungenügend oder mit unverhältnismäßigem Mittelaufwand gedeckt wird (Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 5 Rz. 13).

2 Rechtspraxis

2.1 Leistungsberechtigte

 

Rz. 3

Leistungsberechtigt ist die in der jeweiligen Vorschrift genannte Person. Ist ein Leistungsberechtigter in der jeweiligen Norm nicht benannt, so sollen die Träger der sozialen Rechte in der Jugendhilfe berechtigt sein. Dies sind Kinder, Jugendliche und Personensorgeberechtigte. Wenn einem oder beiden Elternteilen das Personensorgerecht nach Maßgabe von § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB entzogen wird, tritt die Person an deren Stelle. Pflegeeltern können sich auf das allgemeine Wunsch- und Wahlrecht nicht berufen, da sie nicht zu den Leistungsberechtigten i. S. d. Vorschrift gehören (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 8.5.2018, 12 A 1434/16, Rz. 35). Differieren die von mehreren Anspruchsberechtigten geäußerte Wahl und deren Wünsche, so sollte der öffentliche Träger versuchen, eine Einigung herbeizuführen. Gelingt dies nicht, so dürfte letztendlich das Kindeswohl maßgeblich sein.

2.2 Wahlrecht

 

Rz. 4

Das Wahlrecht bezieht sich auf eine bestimmte Leistung der Jugendhilfe, die von verschiedenen Trägern angeboten wird. Dies setzt weiter voraus, dass die Leistung ihrer Art nach durch gesetzliche Vorschrift, Bewilligungsbescheid oder planerische Entscheidung konkretisiert ist. Grundsätzlich besteht kein Wahlrecht unter verschiedenen Leistungsarten. Dem Wunschrecht ist begrifflich immanent, dass nur unter vorhandenen Leistungsangeboten und unter den vorhandenen Einrichtungen und Diensten gewählt werden kann (zu den Begriffen der Einrichtung und der Dienste vgl. die Kommentierung zu § 4 Rz. 17 f.). § 5 normiert keinen Beschaffungsanspruch in Bezug auf zusätzliche, derzeit nicht vorhandene Einrichtungen und Dienste (OVG Brandenburg, Beschluss v. 5.9.2002, 4 B 127/02; BayVGH, Beschluss v. 2.12.2003, 7 CE 03.2722; OVG Lüneburg, Beschluss v. 2.9.2010, 4 LA 176/09). Das Wahlrecht bezieht sich auf die Einrichtungen und Dienste aller in Betracht kommender Träger; dazu zählen freie Träger, freigewerbliche und öffentli...

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