Rz. 73

Der Anwendungsbereich der Sicherungsanordnung wird durch die Tatbestandsvoraussetzungen und den Zweck des § 86b Abs. 2 Satz 1 einerseits und dem Vorrang der Anfechtungssachen andererseits konkretisiert. Eine Sicherungsanordnung nach Abs. 2 Satz 1 kommt

  • in Betracht, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte;
  • nicht in Betracht, wenn

    • es um eine Erweiterung der Rechtsposition geht (dann Regelungsanordnung);
    • noch kein anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegt (dann einstweiliger Rechtsschutz durch dessen Anfechtung und ggf. Anordnung der aufschiebenden Wirkung).
 

Rz. 74

Sicherungsanordnungen dienen der Sicherung eines bestehenden Zustands; das Gericht trifft dementsprechend nur bestandsschützende Maßnahmen (LSG NRW, Beschluss v. 12.10.2011, L 11 KA 31/11 B ER). Der Antragsteller wird durch die Sicherungsanordnung vor dem zukünftigen Erlass eines belastenden Verwaltungsakts oder vor bevorstehenden behördlichen Eingriffen durch schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln geschützt. Der Anwendungsbereich der Sicherungsanordnung ist im Sozialrecht begrenzt, denn Sozialleistungen werden per Verwaltungsakt bewilligt und aufgehoben, so dass einstweiliger Rechtsschutz durch dessen Anfechtung zu erreichen ist. Begehrt der Betroffene hingegen eine Leistung, geht es um eine Erweiterung der Rechtsposition und damit um eine Regelungsanordnung (Krodel, Eilverfahren, B 308). Wesentliche Anwendungsfälle sind Unterlassungsanordnungen (vgl. LSG NRW, Beschluss v.6.9.2010, L 11 KA 3/10 B ER, MedR 2011 S. 392; vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 15.11.2006, L 16 B 28/06 KR ER, zum Begehren einer Krankenkasse auf Unterlassung unzulässiger Werbemaßnahmen einer anderen Krankenkasse) und vorbeugender einstweiliger Rechtsschutz, sofern das Bestehen des Rechts nicht per Verwaltungsakt streitig gemacht wird (vgl. Krodel, Eilverfahren, B Rn. 308). Insoweit gilt, dass die Unterlassungsverfügung abwehrenden Charakter hat und die strengen Voraussetzungen für Leistungsverfügungen für sie nicht gelten (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 940 Rn. 1, str.).

 

Rz. 75

Losgelöst hiervon unterliegt die Sicherungsanordnung auch den aus dem Gebot der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) resultierenden strengen Anforderungen. Grundsätzlich muss der Bürger den Erlass eines belastenden Verwaltungsakts abwarten und anschließend Rechtsschutz in der Hauptsache (Widerspruch, Klage) und ggf. einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Mehr ist aus dem Verfassungsgebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht herzuleiten. Nur dann, wenn das Abwarten der Verwaltungsentscheidung und die Inanspruchnahme des nachgängigen (einstweiligen) Rechtsschutzes mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre, gebietet Art. 19 Abs. 4 GG vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren (LSG NRW, Beschluss v. 28.12.2010, L 11 KA 58/10 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 20.4.2006, L 5 KR 890/06 ER-B, zum Rechtsschutz gegen den bevorstehenden Widerruf der Zulassung zur Abgabe von Hilfsmitteln; Beschluss v. 31.1.2008, L 8 AS 5585/07 ER-B, zum Rechtsschutz wegen drohender Sanktionen infolge der Nichtteilnahme an einer Eingliederungsmaßnahme).

 

Rz. 76

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