Rz. 42

Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HS 2 ordnet für Zeiten der beruflichen Ausbildung eine Fiktion an. Danach gelten diese Zeiten im Zuge der Gesamtleistungsbewertung insoweit nicht als beitragsgeminderte Zeiten. Daher werden reine Zeiten der beruflichen Ausbildung im Zuge der Gesamtleistungsbewertung als vollwertige Beitragszeiten i. S. d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 fingiert.

 

Rz. 43

Das hat insbesondere Auswirkungen auf die Vergleichsbewertung nach § 73; beitragsgeminderte Zeiten i. S. d. § 54 Abs. 1 Nr. 1b i. V. m. Abs. 3 Satz 1 bleiben nach dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bei der Vergleichsbewertung gerade außer Betracht.

 

Rz. 44

Ratio legis von § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HS 2, der inhaltlich bereits durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) v. 25.9.1996 (BGBl. I S. 1461) in einem neuen Satz 3 des Abs. 1 eingefügt wurde und durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz v. 21.7.2004 (BGBl. I S. 1791) insoweit inhaltlich unverändert in Abs. 3 übernommen wurde (vgl. BT-Drs. 15/2149 S. 21), ist damit die Sicherstellung, dass auch dann ein angemessener Gesamtleistungswert ermittelt werden kann, wenn vollwertige Beitragszeiten nicht vorliegen (z. B. bei Eintritt der Erwerbsminderung schon während der beruflichen Ausbildung, vgl. BT.-Drs. 13/4610 S. 21).

 

Rz. 45

Zeiten der beruflichen Ausbildung werden daher bei der Vergleichsbewertung i. S. d. § 73 Abs. 1 grundsätzlich berücksichtigt, weil sie ausnahmsweise – und nur im Zuge der Gesamtleistungsbewertung – nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HS 2 als vollwertige Zeiten gelten, weil § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 anordnet, dass Zeiten der beruflichen Ausbildung nicht als beitragsgeminderte Zeiten berücksichtigt werden. Daher greift § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 für Zeiten der beruflichen Ausbildung gerade nicht (vgl. auch Komm. zu § 73).

 

Rz. 46

Die Reichweite von § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HS 2 ist jedoch beschränkt. Die Fiktion von Zeiten der beruflichen Ausbildung als vollwertige Beitragszeit stellt eine bereichsspezifische Ausnahmeregelung allein für das Bewertungsverfahren nach §§ 71 ff. dar und verdrängt insoweit als lex specialis Vorschrift ausschließlich § 54 Abs. 3 Satz 2 der grundsätzlich im Rahmen der rentenrechtlichen Begriffsbestimmungen der Arten der Zeiten im Rentenrecht anordnet, dass als beitragsgeminderte Zeiten Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine Berufsausbildung (Zeiten einer beruflichen Ausbildung) gelten. Bei § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HS 2 handelt es sich aber nur um eine Ausnahmevorschrift für das Bewertungsverfahren. Die Fiktion des § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ändert nicht § 54 Abs. 1 Nr. 1b i. V. m. § 54 Abs. 3 Satz 1. Sofern eine Ausbildungszeit eine "echte beitragsgeminderte Zeit" i. S. d. § 54 Abs. 1 Nr. 1b i. V. m. Abs. 3 Satz 1 ist, weil Kalendermonate sowohl mit Beitragszeiten als auch mit einer Anrechnungszeit, einer Zurechnungszeit oder einer Ersatzzeit (Fünftes Kapitel) belegt sind, dann gilt entgegen der Anordnung der Fiktion § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HS 2 die Ausbildungszeit als beitragsgeminderte Zeit mit allen gesetzlichen Anordnungen bezüglich dieses Beitragstyps. Solche echten beitragsgeminderten Zeiten ("Mischzeiten") bleiben daher bei der Gesamtleistungsbewertung – und damit auch bei der Vergleichsbewertung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – außer Betracht.

 

Rz. 47

Soweit in der Rechtsprechung etwas anderes vertreten wird (vgl. etwa: SG Aachen, Urteil v. 6.4.2017, S 9 R 198/16 nicht veröffentlicht; SG Neubrandenburg, Urteil v. 2.12.2011, S 4 R 433/08, nicht veröffentlicht) und in § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HS 2 auch eine verdrängende Regelung zur allgemeinen Regelung der beitragsgeminderten Zeit nach § 54 Abs. 3 Satz 1 gesehen wird, ist dem nicht zu folgen. Dagegen spricht sowohl die systematischen Stellung von § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 als auch dessen Wortlaut. § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 steht im Dritten Titel – Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (§§ 70 ff) – des Dritten Unterabschnitts – Rentenhöhe und Rentenanpassung – und betrifft das Bewertungsverfahren nach den Grundsätzen der Gesamtleistungsbewertung; also insbesondere die Grundbewertung nach § 72 und die Vergleichsbewertung nach § 73. § 54 hingegen steht im Fünften Titel – Rentenrechtliche Zeiten – im Zweiten Unterabschnitt – Anspruchsvoraussetzungen für einzelne Renten. Damit zeigt schon die systematische Stellung von § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, dass dies eine bereichsspezifische lex specialis Vorschrift für das Bewertungsverfahren zu den Begriffsbestimmungen darstellt. Bei der Sondervorschrift des § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 handelt es sich daher schon aus der systematischen Stellung heraus nur um eine Ausnahmevorschrift für das Bewertungsverfahren. Im Übrigen stellt auch der Wortlaut von § 54 Abs. 3 klar, dass § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nur eine Sondervorschrift zu § 54 Abs. 3 Satz 2 sein kann, denn nur in § 54 Abs. 3 Satz 2 wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Zeiten einer beruflichen Ausbildung, auf die sich gerade § 71 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bezieht. § 54 Abs. 3 Satz...

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