Rz. 1

Durch Art. 1 Nr. 35 des 6. SGGÄndG v. 17.8.2001 (BGBl. I S. 2144) ist der einstweilige Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren mit Wirkung zum 2.1.2002 grundlegend neu geregelt worden. Zuvor waren die aufschiebende Wirkung in Anfechtungssachen sowie Anordnung und Aussetzung der sofortigen Vollziehung in den §§ 86 Abs. 2 bis 4, 97 SGG a. F. nur bruchstückhaft geregelt. Das waren Fallgestaltungen, in denen Widerspruch und Klage, Berufung und Revision ausnahmsweise aufschiebende Wirkung hatten (§ 86 Abs. 2, § 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 6, §§ 154, 165) oder in denen die Widerspruchsstelle bzw. das Gericht die aufschiebende Wirkung oder die sofortige Vollziehung oder deren Aussetzung anordnen konnten (§ 86 Abs. 2 und 3, § 97 Abs. 2, 3 und 4), schließlich Fälle, in denen das Gericht die Gewährung einer vorläufigen Leistung anordnen konnte (§ 130 Satz 2, § 180 Abs. 6, § 181 Satz 2, § 199 Abs. 2). Anders als nach § 80 Abs. 1 VwGO hatten Widerspruch und Klage nach der bis zum 1.1.2002 maßgebenden Rechtslage im SGG-Verfahren im Übrigen keine aufschiebende Wirkung. Im Gegensatz zur VwGO enthielt das SGG ferner keine dem § 123 VwGO vergleichbare Vorschrift betreffend den Erlass einstweiliger Anordnungen (hierzu Husmann, SGb 1987 S. 442). Die naheliegende Erwägung, über § 202 SGG die Vorschriften der ZPO über den Arrest und die einstweilige Verfügung entsprechend anzuwenden, unterband § 198 Abs. 2 a. F.

 

Rz. 2

Angesichts der insoweit aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehenden ergebenden Unzulänglichkeiten hat das BVerfG für Vornahmesachen (Verpflichtungs-, Leistungs- sowie kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungs- und Leistungsklagen) aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet, dass trotz des Ausschlusses der Vorschriften über Arrest und einstweilige Verfügung in § 198 Abs. 2 einstweiliger Rechtsschutz immer dann zu gewähren ist, wenn ohne seine Gewährung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, die durch eine günstige Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss v. 19.10.1977, 2 BvR 42/76, BVerfGE 46 S. 166 = NJW 1978 S. 693). Für den einstweiligen Rechtsschutz in den Anfechtungssachen galt Entsprechendes. Ausgehend hiervon wurden die Regelungen der §§ 80, 123 VwGO entsprechend angewendet. Dem lag die Erwägung zugrunde, dass Art. 19 Abs. 4 GG einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle einräumt und damit das verfassungsrechtliche Gebot verknüpft, möglichst zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme nicht mehr rückgängig zu machenden Tatsachen geschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 19.6.1973, 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72, DVBl 1973 S. 622; hierzu Birk, NJW 1973 S. 2196). Danach war ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in entsprechender Anwendung von §§ 123, 80 VwG0 statthaft. Einstweiliger Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung konnte jedoch nur in Ausnahmefällen gewährt werden, weil der Gesetzgeber trotz mehrfacher Änderung des SGG einen umfassenden vorläufigen Rechtsschutz nicht ausdrücklich geregelt hat, mithin davon auszugehen war, dass er Erlass einstweiliger Anordnungen beschränken wollte (LSG NRW, Beschluss v. 22.5.1997, L 11 SKa 80/96; Beschluss v. 11.12.1996, L 11 SKa 81/96, Breithaupt 1997 S. 487). Voraussetzung für den Erlass einstweiliger Anordnungen war deshalb, dass anderenfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (LSG NRW, Beschluss v. 30.9.1992, L 11 [S] Ka 24/92, und v. 21.5.1996, L 11 SKa 8/96, vgl. auch Rz. 77, 84).

 

Rz. 3

Gleichermaßen galt, dass die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides im Vorverfahren über die in § 86 Abs. 3 a. F. genannten Fälle hinaus im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG und in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 4 und 5 VwGO auch in den Fällen zulässig war, in denen Klage und Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hatten und die Voraussetzungen für Anordnungen nach § 97 Abs. 2 bis 5 nicht vorlagen (LSG Hamburg, Beschluss v. 18.1.1979, I KRBs 26/78, Breithaupt 1979 S. 581; LSG Bayern, Beschluss v. 12.1.1978, L 4 Kr 59/77, Breithaupt 1978 S. 704; Schmidt, Vorläufiger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren, SGb 1980 S. 510, 519 f.). In Anfechtungssachen kam eine einstweilige Anordnung entsprechend § 123 VwGO nicht in Betracht, weil diese nicht die Aussetzung oder Wiederherstellung der sofortigen Vollziehung von Verwaltungsakten umfasst. Eine ausdehnende Anwendung der § 86 Abs. 2 bis 3 und § 97 auf weitere von ihnen nicht erfasste Fallgruppen, wie sie teilweise auch erwogen und angenommen wurde (vgl. LSG Niedersachsen, Beschluss v. 12.8.1959, L 4 S 62/59, Breithaupt 1959 S. 979; LSG Bayern, Beschluss v. 14.1.1965, L 4/Kr 10/64 B, Breithaupt 1965 S. 367 ), schied angesichts der abschließenden Natur dieser Regelungen aus (Peters/Sautter/Wolff, SGG, 9/2004, § 86a Rn. 2).

 

Rz. 4

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