Rz. 8

Aus Abs. 2 Satz 1 ist der Grundsatz zu entnehmen, dass das BSG immer "durchentscheiden" muss, wenn das möglich ist (vgl. BSG, SozR 3100 § 30 Nr. 13; Zeihe, § 170 Rz. 9). Lediglich dann, wenn es an den für eine Sachentscheidung erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt und es diese nicht selbst treffen kann (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 163), muss das BSG zurückverweisen. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 170 weicht damit von § 563 ZPO ab; danach ist die Zurückverweisung die Regel (§ 563 Abs. 1 ZPO) und die eigene Sachentscheidung die Ausnahme (§ 563 Abs. 3 ZPO). "Untunlich" i. S. d. Abs. 2 Satz 1 ist eine eigene Sachentscheidung des BSG immer dann, wenn dem BSG die tatsächlichen Grundlagen für eine Sachentscheidung fehlen. Das ist auch dann der Fall, wenn das LSG nach seiner sachlich-rechtlichen Auffassung alle notwendigen Beweise erhoben hat, das BSG jedoch aufgrund einer anderen Einschätzung der Rechtslage weitere Tatsachenfeststellungen benötigt. Darüber hinaus kann das BSG zurückverweisen, wenn eine weitere Sachaufklärung eine sicherere Grundlage für eine Entscheidung zu bieten verspricht und es dann auf komplizierte rechtliche Überlegungen nicht mehr ankommt (vgl. Zeihe, § 170 Rz. 11a). Eine Zurückverweisung ist auch dann "tunlich", wenn das Verfahren an einem wesentlichen und nicht geheilten (§ 295 ZPO) Verfahrensfehler leidet. Sofern nach Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, rechtfertigen diese grundsätzlich keine Zurückverweisung, denn das angegriffene Urteil beruht denklogisch nicht hierauf. Liegen absolute Revisionsgründe vor, wie etwa die Mitwirkung eines abgelehnten Richters, wenn das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (§ 547 Nr. 2 ZPO), muss auch bei ausreichenden Tatsachenfeststellungen zurückverwiesen werden (vgl. BSG, Urteil v. 18.2.1988, 6 RKa 24/87; BSG, Urteil v. 13.12.2000, B 6 KA 42/00 R).

 

Rz. 9

Beispiele für Zurückverweisungsgründe:

  • Urteilsabsetzung des LSG nicht innerhalb von fünf Monaten nach Verkündung (vgl. GemSOGB, Beschluss v. 27.4.1993, 1/92; Ausnahme, wenn die Klage unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründet ist, BSG, Urteil v. 14.9.1994, 3/1 RK 36/93);
  • Anwendung nicht revisiblen Rechts, das vom LSG nicht berücksichtigt wurde (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 170 Rz. 7b);
  • Nachholung des Vorverfahrens (vgl. BSG, Urteil v. 7.10.1987, 4a RJ 93/86);
  • Nachholung einer notwendigen Beiladung, wenn die Beilzuladenden einer Beiladung im Revisionsverfahren nicht zustimmen (vgl. BSG, Urteil v. 14.12.2011, B 6 KA 33/10 R):
  • Erhebliche Verfahrensverstöße in der Berufungsinstanz;
  • Ausnahmsweise sind neue Tatsachen zu berücksichtigen (z. B. eine rückwirkende Gesetzesänderung erfasst den Rechtsstreit und hierzu sind keine Feststellungen getroffen, Zeihe, § 170 Rz. 11d).

Kann im Revisionsverfahren wegen unzureichender Aufklärung der innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht beurteilt werden, ob es für die Entscheidung auf die Auslegung europäischen Gemeinschaftsrechts ankommt, so ist die Revision i. S. d. Aufhebung und Zurückverweisung begründet (vgl. BSG, Urteil v. 24.9.1996, 1 RK 26/95; BSG, Urteil v. 31.1.1974, 4 RJ 235/72). Für die Feststellung von Existenz und Inhalt ausländischen Rechts gelten gemäß § 202 SGG i. V. m. § 293 ZPO die Vorschriften über die Beweisaufnahme zur Tatsachenermittlung, sodass auch insoweit eine Zurückverweisung erfolgen kann (vgl. BSG, Urteil v. 24.5.2007, B 1 KR 18/06 R).

Verwertet das Berufungsgericht ein Sachverständigengutachten, ohne über die substantiiert begründete Ablehnung des Sachverständigen zu entscheiden, so liegt darin ein Verfahrensmangel, der bei Entscheidungserheblichkeit der betroffenen Tatsachenfeststellung zur Zurückverweisung führt (vgl. BSG, Urteil v. 15.3.1995, 5 RJ 54/94).

 

Rz. 10

Keine Zurückverweisung:

Eine Zurückverweisung wegen unzutreffenden Rechtswegs oder fehlender Zuständigkeit scheidet aus (§§ 98, 202 SGG i. V. m. § 17a Abs. 5 GVG i. d. F. des 4. VwGO-ÄndG; vgl. BSG, Urteil v. 20.5.2003, B 1 KR 7/03 R; BSG, Beschluss v. 3.7.1998, B 12 SF 1/98 R).

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