Rz. 4

Abs. 1 Satz 1 normiert den Anspruch zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen. Die Behandlung akuter Erkrankungen ist von der Behandlung chronischer Erkrankungen abzugrenzen (Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 4 Rz. 23; Frerichs, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 4 Rz. 47 ff.; Herbst, in: Mergler/Zink, AsylbLG, § 4 Rz. 5). Der Begriff der Erkrankung ist ebenso wie der im SGB V verwendete Begriff der Krankheit gesetzlich nicht definiert. Hier wie dort ist darunter ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, der aus medizinischen Gründen ärztlicher Behandlung bedarf (Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 4 Rz. 22 mit Hinweis auf BSG, Urteil v. 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R).

 

Rz. 5

Allerdings kann auch bei chronischen Erkrankungen ein akuter Behandlungsbedarf entstehen. Als akute Erkrankung ist eine plötzlich auftretende, schnell und heftig verlaufende Erkrankung anzusehen, während eine langsam sich entwickelnde oder langsam verlaufende Erkrankung als chronische Erkrankung einzustufen ist. Die Abgrenzung erfolgt nach medizinischen Gesichtspunkten und ist im Einzelfall schwierig, weil mit chronischen Erkrankungen akute, konkret behandlungsbedürftige Krankheitszustände einhergehen können (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 6.5.2013, L 20 AY145/11; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 6.10.2022, L 8 AY 47/18 und Urteil v. gleichen Tage, L 8 AY 46/18). Von einer akuten Erkrankung i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 1 ist nach Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 20.8.2003, 16 B 2140/02, (unter Hinweis auf VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 4.5.1998, 7 S 920/98 m. w. N.) nur bei einem plötzlichen Auftreten bzw. bei einem heftigen und kurzfristigen Verlauf auszugehen. Eine chronische Erkrankung ohne Schmerzzustände erfüllt diese Voraussetzungen nicht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 11.1.2007, L 7 AY 6025/06 PKH-B). Mit chronischen Erkrankungen können aber akute, behandlungsbedürftige Krankheitszustände einhergehen, deren Behandlung unter die Regelung des § 4 Abs. 1 fällt (SG Karlsruhe, Urteil v. 22.9.2016, S 12 AY 3783/14 hier: "Hämorrhoiden"). Falls nach dieser Abgrenzung eine chronische Erkrankung vorliegt, bedeutet dies nicht ohne Weiteres, dass kein Anspruch auf Krankenbehandlung besteht. Vielmehr ist dann zu prüfen, ob ein Anspruch nach § 6 besteht. Die Gerichte prüfen den Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 4 Abs. 1 Satz 1, und falls ein solcher nicht besteht, den Anspruch aufgrund der Voraussetzungen der Auffang- und Öffnungsklausel des § 6 Abs. 1 Satz 1.

 

Rz. 6

Schmerzzustände sind ebenfalls im Gesetz nicht definiert. Rechtsprechung und Literatur verstehen darunter einen mit einer aktuellen oder potenziellen Gewebsschädigung verknüpften unangenehmen Sinnes- und Gefühlszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung bedarf (vgl. statt vieler: Frerichs, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 4 Rz 52 m. w. N.; Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 4 Rz. 25; Herbst, in: Mergler/Zink, AsylbLG, § 4 Rz. 8). Die Schmerzzustände müssen nicht akut sein. Nach allgemeiner Auffassung bezieht sich das Wort "akut" im Gesetzeswortlaut allein auf die Erkrankung.

 

Rz. 7

Der Anspruch ist gerichtet auf die erforderliche ärztliche oder zahnärztliche Behandlung. Auch die Krankenhausbehandlung ist eine ärztliche Behandlung. Zur ärztlichen Behandlung zählen alle auf medizinisch-wissenschaftlicher Grundlage durchgeführten Tätigkeiten eines approbierten Arztes oder Zahnarztes einschließlich der Krankenhausbehandlung (Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 4 Rz. 22; Schellhorn/Hohm/Scheider/Hohm, SGB XII, AsylbLG, § 4 Rz. 8). Die Behandlung muss erforderlich sein. Auch diese Voraussetzung muss unter Inanspruchnahme ärztlich-medizinischen Sachverstands beurteilt werden. Wesensfremde Erwägungen, wie etwa die Erfolgsaussicht des Asylverfahrens, dürfen nicht in die Beurteilung einfließen (Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 4 Rz. 27). Ärztliche Behandlungen, die wegen der voraussichtlich nur kurzen Dauer des Aufenthalts nicht abgeschlossen werden können, vermögen aber eine Leistungsverpflichtung regelmäßig nicht auszulösen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 11.1.2007, L 7 AY 6025/06 PKH-B; VGH Baden-Württemberg Urteil v. 4.5.1998, 7 S 920/98; Hohm, in: GK-AsylbLG, § 4 Rz. 54; Adolph, in: Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, AsylbLG, § 4 Rz. 17).

 

Rz. 8

Zur ärztlichen Behandlung zählt auch die Versorgung mit Arznei- und Verbandsmaterial. Auf sonstige Leistungen besteht ein Anspruch, soweit diese zur Akutversorgung erforderlich sind. Dazu können im Einzelfall Heil- und Hilfsmittel, wie etwa Krankengymnastik oder orthopädische Schuhe gehören. Empfänger von Grundleistungen nach § 3 haben keine Zuzahlungen nach Vorschriften des SGB V zu leisten, es sei denn sie sind aufgrund einer Erwerbstätigkeit krankenversicheru...

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