Rz. 3

Die Beschränkung der Berufungszulassung ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Art. 19 Abs. 4 GG soll lediglich sicherstellen, dass exekutivische Handlungen durch ein unabhängiges Gericht überprüft werden können; die Verpflichtung des Staates, einen zwei- oder gar dreistufigen Rechtsmittelzug zu schaffen, lässt sich hieraus nicht herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, NJW 2003 S. 1924; BVerfG, Beschluss v. 22.6.1960, 2 BvR 37/60, BVerfGE 11 S. 232, 233; BVerfG, Beschluss v. 2.2.1988, 2 BvR 702/84, 2 BvR 1106/84, BVerfGE 78 S. 18; BVerfG, Beschluss v. 19.2.1992, 1 BvR 1935/91 SG, SozR 3-1500 § 160 Nr. 6). Demgemäß kennt das finanzgerichtliche Verfahren keine Berufungsinstanz. Alleinige Tatsacheninstanz ist das erstinstanzliche Finanzgericht, das allerdings – vergleichbar dem OVG, OLG, LSG und LAG – die Stellung eines Obergerichts innehat. Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich sachlich gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber die Berufung für minder bedeutsame Fälle ausschließt. Unverständlich bleibt es aber, dass der Gesetzgeber in Zeiten angeblich knapper finanzieller Ressourcen in Streitverfahren nach dem Sozialgesetzbuch – SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – v. 19.6.2001 (BGBl. I S. 1046), dem vormaligen Schwerbehindertengesetz, die Berufungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt hat. Zum einen besteht insoweit ein nicht erklärlicher Wertungswiderspruch zum finanzgerichtlichen Verfahren. Gibt es dort nur eine Tatsacheninstanz für Streitverfahren, denen i. d. R. eine gewisse finanzielle Bedeutung nicht abgesprochen werden kann (hierzu Kühn, ZRP 2002 S. 124), gönnt sich der Gesetzgeber zulasten der Steuerzahler den Luxus, für Streitigkeiten nach dem SGB IX zwei Tatsacheninstanzen zur Verfügung zu stellen. Dies gilt umso mehr, als in den Verfahren nach dem SGB IX auf Feststellung des GdB oder Zuerkennung von Nachteilsausgleichen kein individuell-konkretes Rechtsschutzbedürfnis verlangt wird (vgl. BSG, Beschluss v. 24.4.2008, B 9/9a SB 8/06 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 8; LSG Berlin, Beschluss v. 14.12.2004, L 11 B 25/04 SB; hierzu Reyels, jurisPR-SozR 7/2009 Anm. 6 = jurisPR extra 2009 S. 140; LSG, Bayern, Beschluss v. 23.7.2004, L 18 B 305/04 SB; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.3.2006, L 6 SB 4102/05, Breithaupt 2006 S. 859; a. A. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 5.7.1999, L 8 SB 442/98, Breithaupt 1999 S. 1093), der Kläger das Verfahren in der Konsequenz mithin allein betreiben kann, um unter Inanspruchnahme der Gerichte kostengünstig seine gesundheitliche Situation klären zu lassen. Für eine nicht unerhebliche Zahl von Streitverfahren nach dem SGB II dürfte im Ergebnis Ähnliches gelten.

2.2.1 Berufungsausschließungsgründe

2.2.1.1 Berufungsausschluss nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

2.2.1.1.1 Geldleistung

 

Rz. 4

Der Berufungsausschluss nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 betrifft Klagen auf Geld-, Dienst- oder Sachleistungen bzw. hierauf gerichtete Verwaltungsakte. Mit dieser Regelung verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, in vermögensrechtlichen Streitigkeiten von geringerem Wert (Bagatellfälle) die höhere Instanz nur über den Weg der Rechtsmittelzulassung zu eröffnen (BT-Drs. 12/1217 S. 51 f.; Bernsdorff, in: Hennig, SGG, 4/2002, § 144 Rn. 2).

 

Rz. 4a

Der Begriff Leistung ist nicht materiell-rechtlich i. S. v. Sozialleistung (§ 11 SGB I), sondern verfahrensrechtlich zu verstehen (Zeihe, SGb 1986 S. 295 und SGb 1984 S. 561) und meint jedes Tun, Dulden oder Unterlassen als Korrelat zum Anspruch (Zeihe, SGG, 11/2010, § 144 Rn. 7a). Die Klage kann auch gegen einen Bürger z. B. wegen Schadensersatz, Zuzahlung zu Sozialleistungen, Erstattung usw. gerichtet sein. Klagen auf Geldleistungen sind solche, die auf eine Zahlung oder Befreiung von der Zahlungspflicht gerichtet sind (BSG, Urteil v. 19.11.1996, 1 RK 18/95, NZS 1997 S. 388; Kummer, NZS 1993 S. 287). Disziplinarbescheide gegen Vertragsärzte werden vom Berufungsausschluss auch dann nicht erfasst, wenn Geldbußen verhängt werden (BSG, Urteil v. 11.9.2002, B 6 KA 36/01 R, MedR 2003 S. 357 = Breithaupt 2003 S. 489). Der von einem Vertragsarzt gegen seine Kassenärztliche Vereinigung geltend gemachte Honoraranspruch betrifft keine Sozialleistung, ist i. S. d. § 144 aber auf eine Geldleistung gerichtet und unterfällt ggf. dem Berufungsausschluss (BSG, Urteil v. 21.4.1993, 14a RKa 6/92, SozR 3-5555 § 15 EKV-Zahnärzte).

2.2.1.1.2 Sachleistung/Dienstleistung

 

Rz. 5

Ob die Klage nur dann auf eine Sachleistung gerichtet ist, wenn es um die Hingabe oder zur Verfügungstellung von Sachen geht (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 144 Rn. 9 m. w. N.; vgl. auch Rohwer-Kahlmann, § 144 Rn. 9) bzw. die Leistung in Natur zu gewähren ist (Zeihe, SGG, § 144 Rn. 8b) oder aber auch eine Dienstleistung eine Sachleistung i. S. d. § 144 Abs. 1 Nr. 3 darstellt (BSG, Urteil v. 28.6.1991, 2 RU 24/90 SozR 3-1500 § 144 Nr. 3; BSG, Urteil v. 31.7.1990, 11 BAr 21/90 SozR 3-1500 § 144 Nr. 1; Krasney/Udsching, 5. Aufl. 2008, VIII 12; Burdenski, in: GK SGB I, § 11 Rn. 9 bis 15; Peters/Sautter/Wolff, SGG, 10/2010, § 144 Rn. 45, 57, 58; Bernsdorff, in: Henning, SGG, § 144 Rn. 13), war bis zum...

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