OVG: Impfnachweispflicht beinhaltet keine Impfpflicht

Nach einer Entscheidung des Niedersächsischen OVG enthält das Infektionsschutzgesetz keine Rechtsgrundlage für eine zwangsweise Durchsetzung der Impfpflicht für Mitarbeiter von Pflegeheimen.

In einer Grundsatzentscheidung hat das Niedersächsische OVG klargestellt, dass eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für Mitarbeiter von Pflegeheimen im engeren Sinne rechtlich nicht existiert. Der Gesetzgeber habe lediglich eine Impfnachweispflicht statuiert. Die Androhung eines Zwangsgeldes für die Nichtbeibringung eines Impfnachweises sei vollstreckungsrechtlich unzulässig, denn das Zwangsgeld habe letztlich den Zweck, den Betroffenen zur Impfung zu zwingen.

Verpflichtung zur Beibringung eines Impfnachweises mit Zwangsgeldandrohung

Die Entscheidung des Niedersächsischen OVG ist im Rahmen eines Eilverfahrens ergangen. Die Antragstellerin ist Mitarbeiterin eines Seniorenhauses. Sie erhielt am 31.3.2022 von der Gesundheitsbehörde eine schriftliche Anordnung, wonach sie

  • einen Nachweis über eine erste Impfung gegen das Covid-19-Virus innerhalb von 14 Tagen sowie
  • einen Nachweis über eine Zweitimpfung innerhalb von weiteren 42 Tagen beim Gesundheitsamt einzureichen habe.
  • Gleichzeitig ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung dieser Anordnung an.
  • Für den Fall der Nichtbefolgung drohte die Antragsgegnerin der Antragstellerin ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500 Euro an.

VG und OVG stellen aufschiebende Wirkung der Klage wieder her

Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin Klage erhoben und gleichzeitig die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beantragt. Dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat das VG im Eilverfahren stattgegeben. Das OVG hat diese Entscheidung auf die Beschwerde des Antragsgegners bestätigt mit der Begründung, im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchzuführenden summarischen Prüfung seien die von der Antragsgegnerin getroffenen Anordnungen mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig.

Keine Ermächtigungsgrundlage für die Anordnungen der Gesundheitsbehörde

Nach Auffassung des OVG sind sowohl die Anordnung zur Einbringung eines Nachweises über eine Erstimpfung innerhalb einer Frist von 14 Tagen als auch die Anordnung der Beibringung eines Nachweises über eine 2. Impfung innerhalb einer Frist von 42 weiteren Tagen wie auch die Androhung eines Zwangsgeldes nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 20 a Abs. 5 Satz 1 IfSG gedeckt.

Unzulässige Aufforderung der Gesundheitsbehörde zur Impfung

Im Rahmen der summarischen Prüfung kam das OVG zu dem Ergebnis, dass § 20 a Abs. 5 Satz 1IfSG schon keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines selbständigen Verwaltungsakts darstellt. § 20 a Abs. 5 Satz 1 IfSG enthalte lediglich die Verpflichtung, dem Arbeitgeber einen Impfnachweis vorzulegen. Mit seinem Bescheid fordere der Antragsgegner aber unmissverständlich von der Antragstellerin, sich impfen zu lassen und anschließend darüber einen Nachweis zu erbringen. Dies zeige u.a. die Formulierung in der Begründung des Bescheids, wonach der Antragsgegner aufgrund einer Meldung des Arbeitgebers davon ausging, dass die Antragstellerin bisher ihrer Impfpflicht nicht nachgekommen sei.

Impfnachweispflicht beinhaltet keine Impfpflicht

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin enthalte § 20 a Abs. 5 Satz 1 IfSG keine Verpflichtung zur Durchführung einer Impfung und damit erst recht keine Rechtsgrundlage für die Androhung eines Zwangsgeldes oder anderer Zwangsmaßnahmen. Die Vorschrift des § 20 a Abs. 5 Satz 1 IfSG sei vom Gesetzgeber bewusst so formuliert worden, dass lediglich der Nachweis über die Durchführung einer Impfung, nicht aber die Impfung selbst verlangt werden könne.

Eine Vollstreckung der Nachweispflicht sieht das Gesetz nicht vor

Diese Unterscheidung ist nach Auffassung des OVG nicht bloß theoretischer Natur, denn die Vorschrift knüpfe an die Nichtbeibringung eines Impfnachweises ausdrücklich lediglich die Rechtsfolge, dass gegen den Betreffenden ein Tätigkeits- und Betretungsverbot betreffend die ihn beschäftigende Einrichtung verhängt werden könne. Weder zu der Impfung als solcher noch zur Einbringung eines Nachweises über eine Impfung könne die Behörde den Betroffenen zwingen. Die Gesundheitsbehörde dürfte auf die fehlende Impfbereitschaft lediglich mit der vom Gesetz vorgesehenen Sanktion des Verbots der weiteren Tätigkeit und des Betretens der Einrichtung reagieren.

Begriff der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ist irreführend

In diesem Zusammenhang stellte das OVG klar, dass das Gesetz nach Einschätzung des Senats genau genommen keine einrichtungsbezogene Impfpflicht statuiert. Die Vorschrift lasse den Betroffenen die Wahl zwischen der Option, die Impfungen gegen das Covid-19-Virus gegenüber dem Arbeitgeber nachzuweisen und der Option, den Eingriff in ihre körperliche Integrität durch eine Impfung nicht zuzulassen und damit die Weiterbeschäftigung aufs Spiel zu setzen. Damit entstehe zwar ein gewisser sozialer Druck zur Durchführung der erwünschten Impfungen, nicht aber eine mit den Mitteln des Vollstreckungsrechts durchsetzbare Impfpflicht.

Betretens- und Tätigkeitsverbot sind effektive Reaktionsmöglichkeiten

Schließlich stellt die Möglichkeit der Anordnung eines sofort vollziehbaren Betretens- und Tätigkeitsverbots durch die Gesundheitsbehörde nach Einschätzung des OVG auch eine dem Sinn des IfSG entsprechende, angemessene Reaktionsmöglichkeit da. Durch eine entsprechende Anordnung würden nämlich vulnerable Personengruppen unmittelbar und sofort vor dem Kontakt mit nicht geimpftem Pflegepersonal in angemessener Weise geschützt. Da dem Zweck der Regelung damit in vollem Umfange gedient sei, habe der Gesetzgeber bewusst von weiteren vollstreckungsrechtlichen Regelungen abgesehen.

Auch „Masernimpfpflicht“ ist nur eine mittelbare Pflicht

Ergänzend verwies der Senat auf die Parallelität der Regelung zur Systematik der Masernimpfpflicht gemäß § 20 Abs. 12 IfSG. Auch hier handle es sich lediglich um eine mittelbare Impfverpflichtung, die als solche nicht zwangsweise mit Mitteln des Vollstreckungsrechts durchgesetzt werden könne.

Die Entscheidung des OVG ist nicht anfechtbar.

(Niedersächsisches OVG, Beschluss v. 22.6.2022, 14 ME 258/22)

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