1 Allgemeines

 

Rz. 1

Durch Art. 1 Nr. 35 des 6. SGGÄndG v. 17.8.2001 (BGBl. I S. 2144) wurde § 86b mit Wirkung zum 2.1.2002 eingefügt und damit der einstweilige gerichtliche Rechtsschutz im SGG erstmals umfassend kodifiziert. Zwar wurde im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auch zuvor bereits mittels § 86 Abs. 2 bis 4, § 97 a. F. einstweiliger Rechtsschutz gewährt (vgl. BVerfG Beschluss v. 19.10.1977, 2 BvR 42/76, BVerfGE 46 S. 166). Mangels gesetzlicher Vorgaben entwickelte sich aber eine stark kasuistische Rechtsprechung; über die Voraussetzungen, unter denen einstweiliger Rechtsschutz gewährt wurde, bestanden sehr unterschiedliche Auffassungen (näher hierzu Bernsdorff, SGb 2001 S. 465). Weil der Rechtszug in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim Landessozialgericht endet, fehlte es auch an höchstrichterlicher Rechtsprechung. Da die gesetzliche Neuregelung im Wesentlichen Verfahrensvorschriften enthält und im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit ein Wertungsspielraum der Gerichte besteht, dürfte es weiterhin zu kasuistisch geprägten Entscheidungen kommen. Ungeachtet dessen lassen sich die obergerichtliche Rechtsprechung prägende und übergreifende Grundlinien ausmachen (hierzu ausführlich Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Aufl. 2011).

Die Vorschrift regelt den einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz in Anfechtungssachen (Abs. 1) und in Vornahmesachen (Abs. 2).

2 Rechtspraxis

2.1 Einstweiliger Rechtsschutz in Anfechtungssachen

2.1.1 Antragsarten

2.1.1.1 Inhaltliche Abgrenzung

2.1.1.1.1 Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Gericht (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1)

 

Rz. 2

Nach Abs. 1 Nr. 1 kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Betroffen sind nach der Gesetzesbegründung auch Verwaltungsakte mit Drittwirkung (wie etwa Zulassungsbescheide im Vertragsarztrecht). Dort liegt der eigentliche Anwendungsbereich dieser Antragsart. Legt ein Drittbetroffener gegen einen begünstigenden Verwaltungsakt (z. B. Zulassungsbescheid) Widerspruch ein bzw. erhebt er gegen den Widerspruchsbescheid Klage, so hat dies aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 1 zur Folge. Der dadurch benachteiligte Adressat kann nun die sofortige Vollziehung beantragen. Bei einem belastenden Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung kann der Dritte (Konkurrent, Wettbewerber) die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Klage des Adressaten durch den Antrag zu beseitigen versuchen. Drittwirkung haben z. B. wegen der möglichen Auswirkung auf die Rentenhöhe Bescheide über Gewährung von Hinterbliebenenrente an den hinterbliebenen und früheren geschiedenen Ehegatten und zwar im Verhältnis sowohl zu dem hinterbliebenen als auch zu dem früheren geschiedenen Ehegatten (vgl. BSG, Urteil v. 23.6.1964, 11/1 RA 90/62, BSGE 21 S. 125), Gewährung von Hinterbliebenrenten an hinterbliebene Ehegatten aus einer Mehrehe, Bescheid über Vormerkung einer Kindererziehungszeit, wenn für miterziehenden Elternteil beantragt (BSG, Urteil v. 28.2.1991, 4 RA 76/90, FamRZ 1992 S. 805), gegenüber Krankenkassen und Krankenkassenverbänden Bescheide der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse über Honorarkürzungen und Arzneimittelregresse wegen unwirtschaftlicher Behandlungs- und/oder Verordnungsweise und deren Ablehnung, Aufhebung und Minderung (vgl. BSG, Urteil v. 18.5.1983, 6 RKa 18/80, MedR 1984 S. 74). Hierzu rechnen schließlich wettbewerbswirksame Fallgestaltungen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 11.12.1990, 1 BvR 935/90, DVBl 1991 S. 309).

 

Rz. 3

Weitere Beispiele für Fallgestaltungen mit Drittbezug (hierzu auch Krodel, Eilverfahren, B Rn 169):

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